Nun hat es auch den Feminismus erwischt: der Begriff mauserte sich binnen weniger Stunden zu einem “Netzthema”, das aus den Nischen der feministischen Blogs heraus auf allen Nachrichtenseiten, in die viel gelesenen Kunterbunt-Blogs, quer durch die Timelines in sozialen Netzwerken und wieder zurück auf die Websites von Zeitungen gelangte. Wie aus dem Nichts platz so ein Netzthema in den Nachrichtenstrom des Internets und schwebt in Gestalt einer Seifenblase – glitzernd und bunt, doch verurteilt zum Tode und inhaltsleer – durch die Zeit. Denn Netzthemen sind so schnell vergessen wie sie getwittert werden, und durch die große Aufmerksamkeit die sie von allen Seiten erhalten, da im Internet jeder für alles Experte sein kann, verliert das Niveau der Diskussionen rapide an Höhe und entfernt sich vom eigentlichen Kern der Sache; in diesem Falle von allem historischen, gesellschaftlichen und politischen Gehalt, der hinter dem Begriff des Feminismus stattliche Bibliotheken füllt.
Nach der ARD-Themenwoche Ernährung gab eine Vorabmeldung zu einem größeren Spiegel-Interview mit der CDU-Ministerin Kristina Schröder den Startschuss für eine medienübergreifende “Themenwoche Feminismus”, die rasch in die Themenwoche “Schwarzer/Schröder” umschlug. Hätte man nur den ersten Teil des ersten Satzes der ersten Spiegel-Online-Meldung gelesen und verarbeitet, anstatt die Überschrift “Ministerin Schröder rechnet mit dem Feminismus ab” hundertfach zu twittern, hätte die Debatte ganz anders aussehen können. Dieser erste Satzteil lautet nämlich: “Familienministerin Kristina Schröder schärft ihr konservatives Profil”. An dieser Stelle hätte auch Alice Schwarzer entspannt ihre Lesebrille absetzen können und sich wieder dem Herbstwetter und dem Wettermann-Prozess zuwenden können. Doch bei der Emma-Herausgeberin löst die Verwendung des Wortes Feminismus einen Beißreflex aus, der keinesfalls dem Zwecke dient, die Bewegung weiterzutragen und ihn fortzuentwickeln, sondern bei dem es Deutungshoheit und Machterhalt geht.
Nun hätte eine kritische Medien- und Netzöffentlichkeit mit Kristina Schröders Spiegel-Interview als Ausgangspunkt anfangen können zu debattieren, was ein stark konservatives Werteverständnis, wie Kristina Schröder es in dem Interview deutlich vertritt, für die Aufgabenbereiche ihres Ministeriums, und somit politisch und gesellschaftlich bedeutet. Doch das Aufeinandertreffen zweier weiblicher Kontrahenten scheint, selbst wenn sie nur über offene, digitale Briefe miteinander in den Disput gehen, Sinn und Verstand der Kommentierenden so zu vernebeln, wie man es der Macht des Weiblichen in anderen Kontexten nachsagt. Aufmerksame Medien-Beobachter_innen wissen, dass es nur eine Frage kurzer Zeit ist, bis das sexistische Bingo ertönt: Zickenkrieg! Zeitungsberichten zufolge ist es bereits der zweite Krieg zweier Zicklein, in den Kristina Schröder verwickelt ist. Ihre Vorgängerin Ursula von der Leyen und die junge Ministerin wurden im August in einem solchen Vorgang ertappt und als “zankede Schwestern” beschrieben. Metaphern von im Sandkasten balgenden männlichen Polit-Kollegen sind bis dato nicht überliefert. Doch verfolgt man die Auseinandersetzung von Schröder und Schwarzer im Wortlaut, trifft diese Umschreibung den Gehalt und die Manier des Schlagabtausches sogar. Die Frauenministerin und die verdiente Frauenrechtlerin beschleunigten durch ihr Argumentationsniveau die Boulevardisierung des Begriffs des Feminismus und senkten Ernsthaftigkeit und Anspruch der medialen Auseinandersetzung mit einer gesellschaftlich bedeutsamen Debatte um Gleichstellung und Toleranz für Lebensentwürfe auf das, was Schwarzer Schröder vorhielt: Stammtischniveau.
