Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Faschisten schlagen, wo es geht? Wie geht das?

Dass sein jüngster Comicband “Save It for Later” keine zwei Monate nach der amerikanischen Publikation schon auf Deutsch erscheint, ist Nate Powell eine eigene Bemerkung auf seiner Homepage https://www.seemybrotherdance.org/ wert. Aber nicht des Tempos wegen, das der Carlsen Verlag und der Übersetzer Christian Langhagen hier vorlegten (was der Lösung von englischem Satzbau in der deutschen Version nicht gut bekommen ist), sondern weil Powell es bemerkenswert findet, dass ein Comic, der sich mit den Gefahren von wiederauflebendem Faschismus und bedrohter Demokratie in den Vereinigten Staaten befasst, nun ausgerechnet auch in Deutschland herauskommt, das nolens volens immer noch die historische Blaupause für diese Entwicklungen abgibt. „Both an extreme honor and nervewrecking“ nennt Powell diese Erfahrung.

Was die Nervenanspannung betrifft, weiß Powell, wovon er spricht. Der ganze Band dokumentiert eine einzige Nervenprobe für seinen Zeichner. Als Donald Trump 2016 gewählt wurde, war der 1978 geborene Powell gerade zum zweiten Mal Vater geworden. Seiner ersten, auch noch im Vorschulalter befindlichen Tochter musste er vor deren Zubettgehen am Wahltag versichern, dass „der Böse“ schon nicht gewinnen werde; wenn sie aufwache, werde zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte eine Frau ins höchste Staatsamt gewählt sein. Es kam bekanntlich anders, und von dem Schock darüber hat Powell sich erkennbar über mehrere Jahre hinweg nur langsam erholt.

Darüber erzählt er schonungslos. Und vom mühsamen Weg zurück ins normale Leben – zumindest das des Autors, denn sein Comic wurde abgeschlossen, als Trump noch immer Präsident war. „Save It for Later“ ist ein aktivistisches Manifest, mit allen Einseitigkeiten, die eine solche literarische Form verlangt: Schwarzweißmalerei (obwohl die einzelnen Kapitel jeweils einzelne Zusatzfarben aufweisen), Pathos (Leitbilder durchs Geschehen sind handgefertigte Protestschilder der Familie Powell, mit der sie auf den Straßen entlangmarschieren, um gegen die Politik der Trump-Regierung zu demonstrieren) und Dramatisierung (zwischen Demokratie oder Faschismus steht da gar nichts zur Wahl; wenn ein Trump-Befürworter auf dem Markt der Universitätsstadt Bloomington, Indiana, wo Powell lebt, Gemüse verkauft, ist der „ein Nazi“. Da muss man durch, zumal als Deutscher, der sich mit solchen historischen Vergleichen schwertut, weil es in den Vereinigten Staaten erfreulicherweise denn doch noch einmal anders gekommen ist als ehedem im „Dritten Reich“.

Aber was „Save It for Later“ zugleich auch leistet, ist eine Anleitung für Zivilcourage, die sich nicht auf die bequeme Position zurückzieht, es würde schon nicht so schlimm kommen, wie vielerorts behauptet. Powell kann am Beispiel seiner eigenen Familie erzählen, wie der Wahlsieg Trumps ins Privatleben einbrach: wie einige Nachbarn plötzlich ihrem Rassismus freien Lauf ließen, wie martialische Symbole aus der Popkultur (das Totenkopflogo der Marvel-Comicfigur Punisher) verbunden wurden mit martialischen Symbolen – und Verhaltensweisen – aus dem Erbe des Ku-Klux-Klans, wie sich die Staatsgewalt darum drückte, Demonstranten vor tätlichen Übergriffen durch trumptreue Milizen zu schützen. Und wie weiterhin am meisten die schwarzen Bewohner der Vereinigten Staaten schikaniert wurden. Und werden. Dies ist auch ein Comic zur Black-Lives-Matter-Bewegung.

Powell selbst ist weiß, aber als Comic-Biograph der 2020 gestorbenen Bürgerrechtslegende John Lewis hat er beste Kontakte zur schwarzen Community. Seine Trilogie „March“, benannt nach dem berühmten Protestzug von Selma nach Montgomery im Jahr 1965, den der damals fünfundzwanzigjährige Lewis mitorganisiert hatte, erschien von 2013 bis 2016, war also gerade abgeschlossen, als Trump triumphierte. Zudem ist Powell selbst in den Südstaaten aufgewachsen und registrierte deshalb sofort den Umschwung der Stimmung in seinem aktuellen Heimatstaat hin zu einem allgemein als überwunden geglaubten Alltagsrassismus. In der zweiten Hälfte der Amtszeit Trumps begann er wieder aktiv Widerstand zu leisten.

