Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Suspense wird keinesfalls suspendiert

Alfred Hitchcock ist für vieles berühmt, auch dafür, in fast jedem seiner Filme einen Cameo-Auftritt hingelegt zu haben. Man mag das eitel nennen – und das war er auch –, zumal die Bezeichnung „Cameo-Auftritt“ in diesem Fall mit dem eingerahmten Juwel, das damit angesprochen ist, physiognomisch betrachtet einen fetten Klunker präsentiert, jedenfalls unübersehbar. Von Subtilität keine Spur. Und darauf hat sich Hitchcock einiges zugutegehalten, wie wir dem berühmtesten Buch der Filmgeschichtsschreibung entnehmen können, Francois Truffauts Gesprächsband „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“.

Jetzt ist der erste Teil einer zweibändigen Comicbiographie über Alfred Hitchcock erschienen (beim Splitter Verlag), und seine beiden französischen Autoren, der Szenarist Noel Simsolo und der Zeichner Dominique Hé, müssen gleich zwei Legenden gerecht werden: Hitchcock selbst und Truffauts Buch. Das für den Comic natürlich eine wichtige Quelle war, weil die beiden Filmregisseure im Gespräch miteinander wunderbar ins handwerkliche Detail gingen und auch die persönlichen Prägungen des 1899 geborenen Briten nicht aussparten. Simsolo ist die Konkurrenzsituation offensiv angegangen und bettet den Großteil des Auftakts der Comic-Biographie einfach auch in ein Gespräch ein: hier zwischen Hitchcock und seinen beiden Hauptdarstellern Grace Kelly und Cary Grant am französischen Sert von „Über den Dächern von Nizza“. Den drehten sie 1954, und in munterer Plauderei mit Grant bei gelegentlicher Assistenz (und verbaler Verführung) durch Kelly erzählt Hitchcock ihnen und uns von seiner Jugend und der Karriere bis zum großen Schritt: dem Wechsel nach Hollywood Ende der dreißiger Jahre. Der Rest ist Filmgeschichte – und reserviert für den bereits angekündigten zweiten Band.

Aber ganz ohne den Ruhm der zweiten Karrierehälfte kommt auch der erste Teil nicht aus. Wenn wir das Allerberühmteste benennen sollten, das mit Hitchcocks Name verbunden ist, dann wäre es „Psycho“, jener Film, der einem ganzen Genre den Namen gab, indem er 1960 einen Schrecken auf die Leinwand brachte, den es vorher noch nicht gegeben hatte. Mit dem Erfolg dieses Werks, einem Neubeginn auch für Hitchcock selbst, startet die Comic-Biographie, und im mörderischen Außenseiter, den Anthony Perkins in „Psycho“ spielt, wird so etwas wie ein Selbstporträt des Alfred Hitchcock sichtbar: des manischen Arrangeurs mit gestörten sozialen Beziehungen. Allerdings wird im Comic auch die symbiotische Beziehung zu seiner Frau Alma vorgeführt, seiner wichtigsten Mitarbeiterin und Urheberin vieler Elemente des spezifischen Hitchcock-Touchs (bei Truffaut kommt sie so gut wie nicht vor; die Kinogrößen der Nouvelle Vague waren ganz dem Auteur-Gedanken und damit einer Art Geniekult verfallen).

Wie sieht Alfred Hitchcock auf Comicseiten aus? Zunächst einmal wie seine eigene Karikatur, aber so hat er sich ja auch selbst immer wieder inszeniert – er wusste um das Paradox des kleinen dicken Mannes, dessen Filmkunst rund ums Thema des Verbrechens die Menschen faszinierte. Hé ist ein realistischer Zeichner ohne jede Originalität, ihm liegt an wiedererkennbaren Zügen seiner prominenten Figuren und an markanten Stimmungsdekors in den eher spärlich angelegten Hintergründen (die Leseprobe zeigt es: https://www.splitter-verlag.de/alfred-hitchcock-1-mann-aus-london.html). Im Grunde also, könnte man sagen, arbeitet Hé wie Filmausstatter und Kameraleute. Dass der erste Band komplett schwarzweiß gehalten ist, passt zur darin vorgestellten Werkphase, und ausgerechnet „Psycho“ war ja nach den Farbfilmen der fünfziger Jahre die Rückkehr Hitchcocks zu Schwarzweiß. „Über den Dächern von Nizza“ war natürlich auch in Technocolor gedreht, aber der Film selbst kommt im ersten Band gar nicht vor, nur die Dreharbeiten sind Thema. Ich bin jedenfalls gespannt, ob Teil 2 mit „Cocktail für eine Leiche“ (1948) Farbe einfließen lassen wird, wie es fortan in Hitchcocks Werk geschah.

Anfangs ermüdete mich die Geschichte: zu viel Altbekanntes, zu viel Kleinklein, das vor allem über Dialoge, nicht über Bilder vermittelt wird. Wozu denn dann ein Comic? Doch über die 150 Seiten hinweg entfaltet die Sachlichkeit der Geschichte einen eigentümlichen Sog, man könnte fast sagen: Suspense, denn wie bei diesem von Hitchcock geprägten Erzählprinzip wissen wir als Betrachter schon viel mehr als die Beteiligten und lauern aufs unvermeidliche Eintreten dessen, was wir wissen. Im Falle dieses Lebens sind es die zahlreichen Meisterwerke, und im ersten Teil von „Alfred Hitchcock“ suchen wir nach deren Vorboten. Es gibt viel zu finden.

Simsolo hat die Biographie in einzelne Kapitel gegliedert, deren Übergänge bei der Lektüre Atem holen lassen, ehe es nach jeweils einer atmosphärischen Szene vor ganz weißem Hintergrund wieder in die üblich kleinteilige Seitenarchitektur hineingeht. Nur selten brechen größere Panels das konventionelle Vier-Reihen-Schema auf, aber wenn es geschieht, ist es dramaturgisch sowohl im Kontext der Erzählung als auch der Einzelseite klug gesetzt. Diese Biographie ist ein Beispiel von großer Professionalität bei wenig Spektakel – und das schließt die genaue Übersetzung von Tanja Krämling mit ein, die ja auf all die deutschen Filmtitel etc. achten musste. Beim raschen Durchblättern wird der Band wenig überzeugen, weil so unaufgeregt daherkommt, aber wer sich auf die Lektüre einlässt, wird belohnt. Auch mit zahlreichen Anekdoten, die Hitchcock Truffaut verschwiegen hat. Und dazu trägt nicht zuletzt bei, dass Cary Grant einer der verkappten Homosexuellen jener bigotten Hollywood-Jahre war, so dass er und Hitchcock sich als Superstars ihres Metiers doch auf der Ebene von Außenseitern unterhalten. Ob es solche Gespräche jemals gegeben hat? Darüber nachzudenken macht schon einen Teil des Reizes aus.