Comic

Comic

Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Geschichtsverständnis braucht Geschichten

Edel sei der Comic, lehrreich und gut. So könnte man in etwa die Erwartung an die über Jahrzehnte hinweg geschmähte Erzählform zusammenfassen, die nun von deren früheren Verächtern gehegt wird: Wenn sie schon zugestehen sollen, dass ein Comic etwas taugt, dann hat der es auch auf der ganzen Linie zu tun. Entsprechend selten gelingt es, sie von einem zu überzeugen.

Dabei ist es zwar eine Binsenweisheit, dass Comics sich sowohl auf graphischer wie textlicher Ebene zu bewähren haben, aber ihnen nur auch noch didaktische Rücksichtnahmen oder gar moralische Zwecke abzuverlangen, geht doch etwas weit – bei welchem Kunstprodukt würde das denn sonst getan? Und wenn denn in diesen Hinsichten etwas geleistet wird, ist dann nicht ein wenig Nachsicht bei der Beurteilung der graphischen Qualität statthaft? Ich war schon immer der Meinung, dass selbst ein schlecht gezeichneter Comic noch Aufmerksamkeit verdient hat, wenn er gut erzählt ist. Umgekehrt bin ich mir da schon weit weniger sicher. Aber selbstverständlich ist der optische der erste Eindruck bei einer Bildergeschichte. Es fällt schwer, sich davon zu lösen, und eine erste negative Wertung unter dem Eindruck der Lektüre zu revidieren. Wenn man es denn überhaupt noch zur Lektüre kommen lässt.

Viel Prolegomena für eine Besprechung, die einen Comic gegen seine Verächter verteidigen will. „Hammaburg“ heißt der Band, geschrieben und gezeichnet wurde er von dem 1975 geborenen Jens Natter auf Anregung des Archäologischen Museums Hamburg. Ziel war, die neuen Erkenntnisse über den Ursprung der Stadt Hamburg in populären Form zu veranschaulichen; wie reden dabei über eine Siedlung in der Karolingerzeit, die damals durch den Bau einer Kirche und den dort entstehenden Reliquienkult kurzzeitig überregionale Bedeutung gewann, bevor sie bei einem Wikingereinfall wieder zerstört und dann erst Jahrzehnte später wiederaufgebaut werden konnte. Immerhin war Hamburg dann etabliert.

Man merkt ja schon: Lehrreich ist der Comic allemal. Aber das Problem seiner Kritiker liegt offenkundig buchstäblich in deren Auge: Sie lassen sich inhaltlich nicht mehr ein auf das, was sie als graphisch misslungen abgetan haben. Dabei ist selbst die harsch kritisierte Graphik von „Hammaburg“ zu verteidigen: Man lese sich nur einmal durch, wie der Comic entstand: https://blog.amh.de/hammaburg_ein_historischer_comic_entsteht/. Natürlich ist aufwendige Recherche noch keine Entschuldigung für schlichte Graphik, aber schon das Titelbild ist dramaturgisch höchst reizvoll, und was Jens Natter im Inneren veranstaltet, ist seitenarchitektonisch  ebenso abwechslungs- wie einfallsreich. Dass er bewusst eine leicht karikatureske Darstellung der Figuren wählt, nimmt Rücksicht auf das Zielpublikum: Kinder und Jugendliche. „Hammaburg“ erzählt mit Witz von alle den Intrigen, die zur Etablierung des neuen Kirchenbaus geführt haben; die Ironie von Kabalen und Getriebe ist unübersehbar, und dem folgt auch die zeichnerische Charakterisierung. Diese Geschichte will über Komik Wissen vermitteln, und dafür dürfen die Figuren auch komisch aussehen.

Sein Vorbild hat „Hammaburg“ am ehesten in der Comic-Kolumne „Vita obscura“, die Simon Schwartz  (pikanterweise auch Wahl-Hamburger wie Natter) zunächst für die Wochenzeitung „Freitag“ gezeichnet hat und nunmehr im F.A.Z.-Magazin fortführt. Die Verbindung von historischen Stoffen mit Funny-Ästhetik, die Schwartz aus seiner Zeit als Zeichner beim „Mosaik“ entwickelt hat, macht nunmehr Schule, und Natter ist einer der konsequentesten Adepten dieses Stils, wobei er ihn noch etwas rauer anlegt, Aber ein fast neunzigseitiger durcherzählter Comic ist ja auch etwas anderes als eine immer wieder neu ansetzende Serie aus einseitigen Episoden. Schwartz spielt darin mit den Mitteln seines Stils, Natter muss notgedrungen konsequent bei einer Darstellungsweise bleiben.

Er erlaubt sich andere Extravaganzen: Anspielungen auf Asterix-Elemente, ironische Blicke auf opportunistische Nebenfiguren, flapsig-lapidare Töne für große Ereignisse. Und er typisiert sein Personal nach allen Regeln des Klischees. Doch wen stört’s, wenn das der Geschichte zugutekommt. Und dem von ihr und dem Museum als Auftraggeber angestrebten Geschichtsverständnis? „Hammaburg“, der Comic, hat mittlerweile schon die zweite Auflage erreicht. Und Hammaburg, die historische Siedlung, sah auch nicht gerade aus wie aus dem Ei gepellt. Aber aus ihr ist einiges geworden. Auf Jens Natters weiteren Weg bin ich gespannt.