Andreas Kilb schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, „Eat, Pray, Love“ sei der „wieder aufgewärmte Schaum“, der bei „Pretty Woman“ in der Badewanne zurückgeblieben war. Was den Film angeht, so bleibt Kilb nichts hinzuzufügen. Aber das Problem mit schlechten Filmen ist, dass die seriöse Kritik sich an ihnen nicht beschmutzen will, so dass die Botschaft des Werks keiner näheren Betrachtung unterzogen wird. Es sei denn, es handelt sich um einen Gewaltfilm und gerade hat wieder ein Amoklauf stattgefunden. Nun handelt es sich aber bei „Eat, Pray, Love“ tatsächlich um einen Egoshooter. Und wenn dieses Werk seine Wirkung nicht verfehlt, wird das erste Opfer des Amoklaufs die Liebe sein. Sie erinnern sich vielleicht: Die Liebe, das war einmal der Wunsch nach Überwindung der unüberbrückbaren Distanz zwischen zwei Menschen (für Polyamoristen: zwei kann hier auch im Sinne von „viele“ gelesen werden). Man wusste um die Unüberbrückbarkeit, es ging darum, es zu versuchen, um die Hilfestellung, die man dem anderen geben musste, damit er nicht aufgibt. Ernsthaft jemanden zu lieben, das war einmal eine Aufgabe, der sich ein Mensch zu stellen hatte. Man könnte auch sagen: Ernsthaft jemanden zu lieben, das war einmal.
„Eat, Pray, Love“ spielt in einer Zeit, in der an die Stelle der Liebe zu einem anderen die Suche nach seinem Selbst gerückt ist. Das riesige, ewig hungrige Selbst, das niemanden neben sich duldet, das ergründet und befühlt, bemeditiert und gepriesen werden will.
Zu Beginn des Films wird der Ehemann entsorgt. Dieser Ehemann ist wie alle Männer des Films eine lächerliche Figur, ein kindischer Waschlappen, einer von dieser Sorte, die Realität für eine Erfindung der konservativen Medien hält, und gern mal einen guten Weinkrampf hat. Und doch ist dieser Ehemann der einzige Mensch in der posthumanen Wirklichkeit des Films. Er möchte sich nicht scheiden lassen, er verlangt ein Gespräch und er ist der Ansicht, seine Frau hätte ihm mitteilen sollen, was sie stört. Damit hat er leider recht. Deswegen heißt es ja auch „Ehe“ und nicht „Sexwochenende“. Er ist ein Träumer und einer dieser ewigen Jungs, aber man könnte mit ihm reden. Und er ist nicht zuletzt ja eigentlich – und das wäre die Logik früherer Romantic Comedies gewesen – ihr Träumer, ihr ewiger Junge. Und was zu einem gehört, das lässt man doch nicht so einfach zurück.
Hier aber steht er nur dem gigantischen Ego seiner Frau im Weg. Das Ego würde sich jetzt gerne mal selbst finden, es wurde von seiner Mama im Kinderparadies abgegeben und nicht abgeholt, jetzt irrt es durch eine bunte IKEA-Welt, die nur deswegen nicht von IKEA ist, weil wir uns hier im gehobenen Mittelstand befinden. Im Spiegel, das bin nicht ich, ich bin mehr als tausend Worte, ich bin ein Gedicht, ein Epos, ich bin vor allem: ziemlich hungrig.
Das Selbst fragt eine „Freundin“ (Freundin in Anführungsstrichen, weil sie natürlich keine Freundin ist im veralteten Sinne von „die mag ich“ ist, sondern einfach nur eine Komparsin im Film der Hauptdarstellerin – und ich rede hier nicht etwa von der Hauptdarstellerin Julia Roberts, sondern von der Figur, die wie alle Selbstsüchtigen Hauptdarstellerin in ihrem Film ist. In diesem Sinne könnte ich alle weiteren Figuren, den „Guru“, den „Lover“, den „Mentor“, den „Latin Lover 1“, den „Latin Lover 2“ in Gänsefüßchen setzen, aber ich lasse das jetzt), was sie heute gegessen habe. Die Freundin antwortet, sie habe einen Salat verzehrt, worauf das Selbst kreischt: „Siehst du, ich habe keinen Hunger mehr!“
Da könnte nun einfach ein schlechter Dialogschreiber am Werk gewesen sein, denn normalerweise läuft ein Dialog ja nicht so („Was hast du heute gegessen?“ – „Einen Salat“ – „Ich habe keinen Hunger mehr“) ab, aber diese non-sequitur-Dialoge sind eben gerade folgerichtig, wenn der andere definitionsgemäß nur Stichwortgeber ist.
Weil es keinen Hunger mehr hat und eben doch so hungrig ist, reist das Selbst also nach Italien, um es leer zu fressen. Nein, Moment, erst wendet sich Julia Roberts (als Gottesanbeterin par excellence) noch rasch Gott zu. Sinngemäß sagt sie ihm: Hey Gott, du bist bestimmt froh, dass ich wieder dabei bin. Bisher dachte ich, Demut sei der Kern jeder religiösen Botschaft, aber ich dachte ja auch, man heirate jemanden, um bei ihm zu bleiben, und nicht, um ihn gegen einen Pastateller einzutauschen.
Warum eigentlich Demut? Zeit für einen winzigen Exkurs. Im Gespräch mit Chrismon sagte ein Kinderherzchirurg über seine Arbeit: „Als ich anfing, war ich etwas egozentrisch. (…) Inzwischen weiß ich: Wir können nur kleine Dinge bewirken. Dieses Wunder, dass ein Herz nach der Operation wieder schlägt, kann nur die Natur vollbringen. Ein Chirurg allein kann nie ein Herz zum Schlagen bringen. Wenn man das versteht, sieht man, dass die eigene Rolle viel kleiner ist, als man anfangs denkt.” Dieser Mann rettet jeden Tag, jede Woche, jedes Jahr Kindern das Leben. Nimm das, Riesenego! Die Einsicht, dass man klein ist, kommt selbst im Kindergebet noch vor „Mein Herz ist rein“. In der großen Nabelschau „Eat, Pray, Love“ jedoch ist das Selbst das ganze Universum. Dieses Universum will in Balance gehalten werden. Balance kann man in Indien suchen, das ist ein Land, das Kalendersprüche exportiert, oder in Indonesien, das ist im Grunde dasselbe wie Indien, heißt ja auch so ähnlich, nur mit einer Prise alternativer Medizin und unprofessionelleren Touristenabzockern, Verzeihung: Gurus. Balance ist übrigens auch das große Ding in der Kosmetikindustrie und eine Industrie ist auch „Eat, Pray, Love“. Das dem Film zugrunde liegende Buch stand über drei Jahre auf der Bestsellerliste der New York Times und ein Blick auf die Facebookseite des Unternehmens offenbart, was man außer Selbsterfindungsseminaren auch noch verkaufen kann.
EAT PRAY LOVE by Dogeared… simple jewels to wear daily, ornate pieces that tell stories of their own, and accessories to carry as new adventures unfold. Inspired by the story, celebrating your journey. (Good Karma necklaces, Make a Wish necklaces, charmed earrings, peace bracelets). Bevor man sich jetzt beruhigt zurücklehnen möchte, weil doch bestimmt nur wahnsinnige Amerikaner auf so etwas herein fallen: Nirgendwo war der Film außerhalb der USA so erfolgreich wie in Deutschland. Sie sind mitten unter uns. Goodbye, Love. Hallo, Selbst.