Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Freude an diesem Weltuntergang

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Erst vor wenigen Wochen kam der Spielfilm „Tove“ in die deutschen Kinos, ein Biopic über die legendäre finnische Zeichnerin und Autorin Tove Jansson (1914 bis 2001). Leider ging das zauberhafte Werk an der Kinokasse unter, aber das passt durchaus zu Jansson, die es auch nicht leicht hatte mit ihrer Kunst. Und die vom Untergang fasziniert war. Das zeigt schon der erste Comic, den sie gezeichnet hat. Er erschien 1947 und hieß „Mumintrollet och jordens undergang“ – Mumin und der Weltuntergang.

Nie gehört? Hatte ich bis vor zehn Jahren auch nicht. Da besuchte ich das Mumin-Museum im finnischen Tampere und kaufte dessen schwedischen Katalog (Jansson gehörte zu jener großen Bevölkerungsgruppe in Finnland, die Schwedisch spricht). Darin war die Geschichte abgedruckt. Dagegen fehlt sie in der immerhin achtbändigen Gesamtausgabe der Mumin-Comics, die vor ein paar Jahren auf Deutsch im Reprodukt Verlag erschienen sind. Der Grund dafür ist einfach: In der als internationale Kooperation erstellten Gesamtausgabe wurden nur diejenigen Comics berücksichtigt, die Jansson von 1952 an für die englische Tageszeitung „The Evening Star“ gezeichnet hat und die den Ruhm der Autorin in Großbritannien und den Vereinigten Staaten begründete.

In Deutschland sah es damit schlechter aus, aber wenn Kristina Maidt-Zinke in ihrem sehr persönlich gehaltenen Nachwort zu der gerade publizierten deutschen Erstübersetzung von „Mumin und der Weltuntergang“ behauptet, Janssons Figuren seien hierzulande „eher selten anzutreffen“, kann ich genauso persönlich dagegenhalten, dass nicht nur ich selbst mit Mumin-Büchern aufgewachsen bin, sondern auch meine Frau und einige meiner besten Freunde. Vielleicht sind Mumin-Leser nur einfach nicht so mitteilungsfreudig betreffs ihrer Faszination wie etwa Donaldisten (ich weiß, wovon ich rede). Dabei sind beide Gruppen ziemlich deckungsgleich.

Nun aber zum Comic. Der entstand für die schwedischsprachige Wochenzeitung „Ny Tid“, die Janssons zeitweiser Geliebter Atos Wirtanen in Helsinki herausbrachte (beider wunderbar zögerliche Liebesgeschichte ist im Film „Tove“ ausgiebig Thema). Jansson hatte noch nie zuvor Comics gezeichnet, aber ihre ersten beiden Mumin-Bücher hatte sie mit Illustrationen versehen; über die Figurengestaltung musste sie also nicht mehr nachdenken. Für die Geschichte wählte sie den Inhalt ihres zweiten Buchs, „Komet im Mumintal“, allerdings ist in den 26 Comic-Episoden einiges anders geworden. Die Handlung ist kürzer erzählt (jede wöchentliche Folge hatte nur sechs Bilder, und das Buch umfasste immerhin an die zweihundert Seiten), und es gibt trotzdem mehr Figuren. Denn Jansson hatte ebenfalls 1947 „Eine drollige Gesellschaft“ geschrieben, ihr drittes Mumin-Buch, und das wurde im Gegensatz zu „Komet im Mumintal“, dessen apokalyptischer Inhalt beiden Eltern des potentiellen Publikums wenig Anklang fand, ein großer Erfolg. Also wurde das darin erweiterte Figurenensemble auch im Comic eingesetzt, vor allem das verschworene Kinderpaar Tofsla und Vifsla mit ihrer Geheimsprache – ein schon an den Namen erkennbares Selbstporträt der mittlerweile begonnenen lesbischen Liebesbeziehung von Tove Jansson zu Vivica Bandler. (Wenn das die Eltern des potentiellen Publikums gewusst hätten!)

In diesen Geschichten steckt also viel drin, aber – zur Beruhigung der Eltern … – das muss man gar nicht alles wissen. Denn was zählt, vor allem für Kinder, ist die im Wortsinne phantastische Erzählweise. Man fühlt sich geborgen, selbst wenn es um den Weltuntergang geht. Bezeichnend jene Comic-Episode, in der Muminvater nervös auf die Rückkehr seines Sohnes wartet, der Titelfigur des Mumintrollet (im Deutschen nur Mumin): „Mein Sohn wird niemals rechtzeitig zum Weltuntergang nach Hause kommen!“ Die Sorge gilt dem Zuspätkommen, nicht dem Schreckensereignis.

Solche grandiosen Dialoge sind allerdings nicht in Sprechblasen angelegt, sondern stehen unter den Bildern – Jansson war anfangs noch einer kontinentaleuropäischen Comictradition verpflichtet, die wie für Bilderbücher arbeitete. Erst als sie für den englischsprachigen Markt tätig wurde, schwenkte sie auf Sprechblasen um, und dazu mussten ihre Auftraggeber sie mehr oder weniger zwingen. Gut gemacht, denn die späteren Comics sehen schon noch etwas besser aus.

