Deus ex Machina

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Kulturelle Knoten

Teilt der Islam die Blogosphäre in ein Abend- und ein Morgenland? Auf dem Young Media Summit in Kairo trafen sich arabische und deutsche Netzaktivisten um den Hürden nachzuspüren, an die das Surfen in anderen Kulturräumen stößt.

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Der Ritterschlag einer Königin versetzte den jordanischen Blogger Osama Romoh zunächst in helle Aufregung und verblüffte Freude, dann fegte der kurzer Tweet von Queen Rania sein Blog für 16 Stunden hinaus aus dem Netz. Über 150.000 Menschen versuchten zeitgleich auf sein Blog zuzugreifen, nachdem die Königin von Jordanien dem Blogger über Twitter zu seinem Gewinn der Bobs, ein Blog-Preis der Deutschen Welle, gratulierte. Queen Rania folgen auf dem Kurznachrichtendienst weit über eine Millionen andere Twitter-Nutzer. Einen vergleichbaren Wellenschlag könnte keiner der deutschen Vielfachverfolgten auslösen. Selbst eine Verlinkung einer großen Nachrichtenseite schubst nur eine magere Anzahl Leser auf eine andere Website hinüber. 

Die Welt der arabischen Blogs hält eine Vielzahl solcher Überraschungen bereit, sowohl im Netz, als auch auf dem Boden am Ufer des Nils. In Kairo haben die Deutsche-Welle-Akademie und das Deutschland-Zentrum Blogger, Journalisten und Aktivisten aus verschiedenen arabischen Ländern und aus Deutschland eingeladen, um nach ihrer Landung aus dem Luftraum der Erdatmosphäre auf ägyptischem Boden in die Sphären des fremdsprachigen Internets einzutauchen. Aus der heimischen Blogosphäre hinein in den interkulturellen Dialog: “Gibt es ein Abend- und ein Morgenland im World Wide Web?” lautet die Fragestelltung des ersten Young Media Summits.

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Am frühen Morgen sind alle Blogger blass und trudeln nach und nach in den abgedunkelten Konferenzraum im 20. Stock des Marriott Hotel in Zamalek ein. Sie klappen ihre Laptops auf, um sich das Licht des Bildschirms ins Gesicht scheinen zu lassen. Angereist aus Saudi Arabien, Bahrain, Gaza, dem Libanon, Kreuzberg, der Kurpfalz und dem Ruhrpott steckt der Landeanflug über die Pyramiden hinweg dem ein oder anderen noch in den Knochen. Kaffee, mehr Kaffee, Mails checken und das Hashtag entdecken; Blogger – ganz gleich ob aus dem Morgen- oder Abendland – sind keine Morgenmenschen.

Die Augen von Reem A. Alsa’awy jedoch strahlen hellwach in die Runde der 17 anderen Bloggerinnen und Blogger. Etwas anderes ist von der jungen Wissenschaftlerin aus Riad, die an der Kind Saud University einen Abschluss in “Computer Sciences” erworben hat, nicht zu sehen. Sie trägt eine schwarze Niqap, die nur ihre Augenpartie und Hände freigibt. Unter ihrem bodenlangen Kleid ragen silbermetallicfarbene Chucks hervor, ihre arabischen Tweets tippt Reem in ein Air Book. Sie erzählt, dass sie gerade mit einer Masterarbeit in Digital Media beginnt. Während die alleinerziehende Mutter an dem dreitägigen Bloggers’ Dialouge in der ägyptischen Hauptstadt teilnimmt, passen ihre Schwestern auf ihre dreijährige Tochter Ghada auf. Für Computer interessiert sich die Kleine noch nicht. “Ghada kann aber die Finger nicht von meinem iPad und dem iPhone lassen. Die sind kindgerecht.”, erklärt Reem. 

Blogs ermöglichten Menschen in Saudi Arabien die politische Auseinandersetzung, Bloggen an sich sei bereits ein politisches Statement, erzählt die Autorin von reemsite.com. Auch sie sei über das Schreiben ihres Blogs stärker politisiert worden: “Öffentlich interessieren sich Menschen in Saudi Arabien entweder gar nicht für Politik, oder sie schimpfen nur. Das größte Tabu ist nicht Sex, sondern über Politik zu sprechen.” In Blogs seien die Diskussionen offener und sachlicher, wenn auch vieles nur codiert besprochen werden könnte. “Ich erzähle Geschichten und nutze Metaphern, um mich nicht angreifbar zu machen”, sagt Reem, “Bloggen bewegt sich für mich zwischen Kunst, Literatur und Meditation. Mein Alltag hat sich verändert, seit dem ich ein Blog schreibe und soziale Netzwerke nutze. Ich verbringe jetzt noch mehr Zeit, mit noch mehr Freunden.”

