Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Ist das Kunst, oder darf das nicht gratis sein?

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Es ist einer der berühmtesten Prozesse in der Kunstgeschichte. Gerichtsprozess, nicht Schaffensprozess. 1927 klagte der französische Bildhauer Constantin Brancusi gegen die Vereinigten Staaten, weil die eines seiner Werke mit einem höheren Einfuhrzoll als für Kunstwerke üblich belegen wollten. Denn ein Kunstwerk, so die Argumentation der Zollbehörde, sei „Oiseau dans l’espace“ (Vogel im Raum) nicht, es sei Kunsthandwerk. Darüber mögen wir heute lachen, die wir in dem goldenen abstrakten Vogelkörper eines der bekanntesten Kunstwerke des zwanzigsten Jahrhunderts sehen und allemal das berühmteste von Brancusi. Aber die moderne Kunst hatte eben Schwierigkeiten als solche anerkannt zu werden. Das hat sie mit dem Comic gemein.

Aber dieser Vergleich ist nicht der Anlass für das, was Sie hier lesen. Den bietet ein Comic über den Prozess von 1927, verfasst und gezeichnet vom 1981 geborenen Franzosen Arnaud Nebbache: „Bracusi contre États-Unis“, im vergangenen Jahr auf Französisch erschienen (bei Dargaud) und gerade ins Englische für einen amerikanischen Verlag übersetzt. Auf eine deutsche Fassung dürften wir wohl lange warten müssen – wenn sie denn überhaupt kommt. Denn das Interesse, das in Frankreich und den Vereinigten Staaten für den Fall besteht, ist natürlich größer, weil die Beteiligten, soweit es sich um Landleute handelt, jeweils bekannter sind.

Obwohl wir von Akteuren reden wie Marcel Duchamp, Ferdinand Léger, Edward Steichen, Jean Cocteau oder Alexander Calder. Und im Prolog des Comics tritt Auguste Rodin auf, denn bei ihm, dem berühmtesten aller Bildhauer der Moderne, hatte der 1876 in Rumänien geborene Brancusi kurzfristig gearbeitet, ehe er merkte, dass er dort keinen eigenen Stil würde entwickeln können und Rodins Atelier wieder verließ. Er reüssierte dann auch bald und war mit mehreren Werken auf jener New Yorker Kunstschau vertreten, die als Durchbruch der Moderne in den Vereinigten Staaten gilt: der Armory Show von 1913. Es hat ihm im Prozess von 1927 nichts genutzt; vierzehn Jahre sind nicht genug, um ästhetische Vorbehalte zu beseitigen.

Und darum geht es primär, denn einen Vogel vermochten die Zollbeamten in der Plastik nicht zu erkennen, und außerdem wirkte sie in ihrer glatten Form wie ein industrielles Werkstück, zumindest eines, das in Serie gefertigt wurde. Wo bliebe das auratische Kunstelement des Einzelstücks? Zumal Brancusi vorher diverse andere „Vögel“ nach demselben Muster gefertigt hatte, allerdings war das fragliche Objekt nun in Materialien gefertigt (polierte Bronze auf einem Marmorsockel), die Brancusi bislang noch nicht benutzt hatte – im Metropolitan Museum von New York steht etwa eine ganz in Marmor gehaltene Version von 1923. Zudem war es der erste Guss nach einem neuen Modell, und Brancusi hatte es zwar nicht selbst gegossen, aber eigenhändig poliert und montiert. All das kam im Prozess zur Sprache.

Und auch im Comic von Nebbache, der zu einem guten Teil im Gerichtssaal spielt, wo Brancusi allerdings nicht anwesend war; ihn vertrat der Fotograf Edward Steichen, der auch Empfänger der Plastik war).  Ein anderer guter Teil (der bessere sogar) spielt in Paris, wo Brancusi mit seinem Freund Ferdinand Léger herumzieht und diesem sein Leid klagt. Wir haben also einmal ganz sachliche Gerichtsdialoge, die vor allem durch die Schilderungen eines anderen Brancusi-Freunds, Marcel Duchamp, bekannt sind, der den Prozess beobachtete, und dann das Gespräch über den Prozess. Eine meisterhafte Perspektivenbrechung. Zumal irgendwann auch noch Jean Cocteau dazustößt.

Und das alles ist viel weniger wortlastig, als man denken sollte. Das zeigt schon die französische Leseprobe:  Lire en ligne Brancusi contre États-Unis (dargaud.com). Sie zeigt auch den konsequent farbreduzierten und trotzdem bunten Stil von Lebbauche, der zuvor vor allem Sachbilderbücher für Kinder illustriert hat: die Farbstimmungen wechseln von Szene zu Szene. Die Erscheinung Brancusis mit  seinem langen weißen Bart gibt eine grandiose Comicfigur ab, und Léger in seiner groben Physis bildet mit ihm ein skurriles Paar. Gemeinsam erkunden sie die Künstlerszene von Paris und treffen dabei unter anderen auch auf den amerikanischen Künstler Alexander Calder, der noch einmal eine ganz neue Weise des Umgangs mit Bildhauerei begründen sollte, damals aber noch weniger mit seinen berühmten Mobiles als mit Puppenspielfiguren agierte. Calders Auftritt gibt Brancusi seinen Glauben an die ästhetische Zurechnungsfähigkeit der Amerikaner zurück.

Der Band ist ein Vergnügen, schon allein der sophistischen Dialoge über Kunst wegen, die im Gerichtssaal geradezu burleske Dimensionen annehmen – so etwa, wenn der für industriell gefertigte Importe damals gültige Zollsatz von 40 Prozent im Falle von Brancusis Vogel immerhin 4000 Dollar ausmachen würde. Der zugrunde gelegte Preis von 10.000 Dollar für das fragliche Objekt dürfte doch eigentlich plausibel gemacht haben, dass es sich um Kunst handelte. Doch so wird nicht argumentiert; es geht allein um die Frage des künstlerischen Agierens im Atelier. Während in den Paris-Episoden des Comics das künstlerische Privatleben vorgeführt wird.

Am Ende – es sei hier verraten, weil das Resultat weniger zählt als der Weg dorthin – bekommt Brancusi recht, und als Kunstwerk darf der „Vogel im Raum“ zollfrei eingeführt werden. Ein Triumph der Moderne. Und ein Triumph des Comics, dass diese Geschichte nun so erzählt worden ist.


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