Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Auf der Suche nach Trufje

Schon mal die Abenteuer von Kuifje gelesen? Aber sicher, denn so lautet der flämische Name jenes Comic-Helden, den die Deutschen Tim nennen und den sein Schöpfer, der Belgier Georges Remi alias Hergé 1929 auf Französisch „Tintin“ getauft hatte. Da der Abdruckort seiner Erlebnisse eine französische Zeitung war, „Le XXème siècle“ in Brüssel, darf man Tintin als wahren Namen nehmen, aber mit der französischen Sprachwahl verkleinerte sich der belgische Absatzmarkt um die Hälfte, 1940, im heiklen Jahr des deutschen Einmarschs und Hergés beginnender Kollaboration mit den Besatzern, war es dann soweit, dass auch eine flämische Zeitung die Serie ins Programm nahm: „Het Laatste Nieuws“. Doch der Name „Tintin“ wurde erst 1943 geändert: eben in Kuifje. Und so hieß dann von 1946 auch die flämische Ausgabe des neungeschaffenen französischsprachigen Comicmagazins „Tintin“.

Genug der Historie, rein in die Gegenwart. Vor mir liegt ein brandneues kleines quadratisches Buch eines belgischen Winzverlags: La 5ème Couche. Der beige kartonierte Umschlag mit Leinenrücken sieht aus wie die ersten „Tintin“-Alben, und das Titelbild zeigt ein schwarzweißes Panel, auf dem eine junger Mann in Tropenkleidung, der von einem weißen Hund begleitet wird,  in die Gegend ballert. Herrchen und Hund reden in Sprechblasen – alles wie in „Tim und Struppi“. Und das Motiv ist leicht zu identifizieren: Es handelt sich um eine Variation des dritten Bildes auf der sechzehnten Seite im Album „Tim im Kongo“. So sieht diese Variation aus: https://5c.be/5c_catalogue.html, und leider ist das auch schon alles, was der Verlag an Information zu seiner Publikation anbietet.

Deshalb noch etwas mehr: Der Autor Chanic heißt in Wahrheit Nicolas Chalupa (die Wahl des Pseudonyms entspricht der Vorgehensweise von Remi, der aus den Anfangsbuchstaben seines namens – R und G – das phonetisch ausgeschriebene Hergé macht. Hier dagegen Cha(lupa) und Nic(olas). Weitaus auffälliger ist allerdings die Wahl des Titels: „Trufje“. Dazu muss man wissen, dass es kaum jemand Streitfreudigeren in Sachen Copyrightverletzungen bei Comics gibt als die Fondation Hergé als Inhaberin der Rechte an „Tintin“. Deshalb hat Chalupa ein Bild gewählt, auf dem Tims Gesicht nicht zu sehen ist, und Struppis Gestalt leicht verändert. Und deshalb heißt das Büchlein „Trufje“ eine lautmalerische Anspielung an „Kuifje“ (Franzosen sprechen die Vokale von „Trufje“ ungefähr so aus wie Flamen die von „Kuifje“), aber beginnend mit dem T von „Tintin“. Maximaler Anspielungsreichtum ans Tintin-Universum, ohne juristische Handhabe zu gewähren.

Was steckt nun drin in „Trufje“? Etwas ganze anderes, als man erwarten dürfte. Nämlich ein Comic im Stil des Oubapo (ouvroir de la bande dessinée potentielle), jener nach dem literarischen Vorbild des Oulipo in den neunziger Jahren entstandenen Gruppe avantgardistischer französischer Comiczeichner, die sich für einzelne Geschichten jeweils selbst Beschränkungen auferlegten. Zum Beispiel nur mit Wiederholungen desselben Bildes zu erzählen. Oder so, dass man die Geschichte sowohl von vorne als auch von hinten lesen kann. Oder auch kopfstehend. Mit diesen Herausforderungen tasteten sich die Oubapoeten an die Grenzen ihrer Erzählform heran. Zu ihnen zählen solche Virtuosen wie Lewis Trondheim, Killoffer, Marc-Antoine Mathieu oder als bislang Einfallsreichste von allen Jochen Gerner.

„Trufje“ könnte gut als Oubapo-Arbeit durchgehen, denn hier wird Seite auf Seite auch immer dasselbe Panel wiederholt, allerdings in Text und Zeichnung verändert; als einzige Konstante bleibt die Ballerei. Chalupa lässt den Schützen und seinen Hund durch die Zeiten und durch die Welt reisen: mal wird als Ku-Klux-Klan-Mann geschossen, mal als Indianer. Mal schießt ein Hund, mal ein Comiczeichner, mal werden Pilze abgeschlossen (von einem Schlumpf), mal Bomben (von einem IS-Kämpfer). Die Schussgeräusche verändern sich mit der jeweiligen Situation, manchmal auch mit dem jeweiligen Kulturkreis („barbatruc“ macht das Gewehr im Land von Barbapapa, „blam“ in einem deutschen Schützengraben des Ersten Weltkriegs, „lôv“ in der Hand eines Jesus-Jüngers). Das Ganze ist ein großer zynischer multikultureller Spaß.

Mit fünfzehn Euro für nicht einmal fünfzi Seiten mit ebenso wenigen Bildern allerdings auch ein teurer. Aber man zahlt mutmaßlich das Risiko mit, dass die Fondation Hergé doch noch Chanics „Trufje“ ins Visier und unter Beschuss nimmt, und dann müsste das abgebildete Geräusch im entsprechenden Panel lauten: kling kling kling“, für die ganzen Strafzahlungen, die fällig werden.