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Das Geschäft mit der Katastrophe

Natur- und andere Katastrophen werden statistisch immer häufiger. Noch ist das Problem nicht akut, aber mittelfristig muß man fragen: wer soll das bezahlen? Genauer: versichern?

 

Natur- und andere Katastrophen werden statistisch immer häufiger. Noch ist das Problem nicht akut, aber mittelfristig muß man fragen: wer soll das bezahlen? Genauer: versichern?

Kommt es mir nur so vor, oder gibt es in den letzten Jahren immer häufiger Naturkatastrophen? Aus der ferneren Vergangenheit könnte ich nur das Erdbeben von Lissabon 1755 nennen, das als erste Katatstrophe gilt, die internationale Anteilnahme hervorrief. Aus meiner Kindheit erinnere ich mich an nicht viel, dann irgendwann Katastrophen in Serie. 9/11, Tsunami in Aceh, Oderflut, Haiti, Italien, Pakistan Flut, Australien Flut, Hurricanes in den USA… die Liste ließe sich fortsetzen.

Würde ich wie ein Ökonometriker denken, hielte ich dagegen: das mag am Medienrummel liegen, der solche Ereignisse überhaupt erst in unserer Wahrnehmung bringt. Es mag daran liegen, daß ich älter wurde und überhaupt eine Wahrnehmung entwickelte. Vielleicht aber entspricht meine Intuition doch der Realität – Statistiken haben nämlich offenbar tatsächlich eine Zunahme von Katastrophen festgestellt, und zwar namentlich solcher, die im Zusammenhang mit dem Klima stehen.

Und nicht nur nimmt die Häufigkeit von Katastrophen versicherungsstatistisch gesehen zu – die Schadensummen werden auch immer größer. Erneut mag man einwenden, daß immer mehr Regionen und Personen Zugang zu Versicherungen haben, und daher die Risiken immer häufiger, immer höher versichert werden. So gesehen, sind Statistiken vielleicht doch keine Bestätigung meiner Intuition.

Bild zu: Das Geschäft mit der Katastrophe

In jedem Fall ist die Absicherung von Katastrophen ein spannendes Thema, das aufgrund der – zumindest wahrgenommenen höheren Häufigkeit – sowohl Versicherer als auch Rückversicherer beschäftigt. Sogar die Investmentbanker haben sich vor Jahren damit beschäftigt und die Katastrophen-Anleihe erfunden: auf Englisch Cat-Bond. Was sich so niedlich nach Haustier anhört, fand aber nicht den erwarteten reissenden Absatz und wurde nicht massenfähig, so daß die meisten derartigen Papiere nur over-the-counter gehandelt werden – also nicht börsennotiert sind.

Das klassische Versicherungsgeschäft mit der Katastrophe hingegen läuft so gut, daß die Versicherungen die Nachfrage kaum noch bedienen können. Das Prinzip der Versicherung basiert nämlich auf einigen simplen Prinzipien, von denen einige durch die Moderne und ihre Segnungen in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Vorab muß die Versicherung in der Lage sein, die Eintrittswahrscheinlichkeit und potentielle Schadensumme schätzen zu können. Dafür braucht sie Daten aus der Vergangenheit von vergleichbaren Fällen, einen Computer und einen Ökonometriker, der die wesentlichen Risikofaktoren herausarbeitet und quantifiziert. Auf dieser Grundlage werden Prämien errechnet, die den erwarteten Schaden, die Verwaltungskosten und eine Risikozuschlag enthalten. Plus Gewinnmarge, versteht sich. Der Risikozuschlag dient dazu, die Schwankungen der tatsächlichen Schäden um den rechnerisch ermittelten Durchschnitt zu kompensieren. Gerade bei Katastrophenrisiken sind die Schwankungen besonders hoch – schließlich ist das typische Risikoprofil von Unwettern oder Terrorattacken „low frequency – high severity”.

