Einen Comic, der gleichzeitig auf Deutsch, Englisch, Türkisch und Dänisch erscheint, darf man schon in dieser Hinsicht bemerkenswert nennen. Aber an „Fuchs“ vulgo “Fox“, „Tilki“ oder noch einmal „Fox“ ist noch viel mehr bemerkenswert als seine polyglotte Publikation. Seine Geschichte umfasst fast zehntausend Jahre und veranschaulicht eine archäologisch-anthropologische These. Verfasst hat ihn ein Deutscher, gezeichnet ein Grönländer, Ort der Handlung ist Jordanien.
Das klingt eklektisch, aber das ganze fügt sich aufs Interessanteste. Moritz Kinzel, ein 1976 geborener Bauforscher, ist Mitglied eines Grabungsteams des Danke Institut i Damaskus, einer dänischen Forschungseinrichtung in der Art des Deutschen Archäologischen Instituts. Tätig ist diese Gruppe im jordanischen Shkarat Msaied, nicht weit von der berühmten Felsenstadt Petra. Die Besiedelung beider Stätten reicht bis in die Jungsteinzeit zurück, doch Shkarat Msaied wurde erst seit 1964 archäologisch erschlossen, als eine dänische Ausgräberin hier die ersten Funde machte. Zwanzig Jahre später kam ein deutsches Team, und seit 1999 sind wieder Dänen hauptverantwortlich tätig. Über die Ergebnisse dieser letzten Kampagne und speziell ein 2002 aufgefundenes Skelett einer etwa fünfunddreißigjährigen Frau, die vor circa 9500 Jahren gelebt hat, informiert Kinzel in seiner Geschichte, die er nach einem mutmaßlichen Totemtier der damaligen Ansiedelung „Fuchs“ betitelt hat.
Gezeichnet hat sie Konrad Nuka Godtfredsen, der allerdings nicht bei den Ausgrabungen in Shkarat Msaied dabei war. Kinzel schickte ihm ein Szenario mit Skizzen und Fotos – wie das ausgesehen hat, davon gibt ein kleiner von Kinzel gezeichneter Anhang mit der Entstehungsgeschichte des Comics Auskunft. Wie wiederum Godtfredsen sich der sache annahm, das kann man auf dieser Website sehen: https://cseas.ku.dk/shkaratmsaied/graphicoutreachinitiative, inklusive einem kurzen Film über seine Arbeit an „Fuchs“. Wie man den Comic selbst beziehen kann, weiß ich leider nicht; mein Exemplar kam direkt von Moritz Kinzel aus Istanbul, wo auch der Ege Verlag residiert, der die Bände in den vier Sprachen im Programm hat.
Wer auch nur geringes Interesse an Frühzeitarchäologie hat, für den wird der quadratische Band ein Fest sein. Denn auch wenn vor allem die Geschichte einer Heilerin erzählt wird, die den spirituellen Mittelpunkt einer Dorfbevölkerung bildet, die sich am Übergang vom Nomaden- zum Siedlertum befindet und also noch sowohl aus Jägern und Sammlern als auch ersten Viehhirten besteht. Wir begleiten sie bei der Einführung in ihre Position bis zu ihrem Tod, und tatsächlich ist das Einzige, was wirklich sicher über ihre Existenz ist, das Faktum, dass beim Begräbnis erst der Kopf vom Körper getrennt wurde und danach die Verwesung abgewartet wurde, ehe die Knochen vermischt und zusammen mit anderen sterblichen Überresten endgültig beigesetzt wurden. Kinzels Erklärung dafür orientiert sich an Arnold van Genneps berühmtem dreistufigen Schema der „rites de passage“.
Hier ist nicht der Ort, um diese Überlegungen nachzuvollziehen; dafür gibt es ja den Comic (der einen zwanzigseitigen wissenschaftlichen Anhang aufweist, in dem genau Rechenschaft über die Grundlagen der Geschichte abgelegt wird). Kinzel hat versucht, die spärlichen Kenntnisse zu einem Individuum mit den schon etwas reichhaltigeren Vermutungen zur damaligen Gesellschaftsform zu einer Geschichte zu verbinden, die auch noch die Ebene der gegenwärtigen Erforschung miteinbezieht, indem immer wieder Parallelhandlungen über die Grabungen Berücksichtigung finden – witzigerweise in Schwarzweiß gehalten, während die Jungsteinzeit farbig daherkommt. Godtfredsen befleißigt sich eines illustrativ-realistischen Stils, hat aber, wie man dem Anhang entnehmen kann, durchaus auch eigene Vorstellungen in die Zeichnungen eingebracht; offenbar nicht immer ganz zur Zufriedenheit der Archäologen. Aber es sollte ja auch ein attraktiver Comic entstehen, um einmal neue Wege der Fachwissenvermittlung zu beschreiten.
Auf diese Weise passt sich „Fuchs“ ins Feld der Sachcomic an, allerding mit einen notwendig fiktionalen Handlung, weil ja nicht die Grabung Hauptgegenstand des Geschehens ist, sondern das Leben und Sterben der Heilerin. Dass nebenher viel Information über die kulturellen rites de passage vermittelt werden, die sich in jener Aufbruchsepoche abspielten, ist hocherfreulich. So lernt man etwa, dass die Menschheit zunächst runde Gebäude errichtete und sich die später üblichen rechteckigen Formen dann von innen (Raumunterteilungen) nach außen (Hausmauern) durchsetzten. Das wird überaus witzig ins Bild gesetzt durch ein aufgewecktes Kinderpaar, die sich etwas abseits der Siedlung eigene Überlegungen zur Bauweise ihres Dorfes macht. Und am Ende sind drei Sandzeichnungen von Kinderhand zurückgeblieben, die historisch weit vorausweisen: mit den Grundrissen des Labyrinths des Minos, der Villa Rotonda von Palladio und Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon. Wer so lustvoll Wissen zu verbreiten versteht, dem darf man noch viel mehr Sprachen zur Verbreitung wünschen als die vier, in denen „Fuchs“ nun vorliegt.
Bezugsquelle
Das Programm des Ege Verlages habe ich im Internet bei zerobooksonline gefunden. Der “Fuchs” kann dort zu ziemlich günstigem Preis und versandkostenfrei bestellt werden. Ob das dann auch klappt und die Bestellung sicher ist, wird sich zeigen.
Links sind hier nicht erlaubt, aber alle Interessierten werden das Buch sicher auch so leicht finden.
Bezugsquelle
Als Bezugsquelle habe ich gefunden:
https://www.zerobooksonline.com/en/fuchs-eine-geschichte-aus-dem-jungsteinzeitlichen-shk%C4%81rat-msaied_29_62811.html?r=10
und auch bestellt. Der Preis ist sensationell, die Versandkosten sind frei. Ob die Kreditkartenzahlung sicher ist und das Buch auch kommt, wird sich zeigen müssen.