Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Bekenntnisse eines Streuverlustes

Endlich nur noch Werbung, die den User auch wirklich interessiert - das versprechen die Online-Werber schon seit Jahren. Aber trotz Targeting, Tracking und Profiling regiert doch zumeist noch das Prinzip Gießkanne.

Ein Geständnis gleich vorneweg: Ich finde Werbung gar nicht sooo schlimm. Etliche meiner Bekannten arbeiten in der Werbung, und ich für mein Teil verdiene meine Brötchen mit Berichten in der einschlägigen Fachpublizistik. Aus diesem Interesse heraus surfe ich auch nicht mit Ad-Blocker auf Maximalstufe, sondern versuche lediglich, mir nervige Pop-ups und kaum wegklickbare Layer-Ads vom Hals zu halten.

Aber es gibt da ein paar Anbieter, die meine Nachsicht in Sachen Banner-Werbung allmählich ganz schön strapazieren. Nennen wir doch Namen, da wäre zum Beispiel die Kuppel-Plattform Elite-Partner, die mir (und anderen) ständig “Akademiker und Singles mit Niveau” andient. “Liebe ist kein Zufall”, lautet der Claim dieses Portals, aber die Platzierung seiner Werbebotschaften anscheinend schon. Die erreicht mich nämlich unter anderem auch im eingeloggten Bereich meines Freemail-Anbieters. Und das irritiert mich dann doch nicht wenig; immerhin habe ich dort schon vor Jahren in meinen Profilinformationen den Status/Familienstand in “verheiratet” geändert. Mag ja sein, dass der heilige Ehestand manche Zeitgenossen nicht davon abhält, im Netz auf die Balz zu gehen. Aber ich kann auf derlei Angebote wirklich gut verzichten. Digitale Dating-Dienste sowie deren analog-konventionelle Pendants habe ich übrigens auch in den Jahren meines Single-Daseins nie in Anspruch genommen.

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Was lehrt uns dieses Beispiel nun? Es ist in vielen Fällen anscheinend immer noch günstiger, Werbung nach dem Prinzip Gießkanne zu verteilen als den Aufwand zu treiben, die enger gefasste Zielgruppe auf dem richtigen Fuß zu erwischen. Gut, ich sollte mich eigentlich damit zufrieden geben, dass man mir AkademikerInnen und potenzielle PartnerInnen mit Niveau andienen will. Und nicht etwa versaute, Pardon: aufgeschlossene Osteuropäerinnen, die keine Tabus kennen oder sittlich bedenkliche Fernsprech-Offerten, die Fernsehzuschauern oftmals nach 23 Uhr ins Wohnzimmer gurren. Ich dachte immer, der Deal mit meinem Freemail-Anbieter (ein einheimischer Dienst mit drei Buchstaben) wäre der, dass ich einige persönliche Angaben mache – und der Dienstleister bemüht sich im Gegenzug, die unvermeidliche Werbung einigermaßen auf meine Interessen und Bedürfnisse zuzuschneiden. Das Bemühen ist ansatzweise auch erkennbar: Zumindest schafft man es mittlerweile, die Werbung von Elektronik-Großmärkten so maßzuschneidern, dass der Postleitzahlbereich der mir als Anlaufstelle genannten Filiale halbwegs zu meinem Wohnort passt.

Damit ist der Gipfel der von mir beobachteten Präzisionsleistungen noch nicht erreicht: Irgendwie hat sich im Netz auch herumgesprochen, dass ich privat krankenversichert bin. Und folgerichtig bekomme ich Wechselangebote und Vergleichsberechnungen angedient sonder Zahl. Google hat sich gemerkt, dass meine Frau an meinem Notebook-Heimrechner mal eine Zahnarztpraxis in Düsseldorf suchte. Seitdem vergeht kein Tag im Netz ohne einschlägige Textanzeigen, deren Lektüre einen mit den Zähnen knirschen lässt: “Strahlendes Lächeln wie die Stars”, oder noch krasser: “Endlich lästigen Mundgeruch loswerden!” Hallo, geht’s noch? Das ist kein Mundgeruch, gestern gab’s Knoblauchbrot beim Italiener. Wird das jetzt auch schon erschnüffelt von den Datensammlern? Kürzlich habe ich in den Kleinanzeigen von Ebay ein gebrauchtes Rennrad als Zweitrad für den Winterbetrieb gesucht und gefunden, seitdem verfolgen mich die Rennrad-Anzeigen der Ebucht im Netz, wo ich gehe und stehe, auf der Startseite meines Blogdienstes, auf hinteren Seiten bei Spiegel Online. Meine Frau, die mein heimisches Notebook nach Feierabend auch manchmal nutzt, argwöhnt bereits, ich wolle womöglich ein eigenes Team für die Tour de France ausrüsten oder ein Fahrradmuseum errichten. Kurzum: Das mit der auf die Interessen der Nutzer zugeschnittenen Werbung funktioniert irgendwie noch nicht so richtig. Dass ich privat versichert bin, heißt nicht, dass ich permanent wechselbereit bin. Und dass ich mal ein Fahrrad übers Internet erworben habe, macht es bei Licht besehen nicht sonderlich wahrscheinlich, dass ich das unmittelbar danach gleich wieder tue, oder?

