Die Stadt Schwarzenbach im Fichtelgebirge ist seit einigen Jahren für ihr Erika-Fuchs-Haus bekannt. Das ist das erste Comics gewidmete Museum in Deutschland, und seinen Namen verdankt es der langjährigen Übersetzerin von Disney-Comics. Erika Fuchs – pardon, Dr. Erika Fuchs für ihre Bewunderer, und natürlich bin ich einer – lebte von 1906 bis 2005, und die Hälfte davon in Schwarzenbach, wo ihr Mann, ein Tüftler wie Daniel Düsentrieb, eine kleine Fabrik besaß. Die viel größere Tüftlerin aber war seine Frau, die unsere Sprache beherrschte und bereicherte wie wenige.
Ich schwärme, aber das ist für einen Donaldisten normal, der das meiste, was er über Entenhausen weiß, Erika Fuchs verdankt, die dieser Welt erst Ausdruck verliehen hat. Deshalb kenn ich auch den Namen Fahrenbühl, der in Entenhausen für ein Fuhrunternehmen steht, ein besonders reelles überdies, wie Donald Duck zu berichten weiß. Und wie so manches aus den von Fuchs übersetzten Berichten ist dieser Name der Umgebung von Schwarzenbach entnommen: Ein einsames Forsthaus einige Kilometer außerhalb heißt so, es bietet Gästezimmer an, und man kann sich denken, wo ich abstieg, als ich das erste Mal in Schwarzenbach übernachtete. Und wo ich das seither immer so gehalten habe.
Damit bin ich nicht allein, andere Donaldisten hielten es genauso, und da das Erika-Fuchs-Haus unter Leitung seiner rührigen Direktorin Alexandra Hentschel enorme Aktivitäten entfaltet, steigen bisweilen auch undonaldische Gäste im Forsthaus Fahrenbühl ab, unter anderem die international mittlerweile bekannteste deutsche Comiczeichnerin, Anna Haifisch aus Leipzig.
Ich kenne Anna, ich kenne Fahrenbühl, ich hätte mir denken können, dass das auf skurrile Weise zueinander passt, aber was diese Kombination jetzt publizistisch ergeben hat, hätte ich mir nicht träumen lassen: einen ganzen Comic mit dem Titel „Residenz Fahrenbühl“. Er ist gerade erschienen, bei Spector Books, dem vielfach ausgezeichneten Kunst- und Theorieverlag aus Leipzig, also einem Haus, das noch keinen Comic verlegt hat, aber besser könnte er nicht damit beginnen. Wobei „Residenz Fahrenbühl“ im Taschenbuchformat daherkommt und von außen nicht signalisiert, was drinsteckt: Das Cover bietet nichts weiter als die Fotografie einer aufgespannten Mausefalle, Verfasserin und Titel finden sich auf der Rückseite. Dazwischen aber verstecken sich 140 Comicseiten, wunderbar krakelig mit violettem Kugelschreiber gezeichnet, unverkennbar haifischig (auf ihrer Homepage kann man sich ein paar Doppelseiten ansehen: https://www.hai-life.com/) und entsprechend komisch.
Aber auch verblüffend. Nicht, weil es in „Residenz Fahrenbühl“ doppeldeutig und reichlich seltsam zugeht, das kennt man aus allen bisherigen Geschichten von Anna Haifisch – wie hätte sie sonst auch derart erfolgreich werden können (mehr künstlerisch, weniger kommerziell)? Nein, was wir hier vor uns haben, ist ein fichtelgebirgiges „Shining“: Zwei Mäuse sind als artists in residence auf einem Landgut namens Fahrenbühl zugange und es entwickelt sich unter allerhand „irrem Künstlergeschwätz“ (Eigencharakterisierung der beiden Protagonisten) eine abgründige Binnendynamik in der Abgeschiedenheit, die man nach dem Auftakt mit der Anfahrt eines Rettungswagens zwar hätte vermuten können, dann aber über die köstlichen Idiosynkrasien der Gäste wieder vergisst, ehe die Handlung ihren Beginn wieder einholt und ebenso überraschend wie versöhnlich auflöst.
In einem knappen Nachwort erläutert Anna Haifisch die Entstehung des Buchs. Eigentlich hätte es in Columbus/Ohio entstehen sollen, wo sie selbst eine Residenz antreten wollte, die aber der Pandemie zum Opfer fiel. In ihrem Leipziger Atelier habe sie während des zweiten Lockdowns jedoch „dieselben beklemmenden Zustände abrufen können, die Fahrenbühl zu so einem psychopathischen Ort machen“. Ich war nicht nur in Fahrenbühl, sondern vor zwanzig Jahren auch einmal für eine Übernachtung in Columbus und könnte mir vorstellen, dass die Geschichte dort noch psychopathischer geworden wäre. Fahrenbühl ist in seiner Einsamkeit nichts gegen die abends ausgestorbene Innenstadt der Hauptstadt von Ohio. Aber Schwamm drüber, dieser Comic ist ja so schon sensationell gut.
Was Anna Haifisch während ihres dort verbrachten Wochenendes im Forsthaus Fahrenbühl erlebt hat („Vergessen Sie Ihr Schießgewehr nicht“), vermag ich nicht zu sagen, ich habe dort eine wie aus der Zeit gefallene Atmosphäre und größte Gastfreundschaft erlebt – allerdings war das Haus jeweils bis zur Turmspitze, wo der berüchtigtste Schnarcher der D.O.N.A.L.D. – Friede seiner Asche – untergebracht war, auch voller Donaldisten. Das Fahrenbühl des Comics ist winterlich eingeschneit, von weiten Feldern umgeben und auch eher im Flachland angesiedelt – die Autorin hat den Schauplatz in den fiktiven norddeutschen Landkreis Cahlenberg verlegt, wie sie ihn aus einem 1994 erschienenen Roman von Bernd Schirmer kennt. Man sieht: Hier werden die unterschiedlichsten Inspirationen vermengt, aber alles, was herauskommt, ist ganz Anna. Sie bleibt die Haifisch im Karpfenteich der deutschen Comics.