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Die Kalkulation hängt aber noch von einem weiteren Faktor ab, und gerade der macht Versicherungen so schwierig: die Risikostreuung durch viele verschiedene Versicherungsnehmer, die nicht alle gleichzeitig betroffen sind. Nur wenn das Kollektiv groß genug ist, lohnt sich die Angelegenheit für die Versicherung. Gerade bei Naturkatastrophenrisiken hingegen ist das häufig nicht gegeben. Statt dessen tritt ein BWL-Schulbuchproblem auf: „Adverse Selection”. Es versichern sich gerade jene, die die Absicherung auch brauchen und in Anspruch nehmen, auch bekannt als „die schlechten Risiken”. Die „guten Risiken” hingegen (aus Sicht der Versicherung jene, die jahrelang brav Prämien zahlen und nie Schäden haben) selektieren sich selbst aus der Versichertengruppe heraus. Ich finde die Begriffe „gute” und „schlechte” Risiken bis heute grauenhaft, aber man liest es immer wieder, es scheint wohl anerkannter Jargon zu sein.

Das ist natürlich dumm für die Versicherung, andererseits wäre es ja völlig schwachsinnig, für eine Villa im Harz fern aller Gewässer eine Flutversicherung abzuschließen. Eine Hurrikanversicherung für Hannover. Oder eine Terrorismusversicherung für Reisen nach Timmendorfer Strand.

Terrorismus ist ohnehin ein besonders schwieriges Thema für Versicherungen: ohne verläßliche Daten aus der Vergangenheit kann es keine valide Prognose geben – was die Beurteilung solch neuer Risiken besonders schwierig macht. Fast könnte man sagen, daß 9/11 für die Versicherungswirtschaft in diesem Bereich so etwas wie einer von Nicholas Talebs „schwarzen Schwänen” war. Ein Ereignis, so unvorstellbar, daß man es für ausgeschlossen hielt – und daher versicherungstechnisch chronisch unterbewertet.

Im ersten Moment war die Verunsicherung in der Branche so groß, daß Versicherungsunternehmen kurzfristig die Haftpflichtverträge mit Fluglinien kündigten oder Haftungsgrenzen revidierten, um der völlig veränderten Bewertung solcher Risiken gerecht zu werden. Um den Flugverkehr überhaupt am Laufen zu halten, sprang in Deutschland die Bundesregierung mit vorübergehenden Haftungszusagen ein.

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Das war gut und vernünftig nobel, ändert aber nichts am grundlegenden Problem der Versicherungen, daß Katastrophenrisiken immer schwerer zu versichern sind – obwohl der Bedarf wächst. Zukünftig mag es irgendwann eng werden (aus den oben genannten Gründen), aber noch sind viele Privatpersonen unterversichert. Geht es zum Beispiel um Überschwemmungen, steht der Oder-Anrainer kaum besser da als der Deltabewohner in Bangladesh: beide sind in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht ausreichend abgesichert für ernsthafte Schäden. Mit dem Unterschied, daß der Ostdeutsche theoretisch – noch – die Möglichkeit hätte, während das Versicherungswesen in Bangladesh noch nicht bei der Mehrheit der Bevölkerung angekommen ist. Obwohl also einerseits viele Privatpersonen in Industrieländern ihr Hab und Gut unterversichert haben, stellt sich gleichzeitig die Frage, ob die Versicherungen die umfassende Absicherung überhaupt übernehmen könnten, angesichts der schiefen und regional nach Risiken gebündelten Profile.

Von Großrisiken wie Terrorangriffen oder Naturkatastrophen in Hochrisiko-Regionen gar nicht zu reden. Was im Wirtschaftssprech so schön „Konsolidierung der Branche” heißt, also die stetige Reduzierung auf einige wenige Großunternehmen durch Fusionen, trägt ein Übriges dazu bei, daß die Lasten nur noch auf wenige breite Rücken verteilt werden können. Stellt sich die Frage: was tun? Staatliche Unterstützung wäre eine Option, für die die Versicherer natürlich sehr zu haben wären. Je nach Aufsichtssystem gibt es bereits Mechanismen, die es Versicherungen erlauben, in den fetten Jahren steuerfreie Rückstellungen für die magere Zukunft zu bilden. Staatliche Zwänge zur Versicherungspflicht (um die „guten Risiken” per Dekret in den Pool der Versicherten zu holen) findet wenig Anklang, weil selbst der größte Wirtschafts-Idiot einsieht, daß das nur zu Verzerrungen führen kann.

Wer also meint, sein Leben sei zu langweilig, sollte statt Paragliding oder Base-Jumpen vielleicht einfach ein Haus am Fluß kaufen – und abwarten, wie sich die Versicherungsmärkte und das Klima entwickeln. Möglicherweise wird das aufregender, als man heute meint.