worin übereyfrig jedwede Moral über Bord geworrffen werdet
und ohne Rükksicht auf dero Gnaden Befynttlichkeyt
ausgewälzzet wyrd, was gemeynes Volck
an schmählichem Verrähtertum
trefflich gefallen mag.
Oh, natürlich bin ich ein Verräter. Ganz ehrlich – so ehrlich ein Verräter sein kann natürlich: Meine ganze Internetpersönlichkeit basiert eigentlich nur darauf, dass ich ein Verräter bin, und diese charakterliche Unpässlichkeit auch offen zugebe. Früher stand ich bei Dotcomtod im Impressum und habe dafür gesorgt, dass Betriebsgeheimnisse der New Economy bekannt wurden. Später habe ich mit Blogbar Interna der deutschen Bloggerszene breitgewalzt. Ein alter Bekannter aus Dotcomtodzeiten, der danach als Investor bei StudiVZ eingestiegen war, äusserte sich abfällig wegen meiner nicht guten Meinung über das Studentenportal. Ich veröffentlichte über Wochen die innersten Gedärme der Klitsche, bis der gleiche Mann mich anmailte und fragte, was er tun könnte, damit ich endlich aufhöre. Inzwischen hatten schon alle deutschen Medien meine Geschichten weiterverbreitet, und ich kann sagen: Es war ein Heidenspass. Und hier bei der FAZ rede ich in meinem Blog über Dinge, von denen man in meinen Kreisen besser nicht reden sollte.
Wie man sieht: Es hat mir nicht geschadet. Im Gegenteil, immer wieder melden sich Medienhäuser, PR-Agenturen und internetaffine Menschen bei mir und fragen, was sie mir bieten können, dass ich die FAZ verlasse und bei ihnen dieses Handwerk der Indiskretionen weiter betreibe. Das beste Angebot – wenn schon verraten, dann richtig – kam aus dem schönen Hamburg (das war jetzt gelogen, Hamburg ist nicht schön) und war finanziell enorm lukrativ. Ich werde oft eingeladen, irgendwo auf dem Podium aus dem Nähkästchen zu plaudern – bloss nicht mit Dingen geizen, die das Publikum noch nicht kennt, werde ich gebeten. Man könnte sagen, wie so viele andere auch habe ich den Verrat zu einem veritablen Geschäftsmodell gemacht. Immerhin: Bei mir weiss man, woran man ist.
Ein sehr viel bedeutenderer Verräter namens Julian Assange, Gründer von Wikileaks, wurde gerade die Person des Jahres bei einer Abstimmung des Time Magazins. Verrätern mit in Bankenrechnern gebrannten CDs verdanken wir einiges an Unterhaltung aus besseren Kreisen und ein höheres Steueraufkommen zuungunsten der Schweiz und Liechtenstein. Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, sagt man, wurde auch durch geheime Informationen über die CDU entschieden, die im Internet von Wir-in-NRW verbreitet wurden. Und die von ehrenwerten Männern geführte WAZ hat sogar eine Art Briefkasten im Internet für das Einreichen von verratenen Dokumenten. Ex-Mitarbeiter von Wikileaks machen ein Geschäft daraus, und die Süddeutsche Zeitung macht dafür kostenlos Werrbung. Mit Verlaub: Wir Verräter sind hoffähig geworden.
Dass es so ist, liegt sicher auch am brandneuen Urschleim des Internets, aus dem wir kriechen: Früher war der Verrat zutiefst verachtet, statt dessen bediente man sich der Indiskretion. Verrat war nur etwas für die Dummen. Indiskretion ist eine Erscheinung von Herrschaftswissen und der Fähigkeit, Informationen mehr oder weniger gezielt anzubringen – idealerweise so, dass man nicht als absichtlicher Urheber in Erscheinung tritt. Würde ich etwa dem Mann von Ann-Catherine einen schlechten Tag bereiten wollen, wäre es sinnvoll, wenn ich ihren Verbleib in meiner Gästewohnung strategisch meiner tratschfreudigen Freundin Iris erzählen würde: Die würde es dann gezielt weitertragen. Mit Indiskretionen kann man das Wissen um Geheimnisse steuern, manche bevorzugen und andere ausschliessen, Kreise begrenzen und Wissende von Ahnungslosen scheiden. Indiskretion simuliert eine Loyalität gegenüber dem Opfer, und versucht, die Illoyalität zu verschleiern. Indiskretion war die bevorzugte Waffe bei Medien mit begrenzter Zirkulation, vom Epresserbrief bis zur Wissen nur andeutenden Zeitung, die um ein Premiuminterview anfragt.