Da die lila-belatzten Schlagwörter wie Feminismus, Third Wave und Frauenquote im Gegensatz zu Sex, Zickenkrieg und Jungenförderung bislang wenig suchmaschinenrelevant waren, aber nun als Klickgarant in einem kommerziell reizvollen Licht erschienen, durften wohl dutzende Redakteurinnen und Autoren in dieser Woche ein erstes Mal ihre Tastatur zu einem vermeintlichen Gender-Thema in Schwung versetzen. “So wertvoll, wie ein kleines Steak” – nein, wie eine Klickstrecke der schönsten Bambi-Roben, war der Großteil dieser Kommentare. Nur wo, bei all dieser Liebe zu Bildergalerien im World Wide Web, blieben die Klickstrecken mit Fotografien bedeutender Frauenrechtler_innen, Unternehmerinnen, die einen Karriereweg ohne Heirat des Konzernchefs (aktueller Cicero-Titel: Das Geheimnis von Piech, Springer, Mohn: Heirat) beschritten haben oder eine Führung durch die Grundbegriffe der Gender-Theorie?
Dass bei einem Themenbereich, der auch ansonsten medial nur plattitüdenhaft behandelt wird, wenig Wertvolles herauskam, überrascht nicht. Manuela Heim nannte die Rezeption des Geschehens in einem taz-Kommentar zu Recht “Feminismus von vorgestern”. Doch der Diskussionsstand der Siebzigerjahre hat über die intensive Plauderei in dieser Woche den Begriff des Feminismus neu aufgeladen und somit in einer Zeitmaschine weit, weit in die Vergangenheit befördert. Friederike Schröter ging in der ZEIT sogar so weit, entgegen der Faktenlage beispielsweise zum “Gender Pay Gap” zu behaupten, eine Ungleichbehandlung sei “de facto” nicht mehr vorhanden und Emanzipation “kein Thema mehr”. Und der “neue Feminismus”, also das Engagement der Frauen und Männer, die sich fortwährend für den Abbau von geschlechterbedingter Diskriminierung einsetzen und diese öffentlich thematisieren, sei “genauso kontraproduktiv wie das Instrument der Frauenquote”. Der Artikel von Friederike Schröter wurde von ZEIT Online bereits zwei Tage vor seinem Erscheinen in der Prinzausgabe veröffentlicht. Es darf bemerkenswert erscheinen, dass sich hier eine Autorin gegen die Quote ausspricht, obwohl das Publikationsorgan damit online Quote machen will. Gleichsam überrascht es immer wieder, wenn insbesondere Journalistinnen von Nachholfbedarf in Sachen Gleichstellung nichts wissen wollen: im Journalismus sind Frauen in Führungspositionen eklatant unterrepräsentiert. So formulierte die Redaktion der Süddeutschen Zeitung in einem Schreiben an die Chefredaktion im Juli diesen Jahres: “Wir wünschen uns Chefs, die, und das haben nicht nur Frauen gesagt, mehr Frauen ins Blatt holen und aufsteigen lassen.” Von einer echten Gleichberechtigung aber könne man in einem Unternemen und fairen Aufstiegschancen nur ausgehen, wenn man sich die tatsächliche Repräsentation von Frauen im Top-Level-Managament anschaue, so die Microsoft-Managerin Anke Domscheit-Berg, die in diesem Jahr für ihr Engagement für Förderung von Frauen in der Wirtschaft den Berliner-Frauenpreis erhielt. Die Repräsentation von Frauen auf der höchsten Führungsebene ist aber sowohl bei der der Deutschen Telekom, die für das Einführen einer Frauenquote viel Lob erntete, nicht vorhanden, als auch im Journalismus schlicht unzureichend.
