Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Magisch manisch japanisch

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Selbst ein Tausendsassa wie Igort hat Leidenschaften, die bisweilen alle anderen Interessen überstrahlen. Seit einigen Jahren ist das für den 1958 geborenen Italiener wieder Japan, wohin er schon Anfang der neunziger Jahre als einer der ersten europäischen Zeichner verpflichtet worden war, vom großen Verlagshaus Kodansha. Was das damals bedeutete, darf man sich gar nicht ungewöhnlich genug vorstellen, denn noch war vom weltweiten Siegeszug der Mangakultur wenig zu sehen, und demensprechend beherrschten westliche Autoren auch noch nicht die Codes und Gepflogenheiten ihrer japanischen Kollegen. Deshalb gab es zuvor kaum Austausch zwischen den großen Comic-Kulturen.

Das wusste Igort, weil er eine unbändige Neugier auf andere Traditionen besaß. Er ließ sich  mehrfach von Kodansha nach Japan einladen, um so viel Einblick wie möglich ins dortige Comicgeschäft zu bekommen. Mit keinem anderen europäischen Künstler war die Zusammenarbeit so intensiv. 1994 wurde dann zum annus mirabilis für Igort, weil er einerseits auf Einladung von Pedro Almodóvar auf der Biennale von Venedig ausstellte und zu Jahresbeginn mehrere Monate in Japan verbrachte. Dort versuchte er sich, soweit es ging, der japanischen Lebens- und Arbeitsweise anzupassen. Wenn man sieht, wie sich danach sein Ausstoß an Geschichten und seine Fähigkeit zum Multitasking gesteigert hat, kann man nur sagen, dass es ihm gelungen ist. Nachdem es nichts mehr für ihn zu lernen gab, beendete er die Kooperation mit Kodansha.

Aber von den damaligen Erfahrungen zehrt Igort noch heute – nicht nur organisationstechnisch, sondern auch inhaltlich. Seine jüngsten Publikationen verdanken sich alle von der Liebe zu dem fernöstlichen Land und dessen Comics: Erst kamen die beiden Teile seiner „Berichte aus Japan“, tagebuchartige Erinnerungen an Begegnungen und Erlebnisse, nun ist mit „Kokoro – Der verborgene Klang der Dinge“ ein dritter Band erschienen, der anders erzählt als die beiden Vorgänger: essayistisch und anhand von Bildassoziationen. Es gibt Erörterungen japanischer Phänomene, die als durchgeschriebene Texte auf kleine Panels verteilt sind, und große gezeichnete Impressionen, nicht selten auch mit Igort selbst als handelnder Figur (worauf aber nie hingewiesen wird). „Kokoro“ trennt Text und Bild konsequent. Die erfreulich umfangreiche Leseprobe des Reprodukt-Verlags führt es exemplarisch vor: https://www.reprodukt.com/Produkt/comics/kokoro/.

Comic kann man das kaum nennen, weil es gerade die Ineinssetzung der beiden Erzählebenen vermeidet. Keine Sprechblasen, kaum eingezeichnete Lautmalereien. Aber das ist deshalb konsequent, weil Igort die ältere japanische Bildtradition aufnimmt, die weniger als im Westen üblich Text in Zeichnungen aufnahm und doch über die Schriftzeichen eine graphische Komponente aufwies, die beides insoweit ineinander überführte, dass Bilder im Schreiben mitgedacht werden. Und genau das strebt auch Igort an – wobei er nur Buchstaben zur Verfügung hat. Deshalb ist jedes Textpanel graphisch gestaltet: durch das sorgfältige Lettering (das im deutschen dem erfahrenen Michael Hau zu verdanken ist) und zusätzliche Akzentuierungen durch blau unterlegte Signalwörter.  Myriam Alfano als Übersetzerin aus dem Italienischen musste wiederum darauf achten, dass die deutschen Texte nicht zu lang gerieten, um die ausgewogene Gestaltung zu erhalten.

Doch natürlich ist „Kokoro“ vor allem ein Bilderbuch. Igort nutzt sowohl japanischen wie westliche Techniken für seine Illustrationen, und er liefert bisweilen Stimmungsbilder, die nur Details aus dem Alltag hervorheben, aber dennoch eine ganze fremde Welt aufscheinen lassen. Ganz nebenbei bietet das Buch auch eine kleine persönliche Geschichte Igorts in Japan, und man kann auch eine Illustrationsfolge bewundern, die er bereits 1986 auf Bitten des Komponisten Ryuichi Sakamoto für das Begleitheft zu einer von dessen Schallplatteneinspielungen angefertigt hat – so etwas wie der Startpunkt von Igorts japanischen Abenteuern, obwohl die Zeichnungen ganz im Geist der graphischen Sprache des italienischen Futurismus gehalten und auch augenzwinkernd auf 1927 datiert waren.

„Kokoro“, so erläutert Igort, bezeichnet im Japanischen das Herz im spirituellen Sinne. Er hat zweifellos das seine an Japan verloren. Und wer das Buch nun liest, dem dürfte ähnliches geschehen. Und damit ein gutes neues Jahr allen da draußen. Wenn wir 2021 etwas weniger Zeit zum Lesen finden als in diesem, wäre das ausnahmsweise mal ein gutes Zeichen.


1 Lesermeinung

  1. Giorgione sagt:

    Sarde
    Lieber Herr Platthaus,

    vielen für diesen schönen Beitrag über Igort, dessen Bücher ich schon seit einigen Jahren lese. Er ist übrigens ein Sarde aus Cagliari – diese Unterscheidung ist für Italiener und Sarden wichtig).

    herzliche Grüße und ein gutes Neues Jahr
    Giorgione

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