Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Eine Briefliebschaft braucht kein Papier

Ich schreibe einen Satz an die Liebste, ohne Liebe. Wie liest sich das mit Freude, Mädchen, statt Panik? (frei nach Rolf Dieter Brinkmann)   Quirin hat...

Ich schreibe einen Satz an die Liebste, ohne Liebe.
Wie liest sich das mit Freude, Mädchen, statt Panik?

(frei nach Rolf Dieter Brinkmann)

 

Quirin hat mein Herz mit einem einzigen tollkühnen Brief an die Adresse meines Handys erobert. Es gibt noch zünftige Liebesbriefe, nur eben nicht auf seidigem Papier. Die Seltenheit, mit der sie mich nun erreichen, der zögerliche Schlagabtausch, macht ihren Zauber aus. Seit der Nacht, in der ich das erste Mal einen Mann ansprach, womöglich, weil das blonde Geschöpf zu unwirklich schön am Ufer der Bar saß, als dass ich mit einer Antwort gerechnet hätte, pflegen Quirin und ich eine 
niedergeschriebene Affäre aus Gedankenfetzen in SMS und E-Mail. Verschreckt von der Liebe auf den ersten Blick, widersetzt sich die Romanze dem normalen Wahnsinn, in den sich Verliebte stürzen: sie kleben aneinander und jede Minute, die sie nicht an der Seite des anderen verbringen können, überbrücken sie mit dem hektischen Tippen von Nachrichten aneinander, die Gefühle vermitteln sollen. Die Tiefe einer Beziehung definiert sich nicht in ständiger Vernetzung über das knappe Repertoire amouröser Grußformeln. In dieser tausendfachen Routine, im panischen Warten auf die prompte Antwort, stirbt die Sprache der Liebe einen kurzen, schmerzlosen Tod.

Die erste Kurznachricht, die ich zwei Wochen nach unserer ersten Begegnung von Quirin erhielt, verfiel nicht in die Nichtigkeit anderer Schriften, die in ihrer Kürze vor allem kalt und belanglos werden, sondern gab sich als holder Antrag an eine Dame. Diese Form der Wertschätzung und die zögerliche Regelmäßigkeit haben wir stets beibehalten. Jeder feilt vor seinem Bildschirm an der Botschaft,  bevor sie der Klick auf den Weg schickt.

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Es sind nun vier Sommer, zwölf Treffen, vielleicht acht Mailwechsel und fünf Dutzend SMS. Mehr nicht. Ein eng beschriebenes Notizbuch aus Dialogen vielleicht, das dennoch schwerer wiegt als meine Bücherwand. Der Austausch erfordert keine hastige Reaktion, keine stechenden Fragen und keine finalen Antworten. Wir versuchen ein Spiel und ein Abtasten, das nichts Unmittelbares bedeuten muss und eine Freundschaft skizziert hat, für die es kein Schrankfach und kein Hashtag gibt. Die galant formulierten Botschaften im Postfachs meines Handys, die Quirin schreibt, verschwimmen auf dem Bildschirm zu Handschrift auf Briefbögen. Ihre Reise von dem einen Postfach ins andere nimmt meist einen vierzehntägigen Umweg in Anspruch, da diese Wortschätze elektronische Bahnen nur widerwillig passieren. Eine kleine, weiße Pfauentaube landet gurrend auf meiner Schulter, sobald Quirins Namen im Display erscheint. Sie flattert ein wenig erschöpft von der Reise, aber das Warten ist jede Zeile wert. Wenn ich den Rest meines Lebens jeden Monat nur eine Nachricht von ihm bekomme, bin ich ein glücklicher Mensch.