Wobei „Mumin und der Weltuntergang“ nicht nur der inhaltlichen Übernahme aus der Buchreihe wegen viel näher am Geist des „Mumin“-Zyklus ist als die eher satirischen Comic-Strips. Tove Jansson packte ihre ganze Liebe zu den Dingen in ihre Bücher, und plötzlich merkt man, dass es die Materialisten sind, nicht die religiösen Metaphysiker, die am Erhalt der Welt wirklich interessiert sind, denn sie haben ja kein Himmelreich, aus das sie bauen können. Die Mumins sind Materialisten und deshalb umweltbewusst. Und gebildet; zur Vorbereitung aufs Kommende liest eine Figur Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“. Das fehlt übrigens in „Komet im Mumintal“; Jansson hat bei der Konzeption ihres Comics nicht nur bei der Figurenzahl zugelegt. Und die Insinuation Maidt-Zinkes, die Autorin könnte vorzeitig zum Abbruch der Serie gezwungen worden sein, ist natürlich Quatsch. Die Geschichte ist zu Ende erzählt, und zwar gerade am Ende, das sich am stärksten von der Buchvorlage unterscheidet, in großer Ausführlichkeit, und 26 Episoden entsprechen genau einem halben Jahr Publikationszeit – typischer Fall einer Vereinbarung mit Zeitungen.

(Einschub nach einer freundlichen Mail von Janne Wass, Redakteur von “Ny Tid”: Kristina Maidt-Zinke hat offensichtlich recht mit ihrer Einschätzung, und meine Vermutung war Quatsch. Tatsächlich sei Jansson von Wirtanen gwebten worden, ihre Serie früher als geplant zu beenden, weil die Leser des kommunistisch ausgerichteten Blattes die Mumin-Familie als “zu bürgerlich” empfanden. Allerdings wurde der Zeichnerin so viel Zeit eingeräumt, dass sie ihre Geschichte abrunden konnte. “Dass die Sache nicht übereilt wirkt”, schreibt Janne Wass, “zeigt Janssons Fähigkeiten als Erzählerin.” Da hat er recht, wobei ich immer noch gerne wüsste, warum Jansson dann zu Beginn so viel von der Buchvorlage entfallen ließ und am Ende eher noch ergänzte. Aber womöglich erfolgte die Reaktion des Publikums ja so rasch, dass alles ganz neu konzipiert werden musste – im dann vorgegebenen neuen Zeitraum. Spannende Frage jedenfalls. Leider weiß ich nicht, ob es einen erhaltenen Briefwechsel zwischen Jansson und Wirtanen gibt.)

Ort der deutschen Publikation dieses Kleinods ist der Schünemann Verlag, der wenig Ahnung von Comics hat, weshalb auf der Website https://www.schuenemann-verlag.de/buchverlag/neu/mumin-und-der-weltuntergang.html auch keine Leseprobe zu finden ist; anschauen kann man sich einige Folgen aber auf http://www.saunalahti.fi/trygvsod/slammer/2007/Tove-Jansson-En-lycklig-serietecknare.html, und dass sie dort nur auf Schwedisch zu sehen sind, ist insofern sogar gut, weil auch die deutsche Ausgabe die janssonsche Handschrift in den Comics (und damit auch den schwedischen Text) unverändert lässt, um das harmonische optische Erscheinungsbild nicht zu zerstören, und die Übersetzung darunter abdruckt. Untypisch auch das, aber angesichts der philologisch sorgfältigen Edition durchaus ansprechend. Es ist ein wirklich schönes Buch. Und mit besonderer Freude konnte ich feststellen, dass in meinem Katalog aus Tampere ein paar Episoden vom Beginn der Geschichte gefehlt haben.

Zu verdanken ist das Buch der janssonbegeisterten Herausgeberin Barbara Müller und dem Mumin-Fanatiker Christian Panse, der die wortgetreue deutsche Übersetzung besorgte. Wie gut die von der Atmosphäre her ausfällt, habe ich daran gemerkt, dass ich mich bei der Lektüre sofort wieder in die Geborgenheit meines Kinderzimmers zurückversetzt fühlte, wo ich mit der „Drolligen Gesellschaft“ lesen lernte. Und natürlich auch schauen, denn Janssons Bilder sind von unglaublicher Expressivität bei scheinbarer Naivität. Schauen und Staunen sind da eins.

 

 


1 Lesermeinung

  1. qpaly sagt:

    Die wirklich wahre Wirklichkeit...
    … wird evtl. niemand mehr herausbringen. Der im Blogbeitrag verlinkte Artikel von Trygve Söderling geht genau darauf ein und vermutet, dass Tove irgendwann auch mal wieder Lust auf was ganz Anderes hatte, zum Beispiel auf die unmittelbar auf das Publikationsende folgende Italienreise, und deswegen die Geschichte zielgerichteter zu Ende brachte als vielleicht anfangs gedacht. Die “offizielle” Version, die Leserschaft hätte sich am vom Muminvater gelesenen “Monarchistenblatt” gestört, wird bezweifelt; ich wäre bereit, da mitzugehen, denn das kam in Folge 1 vor und dann nie wieder.

    Aus einem Brief, den Tove an Atos Wirtanen am 4. Januar (also 3 Monate vor dem letztmaligen Erscheinen):

    “Liebster,
    hier liege ich stolz umgeben von 60 frisch vorbereiteten Leinwänden, kuriere eine kleine Erkältung aus und lese Stendhal. Mumin ist beim Weltuntergang angekommen, danach kann eine völlig Neue Zeit [Ny Tid] beginnen, genau, wie wir sie haben wollen. … ich bin bereit für eine größere Explosion. 60 Leinwände, das ist doch ganz anständiges Material, oder? …”

    Man könnte herauslesen, dass die Comicstreifen zu diesem Zeitpunkt (auf der Hälfte der Strecke) im Wesentlichen fertig konzipiert oder gar produziert vorlagen, das Projekt im Geiste abgehakt und der Blick schon völlig auf Malerei und Reise gerichtet war.

    Hinterher erzählte Tove selbst immer die “offizielle” Version, und die Sachwalter ihres Erbes desgleichen. Und wie es im hiesigen nachträglichen “Einschub” formuliert steht, muss das ja kein großer Widerspruch sein.

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