Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Aus großen Künstlern kleine Hefte machen

Es ist die erstaunlichste Lücke, die Willi Blöss auf dem deutschen Comicmarkt gefunden hat: Seit fast zwanzig Jahren arbeitet der 1958 geborene Aachener Zeichner an einer Reihe von Heften, die jeweils eine Künstlerbiographie erzählen. Mittlerweile gibt es bereits deren 37; die jüngste Publikation, gerade erschienen, gilt dem Maler Amadeo Modigliani. Der gehört zu den Berühmtesten (und Teuersten) seiner Zunft, und man darf sich wundern, dass es so lange gedauert hat, bis er im Rahmen der Serie dran kam – sein Freund und Weggefährte Pablo Picasso war 2002 Gegenstand der ersten Nummer in der Heftreihe von Blöss.

Aber es geht nicht um einen chronologischen Kanon der Kunstgeschichte, eher schon um einen Kanon des gut Verkäuflichen. Deshalb kamen zusammen mit Picasso als Erste Warhol, Beuys, Van Gogh und Hieronymus Bosch dran – ein halbes Jahrtausend in fünf Heften, jedes gerade einmal 32 Seiten stark, davon 24 Seiten für die eigentliche Comic-Biographie. Das Ganze hat Format DIN-A 6 und kostet gerade einmal drei Euro Stück. Das ideale kleine Mitbringsel aus Ausstellungen oder für kunstaffine Freunde. Entsprechend gut laufen die Hefte in den deutschsprachigen Museumsshops. Mittlerweile kann Blöss von seinen Heften leben. Und er hat diversifiziert, indem er einzelne Hefte doppelt so groß als Hardcover druckt („Bibliotheks-Edition“, bisher zehn Titel) und fürs Dreifache verkauft. So ist auch fürs Prinzip des größeren Mitbringsels etwas geboten. Sammelboxen für die kleinen Hefte in unterschiedlicher Gestaltung gibt es auch. Man kann von einem kleinen Verlagsimperium sprechen, das aber vor allem auf einen Königseinfall zurückgeht.

Wie aber kann Willi Blöss als Alleinherrscher in seinem Reich, als einzelner Mensch also, die Lebensgeschichten von bislang 37 derart unterschiedlichen Künstlern zeichnen (und Künstlerinnen: schon das sechste Heft widmete sich Frida Kahlo, und damals, 2003, war noch keine große Rede von der notwendigen Korrektur der Kunstgeschichte durch Mehrbeachtung von Frauen; seitdem hat Blöss immerhin noch Niki de Saint-Phalle, Paula Modersohn-Becker, Camille Claudel, Tamara de Lempicka und Peggy Guggenheim in die Reihe aufgenommen und – kluger Schachzug angesichts der Aktualität – diese fünf Hefte auch zu einem dicken Sammelband im größeren Format vereint)? Und strenggenommen sind es mehr als 37, weil es einzelne Hefte zu ganzen Kunstrichtungen gab: Romantik, Jugendstil, Blauer Reiter. Allein die Vorstellung, jemand zeichne da so, wie Dürer, Rembrandt, Caspar David Friedrich,  Klimt, Kandinsky oder eben Beuys malten oder installierten, könnte verstörend wirken.

Aber Blöss geht nicht in diese Falle. Er imitiert die Stile seiner Gegenstände gar nicht. Es ist eine eigene, stark cartooneske Linie, die sich durch alle Hefte und damit Zeiten zieht. Nur bei den jeweiligen Werken der porträtierten Künstler, die natürlich in den Geschichten gezeigt werden, bemüht er sich um Annäherung. Aber auch die hat immer noch karikatureske Distanz. So sieht das etwa im aktuellen Fall von Modigliani aus: https://kuenstler-biografien.de/index/37-amedeo-modigliani.

Wobei Blöss sich nie lustig macht über die Künstler. Comic heißt bei ihm nicht komisch, sondern witzig im Sinne von geistvoll. Die Erzählung bedeutet hier mehr als die Graphik. Es ist ja selbst schon große Kunst, aus einem ganzen Leben, zumal einem aus Sicht der Nachwelt höchst erfolgreichen, 24 Seiten zu destillieren, selbst wenn es wie bei Modigliani nur 35 Jahre waren. Bei Picasso aber eben mehr als neunzig und eine Oeuvrezahl, die in die zehntausende geht, während man bei Modigliani noch im dreistelligen Bereich ist (und zudem in einer einzigen Stilrichtung). Und lustig ist, dass Willi Blöss mittlerweile selbst museal geworden ist: Das Internationale Zeitungsmuseum in seiner Heimatstadt Aachen zeigt derzeit eine Ausstellung (http://izm.de/event/ausstellung-duerer-tod-und-teufel-eine-comic-biografie-von-willi-bloess/), die aus seinem Heft über Albrecht Dürer entstanden ist – vorbereitend und sogar noch ein paar Wochen flankierend zur großen Dürer-Schau des ortsansässigen Suermondt-Ludwig-Museums, die von Mitte Juli an laufen wird.

Die eleganteste Annäherung von Willi Blöss an die künstlerische Handschrift der Biographierten ist die Farbgebung, für die in vielen Heften Beatriz López-Caparrós verantwortlich zeichnet. Nicht allerdings bei Modigliani. Hier  beschwören Rot- und Blautöne jene Stimmung herauf, die die berühmtesten Bilder des Künstlers vermitteln und im allgemeinen n Bildergedächtnis verankert haben. Entsprechend anders ist es bei früheren Heften: Das zu Hockney etwa ist kunterbunt wie dessen Bilder aus den sechziger Jahren, und bei Warhol ist es ebenso, das Heft zu Wilhelm Busch dagegen arbeitet zwar auch mit unterschiedlichsten Farben, setzt diese aber jeweils monochrom ein – und erzeugt dadurch eine nostalgische Anmutung, während Busch selbst niemals derartig kolorierte Bilder veröffentlicht hat; bei ihm waren die Bilderbögen entweder schwarzweiß oder aufwendig mehrfarbig gedruckt.

Man täusche sich also nicht: Blöss bringt überall eher sein eigenes Bild vom Leben eines Künstlers ins Spiel als dessen Bilder selbst. Und das gilt auch für die jeweilige Geschichte- Zwar sind in den Anhängen immer auch die Quellen für die Darstellung angegeben (meist fünf bis sechs Bücher), aber hier wird mehr geboten als Kompilation, nämlich Konzentration. Gewiss bleiben dabei zentrale Ereignisse auf der Strecke, wird oft zugespitzt auf plakative Aspekte eines Lebens (bei Modigliani sind das naheliegenderweise Erotik und tragischer Tod), aber der Mut zu ebendieser Auswahl zeichnet Blöss aus gegenüber der Vielzahl biographischer Künstlercomics in Albenformat und/oder Graphic-Novel-Umfang, die seit geraumer Zeit den Markt überschwemmen. Denen war er nicht nur zeitlich mit dem Beginn seiner Heftserie voraus, sondern er ist auch meist origineller, und ich freue mich deshalb jedes Mal, wenn eine neue Folge erscheint, weil es zeigt, dass dieser Pionier noch immer seine Lücke besetzt.