Aber jetzt haben wir das Internet. Und da kann man nicht mehr begrenzen. Man kann nicht sagen, dieses und jenes schreibt man online, und es wird schon der richtige entdecken. Das ganze hinterhältige Getue kann man sich im Netz weitgehend sparen; weder bleibt man verborgen, noch kann man sich sicher sein, dass irgendein Leser nicht andere und für den Indiskreten sehr viel unschönere Schlüsse zieht, als es beabsichtigt ist. Und während eine Indiskretion vielleicht schon nach ein paar Stunden oder Tagen verebbt, ist das Internet ein riesiger Speicher, der nur sehr langsam vergisst. Man kann damit jene erreichen, die man ansprechen möchte. Aber man muss damit leben, dass es im Zweifelsfall jeder sehen kann, und man selbst kaum die Möglichkeit hat, sich nochmal rauszureden, eine Loyalität zu erfinden, und die Indiskretion zu beschönigen, wie ich etwa: “Aber nein, Hans-Georg, Iris habe ich den Aufenthalt Deiner Frau nur mitgeteilt, damit sie sich keine Sorgen um ihre Freundin macht – ich dachte, Du wusstest das alles ohnehin.”
Kurz, der Verrat, der im Moment vielleicht noch vor der Kinderpornographie und islamistischem Terror die Gemüter und politischen Agenden in Sachen Internet bewegt – der Verrat ist nicht wirklich nett, sondern brutal, ungeschönt und auf eine sehr verquere Art ehrlich: Da weiss man, was man hat. Und erstaunlicherweise wird auch gerne akzeptiert. Viel hat das Wort von seinem Schrecken verloren, kein verdammenswerter moralischer Abgrund wohnt ihm inne, wenn es aus den Tastaturen von Internetnutzern kommt. Eine Untugend, mag es scheinen, hat ihr Medium gefunden. Aber auch ihre Entschuldigung und Rechtfertigung?
Vielleicht ist das Internet und sein spezifischer Verrat auch nur ein Spiegel der Realität, in der die Loyalität schon länger am Schwinden ist. Ganz offen verlegen Unternehmen Werke und Arbeitsplätze, wenn andernorts mehr Förderung lockt, vom schnöden Handyhersteller bis zum schöngeistigen Verlagsrest. Vom Volke gewählte Politiker treten zurück, um mit ihrem Einfluss gleich wieder bei den Konzernen anzutreten, mit denen sie schon vorher zu tun hatten. Es verrät seine Leser der führende Journalist, der in die PR zu einer Bank wechselt, es verrät die Bank ihre Kunden bei der Beratung, und es verrät der Abgeordnete seine Wähler beim Verteilen absurder Steuergeschenke und Bankenbeihilfen. Man muss nur die Zeitungen aufschlagen, alles voller Verrat, auch all die schönen Depeschen der amerikanischen Botschaft: Der prinzipienlose Verrat ist in der Realität die Normalität der Oberen. Die Unteren haben das Internet, und wenig Veranlassung, darin mehr Loyalität und Prinzipien zu erweisen, als ihnen im Gegenzug erwiesen wird.
Natürlich entspricht das nicht im Mindesten der Erwartung, das Internet könnte ein besserer Ort sein; allein sein Drohpotential und die Angst vor dem Verrat der Geheimnisse könnten bewirken, dass die Realität ab und an vom ürsprünglichen Verrat doch lieber Abstand nimmt, und mehr Loyalität vorzeigt. Sicher jedoch ist, dass uns der Verrat im Netzt erhalten bleiben wird. Er ist so einfach. Es gibt Anonymisierer und Torrents, es gibt Webseiten und einen richtigen Markt, der Verräter gilt als Rächer der Verratenen, eine zynische Figur für zynische Zeiten in einem zynischen Medium. Die Symbolfigur, deren Maske gerade recht poplulär ist, ist denn auch Guy Fawkes; jener Brite, von dem man sagt, er sei der einzige, der je das Parlament mit ehrlichen Absichten betreten habe – nämlich, um es in die Luft zu jagen. Da ist sie wieder, die Verbindung von Ehrlichkeit, Verrat und dem Wunsch, die Oberen hochgehen zu lassen. Nicht wirklich eine feine Art, aber im Internet durchaus machbar. Jeder Slot, jedes Laufwerk ist eine Möglichkeit, Schwarzpulver unter ungeliebten Personen einzuführen – vielleicht sollte man sich besser daran gewöhnen, dass der Verräter keine Modeerscheinung ist, sondern eine beständige Leitfigur des Internets, die es nicht bei ein paar netten Indiskretionen bewenden lässt, und zu gerne ist man am Bildschirm sein Komplize, da einem nichts passieren kann.
Und Hans-Georg hat es übrigens meines Erachtens vollkommen verdient, dass ihm die Frau davongelaufen ist, finden Sie nicht?