Deus ex Machina

Deus ex Machina

Über Gott und die WWWelt

Ansichten eines Codierknechts

worin der hochverherte Gastautor dieses Monats allhier von den Widrigkeiten und Beschwernissen berichtet die im Betrieb wundersamer Computer=Apparati ihm beim Systemadministrantentum wiederfahren sind.

worin der hochverehrte Gastautor dieses Monats allhier von den
Widrigkeiten und Beschwernissen anderer Leute berichtet
die im Betrieb wundersamer Computer=Apparati
ihn beim Systemadministrantentum
unterhalten haben.

Wenn mir bei der Arbeit langweilig war, warf ich manchmal einen Blick in die Datenbank. Ich hätte nach den letzten Einkäufen meiner Bekannten schauen oder mir eine Ladung Bankverbindungen heraussuchen können, mancher Telefonsklave im Callcenter bessert so sein Einkommen ja merklich auf, doch galt mein hobbypsychologisch motiviertes Interesse einer eher unscheinbaren Tabellenspalte für verwendete Passwörter, nach der ich in solchen Momenten der Muße gruppierte und nach Häufigkeiten absteigend sortierte. “Passwort”, das fand ich ganz lustig und nahm es als Beleg für grundlegende Ironiefähigkeiten, befand sich immerhin unter den Top Ten der resultierenden Liste. Deren dritten Platz nahm eine nicht übermäßig komplexe Zahlenfolge ein, während sich an der Spitze ein beliebtes Zentralgestirn unseres Sonnensystems knapp gegenüber einer ähnlich beliebten Tätigkeit durchgesetzt hatte, bei deren Erläuterung man Kindern gegenüber auch heute noch gerne biologische Aspekte in den Vordergrund stellt, Stichwort: Reproduktion der menschlichen Spezies, obwohl die Beliebtheit des Vorgangs dadurch, so jedenfalls meine damalige Überlegung vor der SQL Management Console, nur unvollständig zu erklären ist.

“Testdaten” seien das, wurde man anderswo angezwinkert, während die Zeigefinger um die erste Silbe herum unsichtbare Anführungsstriche in die Luft malten, und, ernsthaft, woher soll man auch so viele Patientendatensätze mit realistischem Inhalt bekommen, man muss doch auch sehen, wie die Datenbank unter realen Bedingungen funktioniert – wir gehen natürlich davon aus, dass Sie jetzt nicht nachsehen, ob Onkel Erwin was mit der Prostata hat, haha.

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Es ist wirklich nicht einfach als Programmierer, so fängt man z.B. selten bei Null an, sondern erbt Projekte, die über Jahre von verschiedenen Menschen entwickelt wurden, produktiv arbeiten soll man auch möglichst schnell, obwohl man maximal einen Teil des großen Softwaregebildes überblickt, und dann vergisst man eben auch mal, zu prüfen, ob eine Rechnungsnummer überhaupt zum angemeldeten Kunden gehört, mein Gott. Wenn sich dann die ersten Kunden melden und sagen, dass sie bloß diese Zahl da oben in der Adresszeile des Browsers zu verändern brauchen, schon können sie jede beliebige Rechnung ansehen, dann ist der Onlineshop ja längst produktiv und man muss verschiedene Dinge nahezu gleichzeitig tun (das Schwitzen in den Griff bekommen; die betreffende Stelle im Quellcode heraussuchen; verstehen, was falsch gelaufen ist; eine Lösung erarbeiten und testen; mit der Suchmaschine nachschauen, ob die Geschichte schon in die Foren gesickert ist; sich überlegen, was man dem Soziopathen erzählt, der jeden Moment hinter dem Schreibtisch stehen und loskrakeelen wird – also demjenigen, der vor drei Tagen herumgeschrien hat, dass der verdammte Shop auf jeden Fall jetzt sofort “endlich live gehen” muss; usw.)

Die gute, alte 80-20-Regel, so würde man beim nächtlichen Nachhausekommen gerne erzählen, habe da dem gemeinsamen Abendessen wieder mal ein Schnippchen geschlagen, mit 20% des Aufwands habe man ja gerade beim Programmieren ein gut und gerne zu 80% funktionierendes Produkt zusammengehackt, und wer sei in der heutigen Zeit schon willig, die anderen 80% Aufwand in die fehlenden 20% Ergebnis zu stecken, nicht wahr, da lasse man es doch lieber darauf ankommen und bessere ggf. nach, und das schöne, neue Logo in dem Shop, das sehe nun mal jeder Besucher sofort – und vor allem der Vorstand!, aber ob die Passwörter verschlüsselt in der Datenbank gespeichert würden oder als Klartext, das interessiere niemanden, man mache nicht ein Promille mehr oder weniger Umsatz wegen so etwas, das würde man gerne erzählen, aber es will niemand hören.