Dabei sind die Anstrengungen, die Werber und Vermarkter im Netz schon heute mit dem sogenannten Targeting (also dem möglichst zielgruppengenauen Einspielen von Werbebotschaften) treiben, ziemlich beachtlich. Wikipedia unterscheidet zwischen Geotargeting, Predictive Behavioral Targeting, Keyword-Advertising, Semantischem Targeting, Sozio-Psychographischem Targeting, Time & Date Targeting und neuerdings auch Social Media Targeting, das mehr oder weniger die anderen Ansätze in sozialen Netzwerken kombiniert. Stets ist das Ziel die Reduzierung der sogenannten Streuverluste, bis im Idealfall jeder User nur die für ihn jeweils relevante Werbung eingeblendet bekommt, der Schuss ins Schwarze sozusagen.

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Stefan Noller, Gründer und Chef des Targeting-Dienstleisters nugg.ad, vergleicht diese ausgefeilten Methoden gerne mit dem Erfolgsrezept von Tante Emmas Laden um die Ecke: Die Inhaberin dort kennt einen und gibt personalisierte Empfehlungen – was nur geht, weil sie stets aufmerksam verfolgt, wie ihre Kunden sich verhalten. „Behavioral Targeting ist der Tante-Emma-Laden als Algorithmus: schauen, was Leute tun, und darauf basierend der Werbung relevantere Antworten geben”, sagt Noller. Wobei für ihn nicht nur das Klickverhalten zählt, zusätzlich setzt seine Firma auch auf Befragungen unter den Besuchern von Websites. Da werden dann Produktpräferenzen und soziodemographische Daten wie Alter, Geschlecht, Formalbildung und Einkommensgruppe erhoben, die in die statistischen Modelle einfließen. Nugg.ad betont, es gehe nicht persönlich um den konkreten User Erich Mustermann und dessen personenbezogene Daten, sondern sozusagen um seine statistischen Zwillinge, die in den für die jeweilige Kampagne relevanten Merkmalen mit ihm übereinstimmen.

Denken wir das ganze Thema aber weiter in die Welt der mobilen Datendienste, dann sind wir dem gläsern Kunden demnächst womöglich doch ein Stück näher. Denn über sein Smartphone und seine Positionsdaten ist der mobile Internet-Nutzer individuell ansprechbar und nicht nur seine statistischen Zwillinge. Amerikanische Rechengenies und Profiler im Dienste der Werbewirtschaft behaupten, sie bräuchten von jedem Menschen nur 20 Datenpunkte, dann könnten sie mit weit über 90 Prozent Wahrscheinlichkeit prognostizieren, welchen Geschmack er hat und welche Dinge er mögen wird. Bringe man die richtige Botschaft für diesen jeweiligen Menschen im richtigen Moment aufs Handy, dann funktioniere das fast so gut wie eine Fernsteuerung.

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Aber Zweifel an diesen vollmundigen Versprechen sind angebracht. Schließlich hören wir die Sirenengesänge von ach so individuell passend zugeschnittenen Werbebotschaften übers Netz schon seit Mitte der Neunziger. Warum mein Handy genauer verraten sollte als mein Computer, wann ich vielleicht wieder ein Fahrrad kaufe, darf man mir gerne mal erklären. Ich halte es da mit Max Goldt, der zum Thema Datenparanoia wegen Volkszählung mal sinngemäß sagte: Was haben sich damals alle drüber aufgeregt aus Sorge, zum gläsernen Bürger zu werden. „Bin ich davon etwa gläserner geworden? Nein, mein Treiben ist undurchsichtig wie eh und je.”

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Unser Gast des Monats nennt sich nach dem Kennzeichen seines Darkmobils
MARK793, betreibt unter https://mark793.blogger.de seine Netzpräsenz
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