 

„Verehrte V.,

wahrscheinlich bin ich, wenn nicht der kläglichste, so sicher der säumigste E-Mail-Schreiber, dem du das Worte gönnst. Aber sei dir gewiss: solltest du glauben,  dies könnte dem Gegenstand unseres letzten Zwiegesprächs geschuldet sein, so könntest du falscher nicht liegen, zielt doch all mein werbendes Schreiben schreibendes Werben Schreiben einzig auf ein nächstes Treffen mit dir. Die Zeit vergeht, schneller als mir bewusst, denn kommt es mir vor wie letzte Woche, als ich dich zuletzt sah und wie gestern, als ich versuchte dich zu erreichen. Während du in Antwerpen in einen Theatersessel sankst, sah ich mich in der Heimat, der Schänke am Walde in diesem Fall, mit einer Mischung aus Unglauben, blanker Bewunderung und nur schwer zu kaschierendem Neid konfrontiert: “Wer war denn die Dame, mit der du letztens hier warst?”, gefolgt von allerlei Lobpreis, den mir wiederzugeben zum einen Scham und Anstand, zum anderen die Sorge, du könntest vor Hochmut beginnen,vor Wände zu laufen und zu stolpern, schlicht verbieten. Dies zumindest ist, was ich dir an jenem Abend mitzuteilen gedachte, gefolgt von der gleichen Frage wie heute: sehen wir uns bald wieder? 

Offenbar wird mir: du fehlst. 

*Q“

 

Jenseits des Geschriebenen finden wir noch seltener zusammen, als die wenigen Schriftwechsel. Wir sind zwei Königskinder, die verloren in der Formulierungswut an einer betörenden Kurznachricht die Treffen im Angesicht nur bisweilen pflegen können, um die Spannung zu halten. Es hat mehrere Monate gedauert, bevor wir uns nach der ersten Nacht,  die ausklang mit einem Spaziergang aber keinem Kuss, wieder in die Augen sahen. Bis dahin empfand ich es aufregend und perfekt, einige Sätze im Imperfekt auf einem kleinen Schirm zu lesen. Ich erinnere mich nicht mehr genau, ob und wie oft wir miteinander schliefen. Ich erinnere mich nur daran, an seinen Lippen zu kleben. Später klebte ich an den eckigen Worten, die selbst im Display den Schwung des Handgelenks nicht missen ließen. Einem unbeholfenen Kuss bin ich gewachsen. Einer digitalen Nachricht ohne Handschrift hingegen nicht. 

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Doch mehr noch kann ich nicht mehr verzichten darauf, dass mein Kommunikationsalltag aus zu vielen belanglosen Schreiben, die zwar Worte, aber keinen Schatz mehr enthalten, erhellt wird mit einem tatsächlichen Brief, der nicht verfasst wurde, um mich zu informieren, sondern um zu berühren. Dieser Anspruch an Sprache und Schreiben ist solch eine Seltenheit, dass dieser zaghafte Austausch in bedachtsamen Abständen, zu wertvoll ist, um ihn einzutauschen gegen ein tatsächliches Abenteuer und eine gewöhnliche Liebe. Denn diese würde  untergehen in einem Alltag, der ein hektisches Abstimmen erzwingt. In dem die Bekanntgabe des aktuellen Aufenthaltsortes erwartet wird. In dem eine zweiminütige Verspätung einer SMS bedarf. Ein Alltag, indem keine Muße bleibt, um ein „ich hab dich lieb“ mit Belang zu füllen. In dem ein Handyspeicher einhundert „ich liebe dich“ beherbergt, und es seit hundert Tagen niemand mehr wagte auszusprechen. Der Alltag, in dem der  Guten-Morgen-Kuss zwischen die Räder der rufenden Arbeit gerät und durch einen danieder geschriebenen Kuss ersetzt werden muss.

Ist es nicht vielleicht an dieser Stelle schon vorbei?

Muss ein Kuss nicht immer für die Lippen sein?

Muss ein Brief an den Liebsten nicht immer um ihn werben?

All die wackeligen Beziehungen, die notdürftig mit einer Flut von elektronischen Nachrichten zusammengehalten werden. Die über eine permanente Paratschaft suggerieren, man sei zusammen und füreinander da. In denen nicht zählt was, sondern dass zurückgeschrieben wird, und der Austausch so zu einem tristen Ping Pong wird, in dem das Herz nicht hüpft. Ich brauche nicht einmal Geduld, denn ich weiß sicher, dass die nächste Nachricht kommen wird, und dauert es ein halbes Jahr. Je länger der jeweils andere für die Antwort braucht, je lauter hat das Herz geklopft. Denn eine E-Mail in zittriger Handschrift, schickt man nicht an die große Liebe.