Normalerweise lasse ich mir etwas Zeit, bevor jemand zum nächsten Mal in diesem Blog vorkommt. Bei der italienischen Zeichnerin Zuzu aber ist das erst etwas mehr als ein Jahr her (https://blogs.faz.net/comic/2021/06/21/verschoenerung-durch-verstoerung-1745/), und trotzdem, soll hier schon wieder von ihr die rede sein. Der Grund dafür ist ganz einfach: Was sie macht, ist so ungewöhnlich, dass ich ins Staunen komme. Das war beim ersten Mal so, und jetzt ist es wieder der Fall. Doch diesmal aus anderen Gründen.
„Glückliche Tage“ heißt der neue Band, wieder in Übersetzung von Denise Hofer bei der Edition Moderne erschienen, aber in kleinerem Format und knallbunten Farben. Nicht,. Dass man das bei diesem Umschlagbild vermuten würde Es zeigt die Protagonistin Claudia als Profilansicht in Schwarzweiß, deren rote Lippen und gelbe Augen die einzigen kleinen Farbflecken bilden. Aber der mehr als 45o Seiten umfassende Comic selbst ist mit Buntstiften koloriert, als feierte er die Freuden des Lebens. In der Leseprobe https://www.editionmoderne.ch/buch/glueckliche-tage/ kann man sich diesen Kontrast ansehen.
Nun konnte man bei Zuzu nach dem ersten Comic kaum eine optimistische Sicht auf die Welt erwarten, und obwohl ihr neues Buch den Titel „Glückliche Tage“ trägt, ist das auch hier überwiegend nicht der Fall. Wer sich ein wenig fürs Theater interessiert, weiß, dass „Glückliche Tage“ auch der Titel eines Dramas von Samuel Beckett ist, und wer sich ein wenig mit Beckett beschäftigt hat, der weiß, dass seine Figuren alles andere als glückliche Tage verleben. Das ist bei der Mittzwanzigerin Claudia nicht anders, die sich mit einem Monolog aus dem Beckett-Stück für eine Schauspielausbildung in Rom bewirbt. Ob diese von ihr bewegend vorgetragene und von Zuzu noch bewegender gezeichnete Probe bei der Auswahlkommission Eindruck machte, erfährt man nie, denn Claudia läuft danach einfach weg. Zu sehr entsprach das, was sie vortrug, ihrem eigenen Seelenzustand.
Der ist aufgewühlt, denn in Rom hat sie ihre frühere Liebe Giorgio wiedergetroffen, der – Achtung: extremer Spoiler! – in der Nacht vor dem Vorsprechen sexuell übergriffig und von Claudia erschossen wurde. Ihr aktueller Freund Piero ist weit weg, und der Comic hat von Beginn an diese zweite Liebesbeziehung als im Schatten der ersten stehend charakterisiert – vor allem sexuell. Als Claudia Giorgio kennenlernte, war sie achtzehn und er jenseits der dreißig, entsprechend formte er sie, und sie ließ sich formen. Piero dagegen ist ein eher noch jugendlich agierender Archäologiestudent, von dem Claudia gerne mehr Aufmerksamkeit bekäme, als er ihr zugestehen will. Daraus resultiert die Sehnsucht nach der verflossenen Beziehung – und das Drama beim Wiedersehen mit Giorgio.
„Glückliche Tage“ ist das Psychogramm einer jungen Frau, die als Chimäre gezeichnet wird: spitze, nach oben gebogene knallrote Nase, scharfe lange Reißzähne, oft ein Katzenschwanz und bisweilen auch Engelflügel – immer dann, wenn sie sich in Träumen verliert Das könnte man surrealistisch-abgeschmackt nennen, aber Zuzu nutzt diese Attribute für ihre Handlung, bis hin zu einem rettenden Flug, den Claudia antritt. Man sollte es nicht glauben angesichts ihrer Seelenpein und der drastischen Ereignisse, aber das Ganze geht – Achtung: schon wieder Spoiler, aber der wird Sie freuen – gut aus. Und das hätte ich Zuzu nicht zugetraut.
Und noch ein Wort zum Stil: Hier wird ganz anders als im Erstling „Cheese“ erzählt. nicht nur farbig, sondern auch in strengen Seitenarchitekturen aus jeweils gleichgroßen Panels: entweder drei seitenbreite, sechs moderat querformatige oder zwölf quadratische; ganz selten gibt es ganz- oder gar doppelseitige Bilder, die aber dann nicht notwendig spektakuläre Handlungselemente markieren, sondern viel eher als Zäsuren eingeschoben sind, die den Rhythmus der kleinteiligen Sequenzen zuvor durchbrechen. Ich habe ein solches dramaturgisches verfahren noch nicht gesehen. Es verstört, und das passt zur Geschichte.
Manches sperrt sich in mir gegen Zuzus Geschichten, das ist bei „Glückliche Tage“ nicht anders, als im Falle von „Cheese“ war. Aber dass da ein ganz großes Talent zeichnet und erzählt, ist unübersehbar. Und dass endlich einmal nicht immer nur der Berliner Avant Verlag ein Auge für italienische Comic-Pionierarbeit hat, sondern auch die Schweizer Edition Moderne es nun beweist, ist eine große Freude. Es gibt plötzlich Wildpfade neben dem ausgetretenen Wegenetz der deutschen Rezeption von Comics (aus Amerika, Frankreich, Japan). Auf denen läuft es sich nicht leicht, aber sie führen an Ziele, die wir noch nicht kannten.