Zack, da habe ich ihn in der Hand: Band 3 der „Abenteuer des Pascal Siebenspiel““. Die werden Ihnen nichts sagen, wenn Sie nicht in der Schweiz leben. Denn dort erscheint die Serie, allerdings als print on demand, was jede Form überregionaler Wahrnehmung schwierig macht, denn da erscheint ja so viel … Jedoch gar nicht mal so viele Comics, also ist es nur berechtigt, sich einmal einen stellvertretend für alle anzusehen.
„Zack“ – das sollte die Plötzlichkeit illustrieren, mit der Marc Véron alias Norf, der Szenarist von „Pascal Siebenstein“, mir auf einer Tagung der Schweizer comicschaffenden den Band in die Hand gedrückt hatte. Wer kann dazu schon Nein sagen? Zumal neben Véron der Zeichner und Erfinder der Serie steht: Pidi Zumstein, der nur mit seinem Vornamen signiert. Pidi & Norf sind ein Team seit Band 2, der 2020, noch im selben Jahr wie Band 1, herauskam. Corona-Jahr also. War das der Auslöser, aus dem Solo- ein Gemeinschaftsprojekt zu machen? So viel Zeit hatte ich auf der Tagung nicht, um danach zu fragen. Und der vor einem Jahr erschienene dritte Band wollte ja auch erst einmal gelesen sein. Wenn schon der eigentlich für diesen September angekündigte vierte nicht fertig geworden ist.
Man sieht trotzdem: Das Tempo ist hoch, das Pidi & Norf vorlegen. Und die im klassischen Albenformat gehaltene Serie geht bei der Seitenzahl über die üblichen Umfänge hinaus: sechzig Seiten sind in Band 3 geboten. Was aber passiert in dieser Fortsetzungsgeschichte? Bevor wir dazu kommen, sehen wir uns an, wie das aussieht, was da passiert. Denn das sagt schon einiges aus. Man gehe auf https://siebenspiel.ch/.
Beim Anwählen sieht man leider keine Comicseiten, sondern nur Cover und Rückseiten. Letztere aber bieten das Figurenensemble. Es ist wild, auch in der Vielzahl der auf die Akteure verwendeten Stile. Nehmen wir die Hauptperson Pascal Siebenspiel, einen nur aus Kopf und kurzen Gliedmaßen bestehenden Winzling, der überdies auch im mittlerweile ganz farbigen Ambiente von Band 3 immer noch schwarzweiß gezeichnet wird. Dieser Siebenspiel entstammt einem französischen Roman, wie man im ersten Band erzählt bekommt. Er verließ die papierene Welt und wurde mit den weitaus größeren Absurditäten der realen konfrontiert. Man kennt das aus Woody Allens „The Purple Rose of Cairo“, nur war es da eine Filmfigur, die aus dem Rahmen fiel. Und sie traf nicht auf eine satirisch übersteigerte Umgebung.
Die aber haben Pidi & Norf geschaffen. In der Realität, die Siebenspiel aufnimmt, treiben in Band 3 die Schurken Goggel, Fatzke & Zwitsch ihr mediales Unwesen. Ersterer steht für Google, Letzterer für Twitter, Mittlerer aber nicht für die F.A.Z., sondern für Facebook. Da sieht man schon: Pascal Siebenspiels Abenteuer sind gesellschaftskritisch.
Und abgedreht. Denn Norf packt ein popkulturelles Verweissystem hinein, das keine Rücksicht auf Verluste nimmt. Entsprechend zeichnet Pidi, als wollte er jede Stilrichtung der Comicgeschichte (und Animation gleich mit) zum Handlungsbestandteil machen. Das ist irre anstrengend, weil man hinter jedem Detail eine Anspielung suchen muss. Und gleichzeitig sind Pidi & Norf nicht gerade Klassizisten des Metiers, nehmen also keine Rücksicht auf Seh- oder Erzählgewohnheiten. Man könnte die „Abenteuer des Pascal Siebenstein“ als irren Trip beschrieben. Wie aus den siebziger Jahren entsprungen. In denen sind beide Autoren übrigens aufgewachsen. Und so fühlt man sich zurückversetzt in die Comics von Alfred von Meysenburg. Obwohl alles in der Gegenwart spielt und diese durch den Kakao zieht.
Das Geschehen von Band 3 nachzuerzählen, hätte wenig Sinn. Es geht drunter und drüber. Im Mittelpunkt aber immer die Liebesgeschichte von Siebenspiel mit der mangatypisch gezeichneten Kyoko, die ständig auf den schönsten Kuss der Geschichte hinausläuft. Nun liegt Schönheit im Auge des Betrachters, und ich habe schön schönere Küsse gesehen. Auch schon bessere Comics gelesen. Aber noch nie einen liebvoll-chaotischeren, der zudem mit starken politischen Meinungen daherkommt. Wer einmal eine Geisterbahnfahrt erleben will beim Lesen eines Comics, bei der hinter jeder Ecke eine Überraschung lauert, der ist hier richtig. Wer nach Logik oder Gefälligkeit fragt, der ist hier falsch. Sage keiner, ich hätte nicht gewarnt. Zack!
Pascal Siebenspiel bedankt sich - und es gibt jetzt eine Leseprobe
Sehr geehrter Herr Platthaus
Alles muss man als Comic-Figur selber tun, und so liegt es an mir, Pascal Siebenspiel, mich auch im Namen meiner Gefährtin Kyoko und der Autoren Pidi & Norf für diesen treffenden, anregenden und liebevollen Blogbeitrag zu bedanken.
Die Anregung, eine Leseprobe auf die Website zu stellen, habe ich an die Autoren weiter gereicht und auch durchgesetzt. Zudem habe ich ultimativ verlangt, dass der nächste Kuss fulminanter und heisser wird. Voraussichtlich findet er auf einem Scheiterhaufen im Paris des 18. Jahrhundert statt, weil Kyoko und ich dort unterwegs sind, um die Encyclopédie und damit die Aufklärung zu retten. Im Moment grabe ich mich zusammen mit einem wegen Flugblättern verurteilen Druckereigehilfen unter den Bastille-Mauern durch, und Kyoko usurpiert kurzfristig den französischen Königsthron.
Die Rettung der Encyclopédie und der Aufklärung muss trotz der Verspätung von Band 4 unbedingt gelingen, denn sonst hätte die Weltgeschichte im 18. Jahrhundert eine völlig andere Richtung eingeschlagen, und wir sässen in einer ganz anderen Gegenwart des 21. Jahrhunderts, in dem ja so schon das freie Wissen und der Geist der Aufklärung bedroht sind.
Herzlichst und mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr Pascal Siebenspiel
PS: Ich soll noch die Grüsse von Herrn Zack Zufall ausrichten, der in Band 2 “Die trojanische Barbie” eine Agentur für Zufälle betreibt und sich über die Nennung seines Namens gefreut hat. Er war es übrigens, der die zufällige Begegnung am Comic-Kongress arrangierte.
PPS: …und irgendwo heisse ich im Blogtext Siebenstein – das ist auch ein schöner Name.