Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Trivialliteratur mit Blutdurst

Ich bin kein Pulp-Leser, kein Freund des Westerngenres, auch nicht mit Comics von Hansrudi Wäscher sozialisiert worden – was also um Himmels willen sollte ich mit einem Billy-Jenkins-Comic, der im Stil eines Pulp-Heftes von den Abenteuern eines Westernhelden erzählt, und das in einer Geschichte, die Wäscher auch nicht unglaubwürdiger hinbekommen hätte? Nun, ich hatte meinen Spaß damit, und das kam so.

Rainer Gabriel aus Düsseldorf, Zeichner und Autor dieses Heftes und ersichtlich großer Freund all des Vorgenannten, das mich nicht interessiert, schickte mir seinen 128 Seiten starken Comic, der als Eigenpublikation hergestellt wurde und bei Fanpro im Vertrieb ist. Liebhabersache in jeder Hinsicht also. Die Hauptfigur Billy Jenkins orientiert sich an einem realexistierenden Westernhelden, der allerdings nur in Deutschland  agierte: Otto Rosenthal alias Erich Fischer (so die Namenswahl, als jüdische Abstammung in Deutschland tödlich zu werden begann) trat von 1909 bis zu seinem Tod 1954 als Darsteller in und schließlich auch Impresario von Wildwest-Shows durch Deutschland. Im „Dritten Reich“ heulte er mit den Wölfen, denn einige Granden des Regimes zählten zu seinen Bewunderern. Nach 1939 war er in den deutsch besetzten Ländern zur Truppenunterhaltung der Wehrmacht unterwegs, und er überlebte sowohl den Krieg als auch die Schoa.

Was ein Stoff, und tatsächlich entnimmt Gabriel dieser Vita etliche Versatzstücke für eine hanebüchene Geschichte: Jenkins ist im Winter 1945 in Pommern Teil der vor der Roten Armee gen Westen flüchtenden Deutschen und bewährt sich dabei in jener heroischen Rolle, die er bis dato immer nur gespielt hat. „Mr. Jenkins ’45 – Billy auf der Flucht“ ist ein sehr schlaues Balancespiel zwischen Realität und Fiktion, und drei Ebenen werden durch unterschiedlichen Farbeinsatz markiert: Blau eingefärbt sind Billy Jenkins‘ Tagträume von seinen Heldentaten, braun Rückblicke ins Leben des tatsächlichen Otto Rosenthal und schwarzweiß mit einzelnen Einsprengseln von Blutrot ist das eigentliche Geschehen. Gabriel überführt diese drei Ebenen sehr geschickt ineinander.

Weniger geglückt ist die Graphik dieses Hefts. Um eine Anschauung zu geben, verlinke ich hier einfach auf eine andere Besprechung: die der verdienstvollen Comiczeitschrift „Alfons“ (https://www.reddition.de/blog/frisch-gelesen-archiv/sonstigeverlage2/fg-301-fanpro-billy-jenkins-auf-der-flucht), der man noch viel mehr zum medialen Erbe des Billy Jenkins entnehmen kann. Was Gabriel da macht, erinnert an die unbeholfenen Versuche von Yves Chaland in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren, und was ist aus dem noch geworden! Nur war Chaland damals ein Jüngling, Gabriel ist etwas fortgeschritteneren Alters, und in Deutschland haben es Genrecomics schwerer als in Frankreich.

Sehr hübsch sind die farbigen Binnencover z jedem der drei Teile des „Billy Jenkins“-Abenteuers. Damit wird das Gefühl einer ganzen Heftserie erweckt, wobei die Konsequenz von Gabriel nicht so weit geht, dass die drei Teile auch jeweils die gleiche Länge hätten. Eingeleitet werden sie zweimal mit einer Archivalienseite – warum der dritte Teil nicht mehr in diesen Genuss kommt, ist unerfindlich. Bei den Covern haben Vorbilder wie Jijé oder die „Simplicissimus“-Zeichner Pate gestanden, und wäre das Proportionengefühl bei Gabriel etwas ausgeprägter, könnten auch die Comic-Panels ähnlich überzeugen. So indes hat man manchmal den Eindruck bloßer Fan-Fiction. Was ja auch nicht das Übelste ist.

Die Handlung strotzt vor Klischees – negativen, was die Nazis angeht, positiven betreffs der Roten Armee, und dazwischen agieren einmal eine recht naive Gruppe deutscher Flüchtlinge und dann der alternde, aber heroische Jenkins. Wie geschickt Gabriel die Ambivalenz eines Protagonisten zu nutzen versteht, zeigt eine Episode, in der Jenkins von zwei Nazi-Killern angeschossen und für tot liegengelassen wird: Die Maschinengewehrgarbe überlebt er, weil ein Stahlkorsett die Kugeln ablenkte. Und tatsächlich trug der reale Otto Rosenthal aus gesundheitlichen Gründen in den vierziger Jahren solch ein Korsett.

Damit protzt Gabriel nicht, er baut es ein und überlässt es dem Publikum zu überprüfen, was wirklich und was phantastisch ist. Einige Anregungen legt er auch offen, und auf manches hätte er besser verzichtet: so etwa die miserabel gedruckten Skizzen, die zwischen den Hauptteilen zu finden sind, oder eine ganzseitige Porträtzeichnung im Halbprofil, von der man gerne gewusst hätte, wen sie darstellt: Rosenthal? Oder doch Gabriel selbst? Oder ist es ein idealiter gezeichneter Jenkins? Ach ja: Noch eine Warnung: Blut fließt hier in Strömen, und Drastik scheint dem Autor zu gefallen. Man könnte das tarantinoesk nennen, aber ich neige bei einigen Szenen doch eher zu „geschmacklos“.  Doch im Ganzen ist das ein Buch, an dem man seine eigene Erzähltoleranz gegenüber dem Trivialen auf angenehmste Weise überprüfen kann.