Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Eine Gerade ins Herz der Gesellschaft

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Boxen muss ein Faszinosum sein für Comicautoren. Man denke nur an Reinhard Kleist, der ebenso gleich mehrere Geschichten zum Thema gezeichnet hat („Der Boxer“, „Knock Out!“) wie sein französischer Kollege Baru („Der Champion“, „Wut im Bauch“). Womöglich gibt die Tatsache, dass es sich bei diesen beiden Zeichnern um auch gesellschaftspolitisch sehr engagierte Künstler handelt, einen Hinweis auf die Ursache des thematischen Reizes durchs Boxen:  Underdogs kämpfen sich im Ring durch, und so bietet der Sport Parabeln aufs Leben.

Auch Karen Hertfelder verfolgt mit ihrer Boxgeschichte „Herzschlag“ ein gesellschaftspolitisches Anliegen: Ihre beiden Protagonisten sind Frauen, und das Boxen war lange Zeit eine der letzten Bastionen rein männlich betriebener Sportarten, also hat die Konstellation emanzipatives Potential. Dann verlieben sich Kisa und Bonnie, die sich zunächst im Ring beim Sparring als Gegnerinnen begegnen, ineinander – wir haben also mit lesbischer Liebe ein weiteres Phänomen von einiger Brisanz in der öffentlichen Wahrnehmung. Und Bonnie ist dunkelhäutig, so dass sie auch noch eine dritte Emanzipationserfahrung als Boxerin macht: gegen die weiße Mehrheitsgesellschaft, der Kisa angehört (deren Name, Kisa Kulak, allerdings eine polnische Abstammung vermuten lässt, womit noch ein weiteres Feld aufgemacht wäre . . .). Dieser Comic ist eine Gerade ins Herz der Gesellschaft. Es steckt viel drin in „Herzschlag“.

Und die beiden Frauen stecken viel ein. Die Rahmenhandlung besteht aus den acht Runden eines Profikampfs gegeneinander, der gegen Kisas Willen vereinbart worden ist, während Bonnie es eben rein professionell sieht. Darüber zerbricht die Liebesbeziehung, deren Entstehung wir in Episoden erzählt bekommen: als schwarzweiße Einschübe zwischen den einzelnen Runden, die durch rote und blaue Zusatzfarben besonders hervorgehoben sind. Karen Hertfelder, 1996 in Bonn geboren und in Kassel an einer der besten deutschen Talentschmieden zur Comiczeichnerin ausgebildet, hat diese Geschichte ursprünglich auf Englisch im Selbstverlag publiziert („Punch Your Heart Out“,  hier anzusehen: Punch Your Heart Out Excerpt by iovest (itch.io)). Und dann für die deutsche Übersetzung den kleinen, aber für die deutsche Szene wichtigen Verlag Schwarzer Turm gewinnen können, der den Band in derselben Gestaltung produziert hat: Karen Hertfelder – Schwarzer Turm – Independent Comics aus Weimar.

Man versteht, warum, wenn man liest, wie geschickt sich die Episoden ablösen – gipfelnd im Schlusskapitel, nach dem Ende des Kampfs zwischen Kisa und Bonnie (dessen Ausgang hier nicht verraten werden soll), als Hertfelder plötzlich die blaue und die rot Zusatzfarbe ins bis dahin übliche Schwarzweiß der Zwischenepisoden einfließen lässt und damit einen Hybrid zwischen den vorherigen Kontrasten schafft, denn so farbsatt wie die Kampfszenen wird es nicht, aber eben auch nicht mehr so schwarzweiß wie in den vorherigen Rückblicken.

Ein besonderes Talent beweist Hertfelder mit den drastischen Bildern des Matchs, die der Gewalt eines Boxkampfs gerecht werden. In der Figurenzeichnung wäre psychologisch wie ästhetisch noch mehr drin gewesen, aber wir reden hier ja von einer jungen Zeichnerin, nicht von Altmeistern wie Baru oder Kleist, die ihre jeweiligen Boxergeschichten erst in der Mitte ihrer jeweiligen Karrieren erzählt haben. Die Unmittelbarkeit, die  „Herzschlag“ vermittelt, haben die Comics der beiden Männer nicht – man spürt die tiefe Anteilnahme von Karen Hertfelder am Schicksal ihrer beiden Protagonistinnen, obwohl sie ursprünglich gar kein privates Interesse am Frauenboxsport hatte (und man kann darüber auch nachlesen: auf KAREN HERTFELDER – COMIC-BLOG – SIEBEN AUF EINEN STRICH).

In Kassel lehrt seit Jahrzehnten Hendrik Dorgathen Comic-Erzählen; nun wird er emeritiert, und zum Abschied kann man ihm nicht nur bescheinigen, eine große Zahl hervorragender Autoren ausgebildet/entdeckt/gefördert/ zu haben, sondern auch noch, dass die stilistische Breite der Kasseler Klassen die größte aller deutschsprachigen Hochschulen ist, die Comic-Kunst anbieten. Karen Hertfelder ist dafür nur ein weiteres, aber beeindruckendes Beispiel. Aber besonders gedankt wird am Schluss dem Comiczeichner Nino Bulling, und das ist nicht das erste Mal in jüngerer Zeit, dass dieser Name fällt, wenn es um politisch engagierte Comicprojekte geht. Bulling selbst steht ja mit seinem eigenen Werk dafür, aber dass er auch ein so aktiver Förderer anderer Autoren ist, das zeigt, dass nun auch neben den Hochschulen Netzwerke entstehen, die den Nachwuchs voranbringen. Besseres kann man kaum erhoffen. Naja, doch: bald mehr von Karen Hertfelder.


1 Lesermeinung

  1. FinanzFacts sagt:

    Titel eingeben
    Zudem hat Hendrik Dorgathen mehrere wichtige Preise erhalten, daneben den Mario-Adorf-Preis oder den Ruhrpreis für Kunst und Wissenschaft.

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