Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Energiemix ohne menschlichen Faktor?

Energiekrise dürfte das meistgebrauchte Wort der letzten Wochen in Deutschland sein. Und gerade haben wir deshalb wieder ein paar Monate länger Atomkraft in Aussicht, als es eigentlich vorgesehen war. Nach dem 11. März 2011, als ein Tsunami die Kernreaktoren von Fukushima so schwer beschädigte, dass ein GAU eintrat, hatte es ja ein wundersames Umdenken unter der damaligen Regierung gegeben, und der deutsche Ausstieg aus der Atomenergie war rasch beschlossen. Dass rund um uns herum kein anderes Land dasselbe machte, interessierte nicht so recht. Aber klar: Obwohl Strahlung keine Grenzen beachtet, ist jeder Reaktor weniger auch eine Minderung des Risikos.

Nur wird gerne argumentiert, unsere Kernkraftwerke wären ja so sicher. Das mag sein, aber Fukushima hat gezeigt, dass bestimmte bedrohliche Ereignisse nicht planbar sind. Oder die gewählten Gefahrenabwehrmaßnahmen nicht ausreichen – so war der Schutzdamm vor Meeresfluten in Fukushima niedriger als schon mehrfach dort aufgetretene Springfluten. Das liest man ganz nebenbei in einem Comic, den die beiden französischen Autoren Bertrand Galic (Text) und Roger Vidal (Zeichnungen) im vergangenen Jahr zum zehnten Jahrestag der japanischen Katastrophe veröffentlicht haben, und der nun, als wäre er topaktuell zur laufenden Debatte gezeichnet, auf Deutsch erscheint: „Fukushima“ heißt er wenig einfallsreich.

Das ist nicht der erste Comic zum Unfallhergang. Vor sechs Jahren erschien der sechsbändige Manga „Reaktor 1F“ von Kazuto Tatsuta (von mir an dieser Stelle hier damals vorgestellt: https://blogs.faz.net/comic/2016/08/31/unterwegs-zum-kern-der-kernschmelze-913/). Der stammte von einem früheren Aufräumarbeiter in Fukushima und erzählte von den Folgen der Kernschmelze. Galics und Vidals „Fukushima“ erzählt dagegen von deren Hergang, den fünf Tagen des eigentlichen GAUs. Allerdings auch retrospektiv: Den Rahmen der Handlung stellt die Aussage des Direktors der Anlage, Masao Yoshida, vor einem Untersuchungsausschuss im auf das Unglück folgenden Sommer dar. Er erzählt, was vom 11. März 2011 an geschah, und wer sollte es besser wissen?

Andererseits: Wer sollte interessierter daran sein, die Dinge schönzufärben? Nun, die Chefs von Tepco etwa, der Betreibergesellschaft von Fukushima. Sie kommen katastrophal weg in Yoshidas Bericht, und auch die für ihre frühe Reaktion oft gefeierten japanischen Politiker treten hier vor allem als auf symbolische Besuche bedachte Störfaktoren bei den Bemühungen, das Schlimmste doch noch zu verhindern, auf. Yoshida weiß, dass er den Mitarbeitern beim Bemühen, den Kollaps der Reaktoren zu verhindern, deren leben abverlangt. Schon in den fünf Tagen der Handlung sterben einige an der immensen Strahlung; andere werden bald folgen, Yoshida selbst etwa mehr als zwei Jahre nach dem Unglück an einer durch die Strahlenüberdosis ausgelösten Krebserkrankung. In der kurzen Lebensspanne, die ihm noch vergönnt war, wurde Yoshida zum Mahner. Das beglaubigt seine Aussage über die dramatischen Umstände.

Die im Comic geleistete Rekonstruktion der Ereignisse ist ungeachtet der Tragödie so sachlich und genau, wie man es von einer Aussage vor einer Untersuchungskommission erhofft. Trotzdem ist die Spannung beim Lesen groß. Allerdings ist der Band wie so oft auf dem Feld des Sachcomics (oder sagen wir: der semifiktionalen gezeichneten Dokumentation) in einem gesichtslosen Stil gehalten, der zwar graphisch sorgfältig genannt werden kann, aber eben keine individuelle Zeichnerhandschrift verrät, gehalten. Warum der deutsche Verlag, Cross Cult, keine Leseprobe anbietet, möchte man gerne wissen (sicherlich nicht der bescheidenen Qualität wegen). Aber es gibt ja die des Originalverlags Glénat zur französischen Ausgabe, und die ist aussagekräftig: https://www.glenat.com/hors-collection-glenat-bd/fukushima-9782344034378. Da kann man sehen, was ich meine.

Aber man lernt sehr viel aus „Fukushima“. Zumal es auch noch einen zehnseitigen Anhang mit Erläuterungen zum Unfall und den Beteiligten gibt. Wer danach Kernenergie noch für beherrschbar hält, sitzt einer Schimäre ab: dass der menschliche Faktor bei der Verhütung von Unfällen keine Rolle spielt. Und er wird immer eine Rolle spielen. Das muss man wissen, wenn man über Risikoabwägung redet. Technik allein gibt es nirgendwo.