Die Mediendebatte hat aber nicht nur wenig mit den Feminismus zu tun, sie fand auch weit entfernt von den jungen Feministinnen statt. Schröter formuliert in der ZEIT, jungen Frauen hätten “inzwischen ein ganz unbefangenes Selbstbewusstsein entwickelt” und würden “über solche Debatten nur noch lächeln”. Zu Wort kommen diese jungen Frauen jedoch nicht, denn es scheint keine direkten Kontakte zu Vertreter_innen des “neues Feminismus” zu bestehen, oder jungen Frauen, die man zur Debatte direkt zu Wort kommen lassen könnte. Barbara Junge versuchte diesen fehlenden Dialog im Tagesspiegel abzubilden, in dem sie Reaktionen junger Frauen im Internet beobachtete. Das ist per se auch kein falscher Weg, zeigt aber doch auf, welche Defizite in der generationsübergreifenden Kommunikation bestehen. Denn die Stimmen des “jungen Feminismus”, mit dem auch Schwarzer die Auseinandersetzung verweigert und ihn als “Wellness-Feminimus” diffamiert, sprechen tagesaktuell vorrangig im Netz. Sie kommentierten den Gegenstand der Debatte jedoch sehr viel sachlicher, konstruktiver und ohne den Fehler zu machen, zwei konservative Duellantinen in das Zentrum der Betrachtung zu stellen, die nichts Neues zu einer Debatte um Geschlechtergerechtigkeit beizutragen haben.
Hätte Friederike Schröter die feministische Blogosphäre aufmerksam verfogt, wäre sie nicht zu dem Urteil gekommen, junge Frauen würden “über solche Debatten nur noch lächeln”. Der Tagesspiegel holte eine solche junge Bloggerin schließlich ins Blatt, nachdem er in einem ersten Bericht zunächst aus Blog und Twitter-Account von Nadine Lantzsch zitiert hatte. Die Autorin des feministischen Gemeinschaftsblogs “Mädchenmannschaft” bringt auf den Punkt, was der Medien-Debatte fehlte und wo die notwendigen Erweiterungen zu finden sind: “Zu einer ausgewogenen Debatte gehört es, sich mit den Erkenntnissen feministischer und Gender-Theorie auseinanderzusetzen und die Stimmen von Menschen zu hören, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen. Das ist vielleicht ein bisschen mühsam, ein akademischer Abschluss ist dafür aber nicht notwendig, sondern lediglich ein Internetzugang. Denn im Netz füllen unzählige Menschen unzählige Blogs und Webseiten mit aktuellen Entwicklungen, Debatten und Nachrichten rund um das Thema Geschlecht, vermitteln verklausulierte Theorie verständlich und lassen Personen zu Wort kommen, die für mehr Gleichheit zwischen Mann und Frau (und allen anderen Geschlechtern) kämpfen.”
Doch sind wir, wie die “postpatriachale Denkerin” Antje Schrupp bloggte, “tatsächlich an einem Punkt, wo sich der Begriff „Feminismus“ in die Reihe der „verbrauchten Worte“ einfügt? An einem Punkt, wo „Feminismus“ zu einem Wort geworden ist, das nichts in Bewegung setzt, sondern im Gegenteil reflexartigen Schlagabtausch provoziert und uns daran hindert, über das zu sprechen und nachzudenken, was eigentlich wichtig ist?”
Den Begriff “Feminismus” auf breiter Basis wieder positiv aufzuladen und zu einer sinn- und identifikationsstiftenden Spiegelfläche zu machen, von der gesellschaftlicher Fortschritt ausgeht und von dem die Menschen profitieren, die von den Errungenschaften der Gleichstellung bislang nicht zu spüren bekommen haben, wird schwierig. Als Netzthema jedoch, wo Frauen und Männer unabhängig von Quotendruck kommerzieller Medien diskursiv streiten können, anstatt reflexartig zu beißen, ist der Begriff nicht verbrannt. Denn in der offenen Kultur des digitalen Austausches geht es tatsächlich wieder um Dialog, um echte Kritik und neue Gedanken. “Der Feminismus 2.0 hat endlich begonnen”, da er geteilt wird – und niemandem mehr allein gehört.