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Wenn mir langweilig war, dachte ich darüber nach, was ich alles niemals tun würde. Ich könnte es z.B. aus grundlegenden ethisch-moralischen Überlegungen nicht mit mir vereinbaren, nachzuschauen, warum Onkel Erwin letztes Jahr zwei Wochen in der Klinik war, oder in den Adresshandel einzusteigen, oder frische Bankverbindungen feilzubieten, und ich würde schon gar nicht ausprobieren, ob ein Kunde sich mit dem bei uns verwendeten Benutzernamen und Passwort evtl. auch anderswo registriert hat, denn das würde ich umgekehrt ja auch nicht wollen. Ich würde auch keinesfalls die Logdateien auf fehlgegangene Anmeldeversuche durchsehen, denn wenn jemand erst fünfmal mit “Mond” scheitert und dann mit “Sonne” doch noch eintreten darf, ist das womöglich so ein Kluger, der verschiedene Passwörter nutzt und nur ein wenig mit seinen Accounts durcheinandergekommen ist. Ich fände es schlicht nicht in Ordnung, so etwas noch auszunutzen, denn das demotiviert die Leute dann auch, wenn sie das Gefühl bekommen, dass ihre Bemühungen vergebens sind.

Ich weiß ein wenig darüber, wie diese Computersachen funktionieren, aber zwischendurch bin ich doch überrascht – nehmen wir mal das mit der E-Mail neulich: Ich schrieb über die Web-Oberfläche meines E-Mail-Dienstes an einen Bekannten und bekam direkt nach dem Absenden sein Foto und seinen Klarnamen angezeigt, verbunden mit der Information, dass er “bei Facebook” sei und mit der Frage, ob ich nicht zufällig auch Mitglied werden wolle. Huch!, denkt man da doch, woher weiß denn der E-Mail-Anbieter, dass diese E-Mail-Adresse für die Anmeldung bei Facebook verwendet wurde und welche Daten dort damit verknüpft sind? Und: Weiß umgekehrt der Benutzer eigentlich, dass sein Gesicht und sein voller Name jedem gezeigt werden, der eine E-Mail an ihn schreibt? (Raten Sie mal. Das Abmelden dauerte dann gute zwei Wochen.)

Oder nehmen wir die drei Bekannten, die ich zu sehr unterschiedlichen Zeiten an verschiedenen Orten kennengelernt habe und die sich, ich habe nachgefragt, untereinander weder kennen noch jemals miteinander zu tun hatten: Warum tauchen deren Namen zusammen mit meinem eigenen in einem einzelnen Suchergebnis auf?

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Klar, man ist einfach noch nicht so an diese Verknüpfereien gewöhnt, und irgendwo in den Tiefen der Privacy-Einstellungen kann man bei Facebook bestimmt einen Haken wegnehmen, der die Übermittlung genau dieser Daten zu genau diesem Zweck gestattet, also: wenn man’s findet, also: wenn man sich ein paar Tage Zeit nimmt, also: falls es so einen Haken gerade wirklich gibt.

In meinem privaten Blog habe ich einen kleinen, unsichtbaren Tracker eingebaut, meiner ist umsonst, da gibt es viel leistungsfähigere Dienste, die jeden Klick dauerhaft in einer Datenbank speichern und beliebige Auswertungen anbieten. Ich könnte mir, es ist ja wenig los, in aller Ruhe ansehen, woher ein Besucher geographisch stammt, dabei zusehen, welche Seiten er der Reihe nach besucht, und wenn er sich dann einloggt und einen Kommentar abgibt, könnte ich vor mich hinschmunzeln und sagen: “Sieh an, der Herr Z. mal wieder von der Firma Y, der kann wohl auch nicht schlafen in seinem niederrheinischen Nest! Hi hi, und das wusste ich, dass er sich für den Link zur Tiefseeaquaristik interessieren würde. Mal schauen, ob er sich das ganze Video ansieht: Tatsächlich, er kommt erst nach 3:40 min wieder, brav!”, aber das wäre nicht schicklich, und ich bin zuversichtlich, dass auch die Mitarbeiter bei meinem E-Mail-Anbieter ein Gespür dafür haben, was sich gehört – die könnten ja jede Mail mitlesen, aber die ganzen Fallberichte fürs Jugendamt und meine nachgeschickten Passwörter gehen die z.B. gar nichts an, und ich hoffe, das wissen sie auch, denn sagen wir mal so: Dass ich bereit bin, mehr Risiken einzugehen, heißt noch lange nicht, dass ich mit deren negativen Folgen konfrontiert werden möchte.

 

~~ + ~~

Der hochverehrte Gastautor des Monats August nennt sich nnier und betreibt unter mad.blogger.de eines
dieser angenehm ruhig erzählenden, und bei Bedarf auch sehr kompetenten”Internettagebücher”,
das es im Gegensatz zu manch anderen nicht darauf anlegt, mit sensationellen
Studien über Twitter und soziale Netzwerke sofort
verlinkt und vertweetet zu werden.