Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Pink is beautiful

Ich mochte das Buch beim ersten Aufblättern nicht – zu viel zeichnerischer Dilettantismus im schlechteren Sinne, dachte ich. Aber die vielen Jahre als Comicleser haben mir eines klargemacht: Traue nie dem Auge allein, denn der hässlichste Comic kann eine gute Geschichte bieten, während etliche wunderschön aussehende bei der Lektüre zu erzählerischen Katastrophen werden. Und allemal lieber Ersteres als Letzteres.

Um es vorwegzunehmen: „Virus Tropical“ von Powerpaola gehört klar zur ersteren Kategorie. Und vor allem ist es alles andere als schlecht gezeichnet. Die Geschichte steht – die Zeichnerin erwähnt das selbst – in der Tradition der Comickunst von Julie Doucet, und wie die Kanadierin das Unmittelbare eines scheinbar unbeholfenen Strichs zum höchstpersönliche Ausdruck ihrer autobiographisch-feministischen Geschichten gemacht hat, so hält es auch die in Ecuador geborene Kolumbianerin Paola Gaviria, die unter ihrem Künstlernamen Powerpaola im argentinischen Buenos Aires lebt.

Eine Comiczeichnerin aus dem „globalen Süden“, wie der derzeit modische politisch korrekte, semantisch aber völlig sinnlose Begriff lautet. Dazu eine, die über ihr Leben erzählt, das 1977 in prekären Verhältnissen – eher familiär als finanziell – begann und sich dann in bewusster Opposition zu den Erwartungen der Eltern im jugendlichen Alter in Richtung Kunst entwickelte. Ein idealer Stoff, möchte man meine, aber „Virus Tropical“ wurde elf Jahre lang in Deutschland nicht beachtet, nicht einmal, als die Trickverfilmung des Albums 2018 auf der Berlinale lief, und jetzt hat sich auch keines der großen hiesigen Comichäuser seiner angenommen, sondern Tina Brenneisens Berliner Kleinverlag Parallelallee. Dort will Lea Hübner, die derzeit eifrigste Propagandistin und Übersetzerin des lateinamerikanischen Comics, eine ganze Reihe mit Werken aus diesem Weltteil begründen. „Virus Tropical“ macht den Anfang, der Umschlag in schreiendem Pink gehalten, 160 Seiten für neunzehn Euro (also ein Schnäppchen), und sollte der Band erfolgreich sein, gäbe es allein von Powerpaola noch sechs weitere Bücher zu übersetzen.

Wie „Virus Tropical“ im Inneren aussieht, kann man anhand der Leseprobe auf der Website von Parallelallee überprüfen (https://www.parallelallee.de/comics/virus-tropical/): sehr punkig, recht ungelenk, aber extrem expressiv. Zudem mit immensem Witz erzählt; allein schon der Titel ist ein Coup, denn er verdankt sich der Diagnose eines ecudaorianischen Arztes, als Paolas Mutter mit ihr schwanger war, was der Mediziner aber nicht erkannte. Warum allerdings der spanische Titel beibehalten wurde und nicht einfach „Tropenkrankheit“ als Übersetzung gewählt wurde, lässt rätseln. Wahrscheinlich soll es schön fremdartig klingen; so wird weiter fleißig am Exotismus gearbeitet, den doch sonst so eifrig bekämpft werden soll.

Dabei ist Paolas Geschichte wahrhaft global, nämlich allgemeingültig für junge Frauen in einer sich ehedem nur langsam wandelnden Gesellschaft. Mittlerweile verläuft der Wandel schneller, aber das verdankt sich der Offenheit, mit der Erzählerinnen wie Powerpaola auftreten. Es kann peinlich gewesen sein oder heroisch – dieser Comic vermittelt unbedingte Wahrhaftigkeit. Zudem lernt das deutschsprachige Publikum auch noch einiges übers Leben in Südamerika, was dann doch nicht so einfach verallgemeinerbar ist. Kein Wunder, dass es Paola Gaviria als Erwachsene auf andere Kontinente zog, nach Europa und Australien. Davon mehr, wenn die anderen Comics der Autorin auch noch übersetzt werden sollten.

In der Formensprache ihrer Erzählkunst hat sie Verwandte überall auf der Welt: Doucet in Kanada wurde schon genannt, in Deutschland wäre Birgit Weyhe zu erwähnen, in der Schweiz Simone F. Baumann, in Frankreich Nine Antico, in den Vereinigten Staaten Jessica Abel. Aber es gibt auch genug Männer, die diese rohe Ästhetik pflegen: Matt Konture, Baladi, Stéphane Blanquet, ja selbst bisweilen Jean Christophe Menu oder Manu Larcenet, um einmal nur französische Zeichner zu nennen. Wobei die Männer ihre ambitionierteren Geschichten gefälliger zeichnen, während sie den rauen Stil dem Schlichten vorbehalten. Das machen die Frauen anders: Bei ihnen ist das Ungeschönte Ausdruck ihrer Welterfahrung. Powerpaola ist dafür ein glänzendes Beispiel. Unbedingt lesen, auch gegen etwaige ästhetische Widerstände.