Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Widerstand muss nicht schön aussehen

Kurz bevor die letzten Résistance-Mitglieder gestorben sein werden, bekommen sie noch einmal die verdiente Aufmerksamkeit. Siehe Anne Webers Versroman „Annette – Ein Heldinnenepos“ über die 1923 geborene Anne Beaumanoir, der vor zwei Jahren den Deutschen Buchpreis bekam – früh genug, damit die im vergangenen März im Alter von 98 Jahren gestorbene Widerstandskämpferin es noch erleben konnte.  Und auch Madeleine Riffaud, Jahrgang 1924, kann sich daran erfreuen, dass der ihr gewidmete Comiczyklus „Madeleine, die Widerständige“, den der Szenarist Jean David Morvan und der Zeichner Dominique Berthail auf der Grundlage gemeinsamer Gespräche erarbeitet haben, nun erschienen ist – zumindest Teil eins von drei geplanten. Und nicht nur, dass der Auftaktband prompt in diesem Jahr den in Angoulême verliehenen Prix Réné Goscinny für das beste Szenario gewann – womit die als Mitautorin ausgewiesene Riffaud zur ältesten Comicpreis-Siegerin aller Zeiten wurde –, er ist auch schon in deutscher Übersetzung erschienen, beim Avant Verlag.

Und die Lektüre lohnt. Nicht wegen der Zeichnungen, dafür ist Berthails Kunst zu konventionell, wie man hier überprüfen kann: https://www.avant-verlag.de/comics/madeleine/#cc-m-product-9120665720. Blaustichig, wie man es aus den Klischeedarstellungen historischer Stoffe kennt, realistisch gehalten und seitenarchitektonisch unoriginell, aber genau das kommt in Frankreich gut an bei Lesern von Geschichtscomics. Und die gibt es so viele wie nie zuvor, zumal wenn es sich um Stoffe über den Zweiten Weltkrieg handelt. Die Zahl speziell der Berlin- oder Résistance-Comics aus jüngerer Zeit ist Legion.

Davon ist bislang wenig über den Rhein zu uns gekommen. Man mag es nachvollziehbar finden, denn für deutsche Leser bieten diese Erzählungen keine erfreulichen Tatsachen. Bezeichnend, dass es vor allem Jacques Tardis Weltkriegs-Comics sind, die auch hierzulande bekannt sind, denn Tardi ist Antimilitarist und schaut auf beide Seiten mit derselben Skepsis; Krieg ist für ihn unmoralisch. Die Aktionen der Résistance aber waren es nicht; und auch wenn Madeleine Riffaud während des Untergrundkampfs gegen die deutschen Besatzer getötet hat, kann man ihr das angesichts der NS-Verbrechen in Frankreich und anderswo nicht vorhalten. Sie selbst wurde in deutschen Gefängnissen gefoltert.

Das ist noch gar nicht Thema des ersten Bandes mit dem prätentiösen Untertitel „Die entsicherte Rose“. (Was soll die Übersetzerin Annika Wisniewski machen? Auf Deutsch klingt das einfach miserabel, während „la rose dégoupillée“ zwar das Gleiche meint, aber viel besser mit „die scharfgemachte Rose“ ausgerückt wäre – doch wie könnte man das über eine Frau sagen?) Der erste Teil ihrer Lebensbeschreibung geht bis Herbst 1942, als Madeleine, die sich als Résistance-Kämpferin den Decknamen „Rainer“ (nach Rilke) geben wird, ihrem ebenfalls im Widerstand aktiven Freund den Laufpass gibt, weil das Risiko zu groß ist, dass Sich-Liebende von den Deutschen gegeneinander ausgespielt werden, wenn beide verhaftet werden. Die Existenz im Untergrund beginnt also gerade erst am Ende dieses ersten Teils, aber interessant ist die Handlung allemal schon jetzt, weil man erzählt bekommt, wie die damals noch nicht volljährige Madeleine in den Widerstand gelangt. Und wie viel mutige Franzosen es damals gab.

Die Geschichte lebt von der stets durchhörbaren Stimme der heute greisen Riffaud, die überhaupt erst in ihren Siebzigern über ihre Erlebnisse Zeugnis abgelegt hatte – um den im Widerstand getöteten oder danach gestorbenen Kameraden ein Andenken zu sichern. Von der Idee, daraus auch einen Comic zu machen, musste die dann bereits Mittneunzigerin durch andere überzeugt werden, aber mit Morvan und Bertheil scheint sie gut zusammengearbeitet zu haben, wenn man einem mehrseitigen illustrierten Anhang glauben darf, in der das Zustandekommen dieses Teams erzählt wird – und es auch noch etliche Details gibt, die im Comic keinen Platz gefunden haben. So ist der Band ganz nebenbei eine Art Lehrbuch für Adaptionen von oral history. Auch nicht uninteressant.

Falsches Pathos gibt es nicht in Riffauds Erinnerungen, aber eine Menge echter Gefühle, und Morvan hat es exzellent verstanden, genau das in den Mittelpunkt des ersten Bandes zu stellen. Besonders spannend verspricht es aber zu werden, wenn Riffaud lange nach dem Krieg zur politischen Aktivistin und Journalistin wird und unter anderem nach Nordvietnam reist, um dort die Bombenangriffe der Amerikaner zu dokumentieren. Das ist eine verblüffende Parallele zu Anne Beaumanoir, die sich als ehemaliges Résistance-Mitglied für den algerischen Unabhängigkeitskampf engagierte. Beie ernteen nicht nur Verständnis in ihrer französischen Heimat dafür. Egal, wie unverlockend die Bilder dieses Comics sind, die Geschichte reißt mit. Und Morvan weiß das genau, weshalb es etliche Vorausverweise gibt. Ich kann Band zwei und drei kaum erwarten. Und Mme Riffaud möge bitte mindestens hundert werden, damit sie den Abschluss ihres Lebensprojekts noch erlebt.