Wie schreibt man diesen Titel? Damit fängt’s schon mal an: „Kleine nette Bildergeschichten“ steht da, aber das L in „kleine“ ist rot durchgestrichen und bei „nette“ ein N ergänzt. Schon heißt es also „Keine netten Bildergeschichten“. Und wir können sehen, wie wir im Netz auf dieses Buch von Miriam Zedelius stoßen sollen.
Amazon – und auf diese Bestellquelle kommt es ja leider immer mehr an – wählt „Keine netten Bildergeschichten“ als Titel. Klingt ja auch ungebärdiger, rebellischer, also kindgerechter. Es ist eine der paradoxen Erkenntnisse, dass Bilderbücher umso tabuloser werden, je mehr Kinder in den Fängen von Helikoptereltern sind. Die wollen wenigstens den Anschein von Wildheit für die behüteten Kleinen bewahren. Also lieber nicht „Kleine nette Bildergeschichten“. Was derjenige, der es wissen muss – der Tulipan Verlag, in dem das Buch erschienen ist – vorzieht, ist nicht herauszubekommen, denn er listet das Buch auf seiner Website gar nicht mehr; dort ist für Miriam Zedelius nur das vor einem Jahr erschienene Bilderbuch „Elfi, das tarurige Krokodil“ verzeichnet. Sieht auch schön aus, und offenbar gibt es eine Kontinuität der Zusammenarbeit von Zeichnerin und Verlag. Aber dass „K(l)eine nette(n) Bildergeschichten“ nur viereinhalb Jahre nach Erscheinen bei Tulipan gar nicht mehr auftaucht, ist schon schofel. Was ist bloß passiert, dass dieses schöne Comicbuch für Kinder unterging?
Eines ist sicher: Es bekam damals zu wenig Aufmerksamkeit. Auch meine nicht. Ich habe das Bändchen erst vor zwei Wochen in meiner Leipziger Lieblingsbuchhandlung entdeckt, die immer wieder aus den Tiefen ihrer Regale vergessene Bücher herauskramt und ihrem Publikum präsentiert- auf dem kostbaren Platz, der gemeinhin Neuerscheinungen vorbehalten ist. Eigene Begeisterung zählt bei dieser Auswahl, nicht Aktualität oder Publizität, und Zedelius hat sicher auch davon profitiert, dass sie in Leipzig lebt und womöglich bei „Wörtersee“ (so heißt die Buchhandlung) ein und aus geht. Aber das weiß ich gar nicht. Ich wünschte es nur.
Ich kann gar keine normale Leseprobe zeigen, nur eine mühsam aufgestörbert Wiedergabe des Tulipan-Herbstkatalogs von 2017: http://docplayer.org/65483898-T-lipan-verlag-herbst-2017.html; dort die Seite 8 auswählen. Da ist immerhin eine ganze Geschichte von insgesamt sieben im Buch enthaltenen zu sehen, und wenn man die Darstellung des Prospekts noch etwas verkleinert, kann man rechts auch das Buchcover sehen und die wunderbare Einzelzeichnung eines Cowboys. Alles wirkt bei Zedelius wie kinderleicht hingeworfen, aber ihre Geschichten sind bitterböse. Das ist definitiv eher ein Buch für Erwachsene oder eines, mit dem man als Kind lernt, was Schadenfreude ist.
Wieso hat es dann beim derzeitigen Bilderbuchtrend zum Anstößigen keinen Erfolg gehabt? Wahrscheinlich, weil es dafür etwas zu früh kam. Oder wohl eher, weil es zwischen die Stühle fiel. Nicht nur bei den Zielgruppen, sondern auch bei der Einordnung im Buchladen. Ja klar, Bilderbuch. Ist ja auch von Tulipan. Aber eben doch auch ein Comic, wenn auch nur mit jeweils einem Bild pro Seite und ganz ohne Worte außer den Titeln der sieben Geschichten: „Cowboy!“, „Familienglück“, „Luftpost“, „Gut gedüngt“, „Pirouette“, „Schäfchen zählen“ und Kokosnuss“ – alles auch nicht gerade wortgewaltig. Lesen lernt man mit diesem Buch nicht.
Aber lachen, denn alles ist gewaltig komisch und hinreißend gezeichnet. Auf so etwas würde ich gerne häufiger verspätet stoßen und noch lieber rechtzeitig. Der Vorzug meiner Verspätung für Menschen, die ich neugierig gemacht haben sollte: Anscheinend hat der Verlag das Buch aus der Preisbindung genommen. Es kostet jedenfalls nirgendwo mehr die zwölf Euro, die ich noch brav gemäß Preisaufdruck bezahlt habe. Aber wenn ein Buchhändler schon so qualitätsbewusst war, dieses kleine Teufelswerk von Miriam Zedelius derart lange vorrätig zu halten, dann hat er auch den vollen Kaufpreis verdient. Prüfen Sie Ihre (Kinder)Buchhandlung! Und belohnen Sie sie, wenn sie diese Prüfung besteht.