Die Beschreibung der eigenen Gefühle als einsamer Protestler mitten im Verkehr seines Wohnorts Bloomington sind von beklemmender Direktheit, wie man sie sonst nur von den Comics kennt, die Howard Cruise und Robert Crumb über ihre – jeweils ganz unterschiedlichen – Formen des Aktivismus gezeichnet haben.Auf der eingangs angegebenen Website des Zeichners kann man sich das gut ansehen. Powell reiht sich also in eine große Traditionsreihe politischer Comics in den Vereinigten Staaten ein, doch das betont er gar nicht. Vielmehr beschwört er die Notwendigkeit, die nächste Generation zu mündigen und das heißt für ihn: kampfbereiten Demokraten zu erziehen. Er plädiert etwa gegen die singuläre Verherrlichung von Martin Luther King oder Rosa Parks, weil damit die vielen, die diesen beiden zur Seite standen, ausgeblendet würden. Seine eigene John-Lewis-Biographie hatte daraus noch gar nicht alle Konsequenzen gezogen, doch im neuen Band plädiert Powell kompromisslos dafür, dass gerade Kinder herangeführt werden an die entscheidenden Fragen der künftigen Politik. Und die liegen für ihn weniger in Klimafragen als in der Wiederkehr des Faschismus.

Gegen diese Entwicklung ist ihm auch Gewalt recht, denn wer sich auf das Argument, man könnte die Feinde der Demokratie nicht mit deren Waffen bekämpfen, einlasse, habe schon verloren. Meinungsfreiheit für diese Unmenschen? Nein! Und natürlich heißt es zurück-, womöglich auch vorausschlagen, wenn man den Gegner ausgemacht hat. Nur woran man ihn sicher in all seiner Schlechtigkeit erkennt, dass verschweigt Powell. In „Save It for Later“ sind die Nazis und/oder Trumpisten so gezeichnet, dass man sie sofort als Böse identifiziert. Zwischentöne haben hier keinen Platz.

Das passt aber durchaus zur aktuellen Situation in Amerika, wo die gesellschaftlichen Gräben immer tiefer werden. Und man muss fürchten, dass es auch bald zu uns passen wird. Davor indes warnt Powell nicht; für ihn ist der Kampf zwar nicht schon verloren, aber doch unvermeidlich; mit Dialog ist in seinem Weltbild kein Staat mehr zu machen. Das ist eine Position, die wir kürzlich hierzulande bei der Diskussion um einen Aussteller auf der Frankfurter Buchmesse kennenlernen konnten, der dem rechten Spektrum zugerechnet wird. Insofern ist „Save It for Later“ auch hochinteressantes Anschauungsmaterial für eine kompromisslose Ausgrenzungspolitik. Mag sein, dass sie in verzweifelten Situationen das letzte denkbare Mittel ist. Aber sind wir schon in dieser Situation?

Wie gesagt, der Band wurde abgeschlossen, als Trump noch regierte und Corona in den Vereinigten Staaten wütete – mit Hunderttausenden von Toten. Nicht, dass diese Probleme heute obsolet wären, aber es sieht etwas besser aus. Den einzelnen Kapiteln von „Save It for Later“ kann man anhand der Abschlusssignaturen auch ablesen, wann sie jeweils entstanden sind: Das Arrangement im Buch richtet sich  chronologisch nicht danach, also sind einzelne Passagen auch nicht auf der Grundlage von zuvor schon im Band behandelten Phänomenen entstanden, sondern früher. Auch das ist interessant zu rekonstruieren; es zeigt sich, dass Powell sich erst einmal deradikalisierte, bevor er sich doch wieder fürs Kämpferische entscheid. Dieser Comic ist ein Lackmustext – nicht einmal auf die eigene Gesinnung als vielmehr auf die Bereitschaft, sich mit Haut und Haaren und der ganzen Familie einem politischen Ideal zu verschreiben. Die Ausschließlichkeit dabei ist reziprok zu der der Gegenseite. Die Ambivalenz, die Powells Comic bestreitet, löst er selbst zuverlässig aus. Auch keine kleine Leistung. Auf jeden Fall eine aufklärerische, wenn auch teilweise wohl ungewollt.