Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Feinchirurgischer Feminismus

Jede Comic-Lücke im deutschen Verlagswesen wird geschlossen! Nun hat auch btb, die deutsche Taschenbuchreihe von Penguin Random House, einen Comic im Programm. Und nicht irgendeinen. Vor allem nicht von irgendjemandem. Vielmehr ist die Autorin eine Erfolgsschriftstellerin: Leïla Slimani, Goncourt-Preisträgerin für den Roman “Dann schlaf auch du”, zudem engagierte Streiterin in den französischen Debatten um Islam und Feminismus. Was reizt eine solche Frau am Comic? 

Man weiß es nach Lektüre von “Eine freie Frau” nicht recht. Klar, da ist das Thema: das Leben von Suzanne Noël. Die kennt man hierzulande nicht, aber in Frankreich hat sie einen Ruf wie etwa Florence Nightingale in England. Nicht unbedingt, was beider medizinisches Engagement angeht – Nightingale war ein Engel in Krankenschwesterntracht, Noël dagegen eine durchaus geschäftstüchtige Chirurgin, die sich allerdings auch um die Menschheit verdient gemacht. Einmal, weil sie im Ersten Weltkrieg angesichts der verheerenden Gesichtsverletzungen der Soldaten eine Pionierin der plastischen Chirurgie wurde, und dann, weil sie sich damit in der damals noch rein männlich geprägten Ärzteszene behauptete. Sie war eben eine überzeugte Feministin, die auch vehement fürs Frauenwahlrecht in Frankreich stritt. “À mains nues”, wie der Originaltitel des Comics lautet – mit bloßen Händen. Durch ihrer Hände feinchirurgische Arbeit.

Also mehr als genug gute Gründe für Leïla Slimani, über diese Frau zu schreiben. Nur noch einmal: warum als Comic? Die Dialoge sind unbeholfen (zumindest in der deutschen Übersetzung, aber Blicke in französische Leseproben – eine deutsche gibt es nicht, da könnte btb noch etwas lernen -, etwa auf À mains nues T1 – Tome – Online zu lesen (izneo.com), lassen fürs Original dasselbe fürchten), und Slimani hat erkennbar wenig Sinn für Spannungsdramaturgie, die auch durch Bilder erzeugt wird. Zwar bietet gerade die erwähnte Leseprobe eine sehr ungewöhnliche Sequenz, aber das ist dann auch gleich das Spektakulärste, was die insgesamt fast zweihundert Seiten zu bieten haben (in Deutschland zu einem Band zusammengefasst, während man in Frankreich zwei Teile publizierte).

Mit Clément Oubrerie hat Leïla Slimani sich einen versierten Zeichner ausgesucht, der zudem über reiche Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Autorinnen verfügt – sein größter Erfolg sind die Bände der “Aya”-Comicreihe nach den Szenarios von Marguerite Abouet. Aber auch Oubrerie wirkt bei “Eine freie Frau” wie gehemmt, was damit zu tun haben kann, dass die deutsche Ausgabe gegenüber dem französischen Original verkleinert wurde, so dass seine Bilder zu kleinteilig erscheinen. Besonders auffällig ist das bei einer langen Sequenz von doppelseitigen Panel-Arrangements, die verschiedene Geschehnisse aus der Zeit des Ersten Weltkriegs parallel darbieten. Da laufen die Bildreihen abwechselnd schräg auf und ab, aber dieser Effekt verpufft angesichts des zu kleinen deutschen Formats.

Und viel mehr ist Oubrerie leider auch nicht eingefallen. Seine Figuren sind brave historische Kostümstudien, ein Minenspiel ist kaum auszumachen, nicht einmal in den seltenen Momenten, wo die Handlungsweisen einzelner Akteure an Wahnsinn grenzen. Überhaupt ist alles etwas zu ausgewogen in dieser Emanzipationsgeschichte. Mag ja sein, dass es sich historisch auch genau so verhielt, aber dann hätte das Leben eben einmal die schlechtere Geschichte geschrieben. Wofür haben wir denn Literatur, wenn sie nicht das interessanter macht, was ohnehin geschieht?

Und man kann sich über die deutschen Übersetzung beklagen. “Gueules casssées” nannte man in Frankreich die schwer gesichtsversehrten Soldaten im Ersten Weltkrieg – zerschlagene Fressen. Das war eine Selbstbezeichnung, die in dem Schrecken, den sie ausdrückte, der entsetzlichen Entstellung entsprach. Die Übersetzerin Amelie Thoma wählt dafür den deutschen Begriff “Trümmervisagen”. Er ist weder historisch üblich noch bringt er dieselbe Drastik in den Text. Allerdings könnte man argumentieren, das sich ja auch Slimani und Oubrerie gescheut haben, eine dieser Verunstaltungen als Bild in ihren Comic zu nehmen; es wird vielmehr im entscheidenden Moment jeweils abgeblendet, als wäre man im Hauptprogramm des Kinderfernsehens.

Dagegen gab es keine Skrupel, einen krankheitsbedingt verunstalteten weiblichen Torso zu präsentieren. Die Schauwerte haben sich selbst in feministischen Comics nicht groß verändert. Wann begreifen die Autoren, die sich an Comics versuchen, dass sie es dabei mit einer Erzählform zu tun hat, die ihre eigenen Gesetze hat? und – noch wichtiger – wann versuchen sie, diese Gesetze produktiv zu brechen? Also nicht bloß unbehelflich wie hier.