Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Höhenflug mit Kafkas Pilotenbegeisterung

Das ist der literaturhistorische Ritterschlag: wenn der beste Biograph eines Schriftstellers das Nachwort zu einer Comicadaption von dessen Werken schreibt. So geschehen nicht etwa bei dem Tausendsassa Nicolas Mahler (mit dessen Joyce-, Bernhard-, Proust-, Musil- und Arno-Schmidt-Comics), sondern im Falle der Arbeit eines Zeichners namens Moritz von Wolzogen, der jetzt einen Kafka-Text zum Comic gemacht hat. Kafka! Also von dem Mann, der seine Verleger bekniete, bitte keine Illustrationen zu seinen Texten abzudrucken. Und benachwortet wird dieser Comic durch Reiner Stach, den Autor der unübertroffenen dreibändigen Kafka-Biographie.

 Klugerweise hat sich Wolzogen, der bislang noch nicht zu den etablierten Comicschaffenden gehört, aber schon einiges auf diesem Feld versucht hat, wie man auf seiner Website sehen kann (https://www.moritzvonwolzogen.com/work/comic/), keinen der berühmtesten Kafka-Texte ausgesucht, sondern eine Gelegenheitsarbeit aus dem Spätsommer 1909: die Reportage „Die Aeroplane in Brescia“. die aber immerhin zu den wenigen noch zu Lebzeiten veröffentlichten Texten des Prager Schriftstellers zählt – erschienen in einer deutschsprachigen Tageszeitung seiner Heimatstadt, der „Bohemia“.

Worum geht es? Kafka war damals mit Max Brod und dessen Bruder auf Reisen im südlichen Teil der Habsburger-Monarchie, und da alle drei jungen Männer die moderne Technik vergötterten, ließen sie sich die Gelegenheit nicht entgehen, eine Flugvorführung des damals weltbekannten französischen Flugpioniers Louis Blériot im nahen Brescia zu besuchen. Wie sehr Kafka von der Begegnung mit einem Idol auf die Ferne und dem Dargebotenen beeindruckt war, vermittelt sich noch heute durch die Lektüre der Reportage, und die nimmt man auch besser vor (hier ein Link zum Text für die bedauernswerten Leser ohne Gesamtausgabe: https://www.kafka-prag.de/fileadmin/texte/Die_Aeroplane_in_Brescia.pdf), wenn man den Comic richtig schätzen will. Denn Wolzogen wechselt die Perspektive: Kafka bleibt zwar der Beobachter, aber Wolzogen beobachtet seinerseits ihn. Kafka selbst ist plötzlich der Held des Geschehens.

Nicht, weil er selbst bei Wolzogen etwa flöge, sondern weil er eben Kafka ist und jedes Detail seines Lebens heute wohl bekannter als der ehedem berühmte Blériot. Was wir indes sehen, ist ein geradezu athletischer Kafka, denn alles beginnt mit einem Bad im Gardasee (Kafka war bekanntlich ein begeisterter Schwimmer), und die sportliche Ertüchtigung hat dem wolzogenschen Franz (26 Jahre alt, als er nach Brescia reiste) erkennbar nicht geschadet. Das kann man selbst noch auf den kleinformatigen Kostproben erkennen, die der Verlag des Comics, die in Weimar angesiedelte Edition Nathalie Laue, dazu anbietet: https://nathalialaue.de/de/kuenstler/442/moritz-von-wolzogen. Bei Laue handelt es sich übrigens um eine Galerie, aber wer auch immer interessante Comics herausbringt, ist mir recht.

„Die Aeroplane in Brescia“ sind interessant, auch wenn sie stilistisch eher konventionell daherkommen – am ehesten erinnern sie in Gestus und Farbgebung an Stéphane Heuets Adaptionen von Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“; wohl auch, weil hier wie dort viel mit dem Computer vollendet wurde. Wolzogen hat nicht nur auf Grundlage der Fotoporträts von Kafka und den mitreisenden Brüdern Brod geschickt cartoonisierte Versionen ihrer Persönlichkeiten angefertigt, sondern auch wie Heuet aufwendige Bildrecherche fürs Setting betrieben. Und plötzlich wird das schon bei Kafka beschriebene stundenlange Warten auf sekundenkurze Ereignisse sichtbar in der Weite des kargen Flugfelds und den müden Blicken der Piloten.

Vierundzwanzig Seiten nur hat die gezeichnete Geschichte (das ganze Album klassische achtundvierzig), aber das ist genau richtig, denn Kafkas Reportage ist ja auch kurz, und selbst wenn hier zum Auftakt die biographische Vorgeschichte des Besuchs in Brescia mit hineinspielt (dafür wird Stachs Expertise unerlässlich und unermesslich gewesen sein), ist Wolzogen dafür zu loben, dass er der naheliegenden Versuchung, aus der biographischen wie journalistischen Petitesse ganz großes gezeichnetes Kino zu machen, nicht nachgekommen ist. Gerade die Unaufgeregtheit seiner Adaption kontrastiert aufs Schönste mit der Aufregung, die Kafka damals offenbar erfasste und die Wolzogen durchaus sichtbar macht. Hätte der Zeichner jedoch selbst noch Aufgeregtheit draufgesattelt, hätten wir eine Art Action-Comic bekommen, der widersprüchlich zu dem gewesen wäre, was Kafka dann geschrieben hat. Und auch Wolzogen nennt seine Geschichte eine „Reportage“, wenn auch eine „graphische“.

Und was sagt nun Reiner Stach dazu? Nichts, denn sein Essay „Franz Kafka und die Piloten“ geht über die entsprechenden Ausführungen im 2014 erschienenen Abschlussband seiner Biographie nicht hinaus. Wozu auch, es steht ja eh (fast) alles über Kafka darin. Zum Comic sagt Stach nichts, aber in Wolzogens Danksagung wird er bedacht für „viele gute Gespräche über einen Kafka in Farbe“. Und jemand wie Stach würde doch keine Zeit auf etwas verschwenden, das ihm seinem Leib- und Magenthema unangemessen erschiene. Also höchstes Lob selbst bei konkretem Schweigen. Und ich habe das, was Stach geschrieben und verschwiegen hat, und das, was Wolzogen gezeichnet hat, auch gerne im Regal.