Hand aufs Herz: Wer kennt Alice Guy? Nun sind wir hier unter Comiclesern, und die müssen nicht notwendig eine Filmregisseurin kennen, aber so weit liegen diese beiden Interessengebiete meiner Erfahrung nach nicht auseinander, und überhaupt könnte man ja wenigstens die wichtigsten Protagonisten der Kinogeschichte namentlich genauso gut kennen wie die der Comicgeschichte. Aber hat denn schon jemand etwas von Alice Guy gehört?
Vielleicht künftig doch gerade Comicfreunde, denn vor zwei Jahren ist in Frankreich eine voluminöse Comicbiographie der Regisseurin erschienen, die nun ins Deutsche übersetzt worden ist, geschrieben von einem Mann, José-Louis Bocquet, und gezeichnet von einer Frau, Catel Muller alias Catel. Beide sind namhafte Autoren in unserem Nachbarland und seit ihrem vor einem Dutzend Jahren erschienenen Band „Kiki de Montparnasse“ auch hierzulande zumindest wahrgenommen. Damals war ihr „Kiki“-Comic einer der Ersten, die sich mit den stiefmütterlich behandelten Frauenfiguren der Kunstgeschichte beschäftigten, heute ist ihr „Alice Guy“ einer von vielen derartiger Bände. Aber er ragt trotzdem heraus.
Einmal vom Umfang her. Der Wikipedia-Eintrag zu Alice Guy, verheiratete Blaché, ist stattlich, aber belanglos im Vergleich mit diesem Comic, der neben seinen mehr als dreihundert gezeichneten Seiten auch noch weitere fünfzig mit Chronik und Kurzbiographien der darin auftretenden Persönlichkeiten bietet – ein veritables Lexikon des frühen Films, denn Alice Guy gehörte zu den Allerersten, die Filme drehten, und ihr wird sogar der früheste Spielfilm zugeschrieben, nachdem die Lumières und andere Pioniere nur kurze Szenen aufnahmen, die keinem elaborierten Handlungskonzept folgten.
Guy dagegen, die als Stenotypistin für den späteren Filmmogul Léon Gaumont begann, als der sich noch gar nicht selbständig gemacht hatte und dann von ihm jahrelang als Regisseurin beschäftigt wurde, drehte 1896, also nur ein Jahr nach der offiziellen Geburt des Kinos, „La Fée aux choux“, eine satirische Version der Geschichte von aus Kohlköpfen geborenen Kleinkindern (die französische Version des Mythos vom Klapperstorch). Und zehn Jahre später machte sie sich auf den Weg in die USA, wo sie als Französin daran mitarbeitete, Frankreich den Rang als führende Filmnation streitig zu machen. Sie gründete in den Vereinigten Staaten sogar ihr eigenes Studio. Später aber wurden alle ihre Leistungen Männern zugeschrieben, Alice Guy geriet in Vergessenheit; sie starb 1968 im Alter von 94 Jahren, tief enttäuscht darüber, dass ihre Rolle von den Kinogeschichtsforschern nicht gewürdigt worden war.
Catel zeichnet dieses Leben in Schwarzweiß, wie es auch die Filme von Alice Guy waren (wobei sie schon kräftig viragieren ließ). Und sie nutzt dabei einen Stil, der sehr gefällig daherkommt und gerade dadurch eine dokumentarische Objektivität erzeugt, die bei einem stark individualisierten Erscheinungsbild nicht evoziert worden wäre – hilfreich bei einem Comic, der den Anspruch eiens Sachbuchs hat. So sieht das aus: Splitter Verlag – Comics und Graphic Novels – Alice Guy (splitter-verlag.de), ein bisschen, als hätte Seth den Band gezeichnet (auch die mit Architekturzeichnungen versehenen Vorsatzpapiere sehen nach ihm aus), aber dieses Nostalgiegefühl passt ja nur zu gut. Textreich ist der Band auch in seinen Comicteilen, und die Übersetzerin Antje Riley hatte einiges zu tun. Sie hat es gut getan.
Dass „Kiki de Montparnasse“ noch bei Carlsen erschienen war (wie auch Catels Comicbiographie des “Asterix”-Autors René Goscinny, Das Leben des Witzigsten war nicht witzig – Comic (faz.net)) und „Alice Guy“ jetzt bei Splitter herauskommt, sagt einiges aus: über den Teilrückzug Carlsens aus dem Segment des Autorencomics und über das Geschick, mit dem der sonst meist aufs populäre Genregeschäft kaprizierte Splitter Verlag immer wieder einzelne erzählerische Glanzlichter in seinem Programm zu setzen versteht. Dass ein Band über eine bislang unzureichend gewürdigte Frau wie Alice Guy große Verkaufschancen bietet, ist klar. Allerdings sind 45 Euro als Verkaufspreis auch ein Wort.
Aber der Band ist es wert. Bocquet erzählt streng chronologisch, und auf den Einstieg von Alice Guy in deren Metier wird ungleich mehr Raum verwendet als auf die spätere Karriere. Herangezogen hat der Szenarist Bocquet dazu Material, das der 2008 gestorbene Filmwissenschaftler Francis Lacassin zusammengetragen, aber nur für kürzere Artikel verwendet hatte. Sein Anliegen, Alice Guy Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, kam zu früh, doch nun setzt Bocquet, der Lacassin noch kennengelernt hatte, um. Zwei Männer brauchte es also doch wieder einmal, aber Catel macht durch ihre klare Graphiksprache den Band dann doch mehr zu ihrer und damit zu einer Frauensache. Beim Comic sind durchaus auch noch Entdeckungen zu machen, wenn es ums Beschweigen weiblicher Leistungen geht. Diese hier ist beachtlich, und man kann nicht früh genug anfangen, darüber zu reden.
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Wieder mal ein krampfhafter Versuch, Frauen zu lobhudeln. Da wird dann das Kriterium “elaboriertes Handlungskonzept” erfunden, um die Story rund zu machen und eine Frau auf Platz 1 zu hieven. Was kommt als nächstes Kriterium, um das poltisch gewollte Ergrebnis zu bekommen? Luftfeuchtigkeit? Wochentag?
Und zugleich sie als Opfer zu inszenieren. Als ob Männern nicht ebenso Leistungen aberkannt bzw. deren Leistungen “verschwiegen” wurden. Beschäftigen Sie sich mal mit der Geschichte vieler Patente, Hr. Platthaus. Das hat mit dem Geschlecht herzlich wenig zu tun.
Es wird langsam peinlich.