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Reem lacht viel unter dem zarten Schleier, diskutiert und präsentiert, sie lässt sich Arm in Arm mit anderen Teilnehmern des Young Media Summits fotografieren. Ihre Verhüllung stört beim Reden nicht mehr, als wenn ein anderes Gegenüber einen neongrünen Strickpullover tragen würde. Man nimmt die Niqap im Gespräch nach wenigen Minuten nicht einmal mehr wahr. Ihre Herzlichkeit und Offenheit lenken die Aufmerksamkeit ihrer Gesprächspartner auf ihr Wesen, weg von einem schlichten Kleidungsstück, um das in der westlichen Welt vielleicht zu viel Aufheben gemacht wird. Denn das Ablegen des Schleiers ist nicht notwendig, um ein Gespräch zu beginnen, um jemanden kennenzulernen und sich zu mögen. Zumindest im Netz entdecken wir ebenfalls Zuneigung zu Avataren, zu Pseudonymen und Kunstfiguren, von denen wir sehr viel weniger kennen als lachende Augen und einen festen Händedruck. Es ist wohl nicht das Tuch auf dem Kopf, dass den Dialog zwischen muslimisch und christlich geprägten Kulturen erschwert, sondern die Knoten in den Köpfen derer, die aus dem Tuch einen Stereotyp ableiten, von außen urteilen und die Möglichkeit verkennen, dass Kopftuch nicht gleich Kopftuch ist, Frau nicht gleich Frau, Muslima nicht gleich Muslima.

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Die faule Einfachheit, fremde Kulturen als Flickwerk von Stereotypen zu verstehen, ist der Stolperstein bei dem technokratisch klingenden Terminus “interkulturelle Kommunikation”. Ein Reporter der Deutschen Welle fragt die Teilnehmer, was sie in das Treffen mit einbringen möchten, um ihr Land zu repräsentieren und es für die Blogger aus anderen Ländern greifbar zu machen. “Die Label typisch deutsch, typisch ägyptisch, typisch syrisch haben wir hoffentlich zuhause vergessen. Das einzige was ich tun kann, ist so offen wie möglich zu erzählen und keine fertigen Bilder tauschen zu wollen”, sagt die Künstlerin Suad aus dem Bahrain. Recht hat sie. Ein Übersetzer aus dem Deutschlandzentrum spricht die deutsche Variante der Worte, die Suad auf Arabisch in den Raum gestellt hat. Um auch den Teilnehmern, die weniger gut Englisch sprechen zu ermöglichen alles zu verstehen, das gesagt wird, sprechen während der offiziellen Zusammenkünfte alle Blogger in ihrer Landessprache; mehrere Übersetzer helfen als Mittler. Dies hemmt die Diskussionen zwischen den jungen Netzautoren immer wieder, dennoch kommen die Übersetzer in manchen Debatten kaum hinterher. Es wird hektisch. in der Nachmittagssonne passiert es dann schon einmal, dass ein Übersetzer Deutsch in Deutsch und Arabisch zurück ins Arabische übersetzt. Die Sprache ist das größte Hindernis, zu verstehen was die Blogger aus den anderen Kulturkreisen antreibt und bewegt. In Gesprächen weniger, als wenn es darum geht die Blogs der anderen zu lesen. “Google Translate does a shitty job”, darüber herrscht Einigkeit.

Ein weiteres wissendes Gefühl stellt sich auch zum Ende der Tagung unter den Anwesenden ein: die Gemeinsamkeiten überwiegen. Eman Hashim, ausgebildete Augenärztin und Autorin bei muslimahmediawatch.org, fasst zusammen: “Ich habe vor dem Treffen geglaubt, dass Deutschland eine komplett andere Kultur ist, doch dort haben die jungen Leute ähnliche Probleme, stellen sich gleichen Fragen über das Leben, Werte und welche Rolle sie in der Welt spielen. Die Akzeptanz für die Unterschiede hat hier uns erlaubt, die Gemeinsamkeiten zu genießen und zu schätzen, dass wir wegen etwas Wichtigerem hier sind, als die kleinen Differenzen zu ergründen: aus all dem etwas gemeinsam zu machen.”

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Blogger, bisweilen süchtig nach dem Netz und als Langzeitstudenten der digitalen Welt versehen mit diesem unstillbaren Wissensdurst nach Informationen, der Tab für Tab gestillt wird, nehmen beim Surfen ohne Passkontrollen vielleicht weniger kulturelle Differenzen wahr. Vernetzung über Blogs, Links und soziale Netzwerke ignoriert diese Grenzen und baut die Kulturklischeeknoten ebenso im Kopf ab. Das Netz ist ein eigenständiger Kulturraum.

Dialogveranstaltungen für den Inselstaat hinter dem Bildschirm werden wir künftig wohl wieder vermehrt brauchen. Die gute Nachricht für die arabischen Blogger kommt während des Young Media Summit als Tweet über den Ticker: der Islam gehört zu Deutschland, hat der Bundespräsident für sich entschieden. Das Internet hingegen, ein Tatort, der im Sekundentakt neue Kreidezeichnungen auswirft, sucht einmal wieder einen Anwalt: Spezialgebiet Abschiebung.