Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Was den Pottwal am Riesenkalmar verärgert

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Tom Gauld ist der Comictraum des Buchhandels. Einmal wegen seines Erfolgs. Spätestens mit seinem im vergangenen Jahr auf Deutsch erschienenen Bilderbuch “Der kleine Holzroboter und die Baumstumpfprinzessin” (Moritz Verlag, übersetzt vom Bilderbuchkollegen Jörg Mühle) hat der schottische Zeichner die Welt erobert: Man kann all den Übersetzungen, die Gauld auf seinem Instagram-Account dokumentiert, kaum noch folgen. Aber mehr noch als die rein kommerzielle Kompetenz ist Gaulds Bücherliebe zu nennen, die sich in seinen Comic-Strips  für die britische Tageszeitung “The Guardian” artikuliert. Man nehme nur einige Titel der diversen Sammelausgaben: “The Snooty Booshop”, “Baking with Kafka” oder jüngst “The Revenge of the Librarians”.

Letzteres Buch ist jetzt gerade auf Deutsch erschienen, bei der Edition Moderne, Gaulds deutschem Stammverlag, als “Die Rache der Bücher”. Die Veränderung des Titels ist etwas seltsam, denn auch wenn Bücher bei Gauld durchaus ein Eigenleben als Figuren annehmen können, sind Bibliothekare doch weitaus häufiger anzutreffen. Und noch mehr Aufmerksamkeit widmet der Zeichner den Schriftstellern. Für einen Mittvierziger ist diese Faszination selbst faszinierend, denn man sollte nicht denken, dass eine derart traditionelle Vorliebe beim gegenwärtigen Zeitungspublikum gut ankommen würde. Wobei der “Guardian” zwar politisch links steht, aber ein kulturkonservatives Publikum hat.

Entsprechend liebevoll-bösartig geht Gauld mit dem Literaturbetrieb um. Seine Schriftsteller sind samt und sonders überempfindliche Nervenbündel, deren gute (Schreib-)Absichten von ihren geschäftstüchtigen Verlegern und sonstigen wohlmeinenden Kommentatoren konterkariert werden. Es gibt aber auch genug Strips unter den mehr als 140 nun publizierten Episoden, die auf literarische Meisterwerke anspielen und somit ein geistiges Bündnis zwischen Zeichner und Lesern beschwören, das bei der Lektüre das wohlige Gefühl eigener Belesenheit erzeugt. Mit Gauld macht man Bücherratten glücklich.

Freunde origineller Cartoons genauso. Denn Gauld hat einen unverkennbaren Stil entwickelt, der mit denselben Abstraktionen wie Chris Ware arbeitet und somit den Text gegenüber den Zeichnungen in den Vordergrund schiebt. Die Leseprobe des deutschen Verlags macht es deutlich: https://www.editionmoderne.ch/buch/die-rache-der-buecher/. Einfach das Buch anklicken, und dann bekommt man einen Querschnitt durchs Buchs und dessen Themen. Und wer mit der Graphik hier nicht zurecht kommt, sollte auch seine Finger von Gauld lassen, aber Hand aufs Herz: Kann man es noch besser machen?

Es dürfte mittlerweile klar geworden sein: In diesem Blog werden keine Gauld-Gags nacherzählt. Weil man das gar nicht kann. Die Sprache seiner Cartoons ist dafür viel zu gedrechselt, eben selbst literarisch. Man nehme nur aus leicht erkennbaren persönlichen Gründen dieses eine Beispiel: “Der Pottwal und der Riesenkalmar waren nie gute Freunde gewesen, aber als in der FAZ die ätzende Kritik des Tintenfischs zum zweiten Gedichtband des Wals erschien, wurden die beiden zu Todfeinden.” Das klingt schon gut (Christoph Schuler hat wunderbar übersetzt, wenn man von ein paar wenigen Helvetismen absieht und toleriert, dass der in einer Episode zitierte letzte Satz aus Prousts “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit”, der einem schmelzenden Schneemann vorgelesen wird, gar nicht der letzte des Romanzyklus ist, sondern “nur” der des ersten Teils, “In Swanns Welt”) und ist noch besser illustriert, nämlich im Stil eines Holzschnitts aus einem Abenteuerbuch des neunzehnten Jahrhunderts, aber natürlich à la Gauld. Meisterhaft!

Und so könnte man diesen Autor munter weiterpreisen, etwa für seine Variationen auf die Männerfreundschaft zwischen Odysseus und Polyphem oder für die von ihm dokumentierten Bemühungen von Jane Austen, die richtige Besitztümer für den Junggesellen aus dem ersten Satz von “Stolz und Vorurteil” zu finden. Es gibt einen Beckett-Adventskalender, und wir erfahren, was dem “Ulysses” geblüht hätte, wenn Joyce auf seine Verlegerin gehört hätte. “Die Rache der Bücher” ist eine Quelle nie versiegenden Vergnügens an und mit Literatur, und zugleich ist dieses Buch ein Best-of eines der derzeit besten Comic-Strips überhaupt. Dass der “Guardian” bei all seinen jüngeren Bemühungen, die Humorsektion diverser und geistesbarrierefrei zu gestalten, Gaulds bereits seit 2005 laufende brillante Serie ausgespart hat, ehrt ihn und freut uns. Dass man dann auch noch solch schöne Bücher mit dem Material präsentiert bekommt, ist fast zu viel des Glücks. Übrigens noch ein auffälliges Element: Gauld witzelt in seinem neuen Buch nicht über Comics. Vermutlich ist das der Gipfelpunkt der Liebeserklärung.


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