Viel über Alan Moore habe ich geschrieben, letzte Woche erst wieder. Aber keine einzelne Comicserie dürfte in diesem Blog so häufig Beachtung gefunden haben wie „Spirou“. Einerseits liegt das daran, dass ich sie sehr mag, andererseits daran, dass der seit 1938 abenteuerlustig durch die ganze Welt reisende Hotelpage und spätere Reporter jung geblieben ist, indem er immer wieder neuen Autorengenerationen übergeben wurde: Auf den Erfinder Rob-Vel folgte erst Jijé, dann André Franquin. Ihm folgten wiederum Jean-Claude Fournier, Nic & Cauvin, Tome & Janry, Morvan & Munuera sowie Yoann & Vehlmann, gar nicht gerechnet die Unzahl von berühmten Zeichnern, die ambitionierte Einzelprojekte mit den Figuren um Spirou veranstalten durften, beginnend mit Yves Chaland 1982 über den erfolgreichsten Gastautor, Émile Bravo, dessen „Journal d’un ingénu“ (auf Deutsch: „Porträt eines Helden als junger Tor“) die Serie 2008 einerseits historisierte und andererseits aus dem Dornröschenschlaf weckte, bis hin zu Yann und Schwartz, die in ihren Sonderalben diese durch Bravo populär gemachten Zeitreisen in Spirous Frühzeiten weiterführten. Und damit sind noch längst nicht alle Macher von „Spirou“ benannt. Der Dupuis Verlag versteht es wie kein anderer, seine Hauptserie ständig neu zu beleben (manchmal auch zu jungforsch, siehe Lewis Trondheims Beitrag).
Nun ist wieder mal ein neues Autorenteam in der regulären Serie am Werk, und einer davon ist ein alter Bekannter: Olivier Schwartz mit seinem Zeichenstrich, der die Novelle Ligne Claire noch einmal erneuert. Ihm stehen Benjamin Abitan und Sophie Guerrive als Szenaristen zur Seite – Letztere die erste Frau, die an „Spirou“ mitwirkt (und eine erfolgreiche Bilderbuchautorin). Ihr kürzlich erschienenes erstes Album, das sechsundfünfzigste. In der französischen Serie, tut indes so, als wäre alles sofort wieder zu Ende: Es trägt den Titel „La mort de Spirou“, und Ende Februar wird es bei Carlsen auch auf Deutsch erscheinen („Der Tod von Spirou“ wird erstaunlicherweise als Band 54 der hiesigen Reihe ausgewiesen).
Und ja: Spirou stirbt tatsächlich. Wie, das soll hier nichts zur Sache tun, denn Spannung muss sein, und für eine Wiederauferstehung ist ein Hintertürchen offengelassen. Doch erst einmal wird am Ende dieses Albums angesichts des Ablebens des Altstars ein neuer Titelheld vorgestellt, und zwar im Rahmen der feiern des hundertsten Geburtstags des belgischen Originalverlags Dupuis – der in diesem Jahr tatsächlich real gefeiert wird. Man darf gespannt sein, wie Carlsen dieses Übersetzungsproblem löst, aber da das Hamburger Haus im kommenden Jahr siebzig wird, dürfte man das eigene Jubiläum in den Text einbauen.
Die Geschichte ist actionreich und spielt unter Wasser wie André Franquins „Spirou“-Klassiker „Das Versteck der Muräne“ von 1955. Genau den Stil dieser Zeit hat sich Schwartz zum Vorbild genommen, aber er unterzieht die Welt von Spirou trotzdem einer Modernisierung, denn die Handlung ist ja heute angesiedelt. Und so gibt es Tablet-Computer, und der legendäre Turbot-Sportwagen von Spirou und seinem Freund Fantasio sieht aus wie ein Limited-Edition-Roadster unserer Tage. Dieser Comic ist wie auf ständiger Zeitreise zwischen den fünfziger Jahren und der Gegenwart. Einen Eindruck von diesem ästhetischen Epochenhybrid bekommt man hier: https://www.bubblebd.com/spirou-et-fantasio-tome-56-la-mort-de-spirou/album/UDhCICyz0rSlvJ.
Es gibt etwas zuviel Action, und das neue Autorenteam will auch einige alte Bekannte zu viel revitalisieren, aber man schaut einfach gerne zu, was Schwartz da zeichnet. Mit sechzig Seiten nehmen Abitan und Guerrive sich richtig Platz, wobei es zwei ganzseitige Bilder gibt – das erste pathetisch, allerdings auch dramaturgisch redundant kurz vor Schluss, und das zweite dynamisch zum Abschluss als Ausblick auf kommende Abenteuer. Und wenn man dieses im Stil eines Covers gehaltene Bild sieht, dann möchte man tatsächlich, dass Spirou tot bleibt und sich die neue Figurenkonstellation bewähren darf, die sich da vorstellt. Natürlich wird es nicht so kommen, denn das wär ja wirklich das Ende von „Spirou“. Aber eine Serie, die sich schon so häufig neu erfunden hat, könnte doch einmal ganz radikal mit allen Erwartungen brechen.