Legostädte, leuchtende Wi-Fi-Netzwerke, Reiserouten von Hausmüll: auf der „Cognitive Cities Conference“ in Berlin ging es nicht allein um die Zukunft der Städte, sondern zunächst darum, Phänomene des urbanen Lebens sichtbar zu machen und zu spüren.
Im Berliner Betahaus sitzen am Sonntagnachmittag 15 Menschen in einem Kreis aus Bürostühlen, haben die Augen geschlossen und lauschen Ben Holden, einem jungen Filmemacher, der zwischen langen Redepausen beschreibt, wie Stickstoffmoleküle durch die Luft schwirren. In Textskizzen finden diese während der Meditationsübung ihren Weg durch die Lungen von Passanten, werden ausgeatmet zurück in die Atmosphäre, hinüber in die nächste Stadt. Nicht sichtbar und doch ist die Luft wohl das Greifbarste, was Städte, Menschen und Unkraut über die Sinne miteinander verbindet, erklärt Holden die Übung. “Sentient Cities” heißt der Workshop, den er im Rahmen der “Cognitive Cities Conference” anbietet: Empfindsame Städte. Holden liegt auf dem Steinfußboden des Konferenzraumes und versucht sich als Objekt im urbanen Raum zu spüren. Der britische Regisseur, so sagt er, ist so begeistert von Berlin, dass er überlege hierher zu ziehen. Dennoch empfinde er, wenn er große Städte durchquere, eine Art Oberflächlichkeit, das Einkapseln, die Entfremdung der Bewohner von der Stadt als wirklich öffentlichen Raum.
Die Stadt zunächst zu spüren und wieder mit ihr in Kontakt zu bekommen, während sich die zweitägige Konferenz der Zukunft der Städte widmet, ist trotz des überrumpelnden Ausflugs in die sensitive Welt des Fühlens, mit der wohl keiner der Teilnehmer gerechnet hatte, eine gute Idee. Denn was begreifen wir eigentlich als Stadt – neben ihrer Betonmasse? Neben Feinstaub, stockendem Verkehr und dem einzelnen Pflänzchen im spröden Asphalt? In diesem Winter halten große Kopfhörer die Ohren warm, sie blenden die schrebbelnden Gitarren in der U-Bahn aus, die unfrisierten Sitznachbarn spiegeln sich kurz im Display der Smartphones, auf denen man im Minutentakt die Nachrichtenticker aufruft, um zu erfahren, ob dieser Minister nun endlich zurückgetreten ist. Touristen muss man mit dem Ellbogen zur Seite bugsieren, um über die zerklüfteten Bürgersteige in das Haus zu gelangen, in dem man noch immer keinen Nachbarn kennt, bis auf die Frau von gegenüber, die immer erschrocken die Gardine vor das Fenster zieht, wenn man selbst das Licht einschaltet. Und den freundlichen Russen, der jeden Freitagabend die dicken Teppiche im Treppenhaus reinigt. Das Summen des Staubsaugers ist das einzige Lebenszeichen der Stadt zu dieser Uhrzeit, der Hinterhof schweigt.
Der Winter in Berlin ist eine Epoche, die alles andere überdeckt. Wenn ich meine vorhanglosen Fenster öffne, spüre ich nicht die Stadt, nur schmerzhafte Minusgrade. Die Kälte stößt mich zurück in die Blase, in der ich sitze und grüble und google, wer diese Menschen sind und wo sie leben, denen die Meinungsforscher Sympathie für einen Betrüger entlocken können. Das Herz der Hauptstadt liegt nicht in der Luft, sie fühlt sich kalt und leer und grau an. Vom Stadtleben ist nichts zu spüren, wenn man die eisigen Tage nur in Betten und Büros verbracht hat, die Nächte in zu warmen, verrauchten Bars.
Solange die Frühlingsluft die Stadt in den Straßen nicht zum Leben erweckt, kann man ihr Treiben dennoch anders in Bilder fassen. Denn verbunden sind wir in der winterlichen Isolation nicht nur in Blickkontakt mit den kleinen Displays, die auf das Handschuhtippen nicht reagieren, verbunden sind wir über die Netze, die wir über die Tasten mit Daten versorgen. Wer die Handystrahlung und drahtlosen Netzwerke fürchtet, reagiert mit Migräne und Krebsangst, wer sie als neue Straßen von Städten begreift, sucht nach Wegen, sie zu kartographieren. “Light Painting WiFi” ist die Methodik, die Einar Sneve Martinussen von der “Oslo School of Architecture and Design” zu diesem Zwecke mit zwei Kollegen entwickelt hat. Die Gruppe will immaterielles Terrain, das den städtischen Raum erobert, sichtbar machen. Dafür eignet sich der schwedische Winter besonders gut. In der Dunkelheit des verschneiten, skandinavischen Nachmittags gewinnen die Lichtgemälde an beeindruckender Intensität. Einar Sneve Martinussen, Jørn Knutsen und Timo Arnall haben einen Mast gebaut, den “WiFi measuring rod”, der ausgestattet mit einer Mobilfunkantenne die Stärke von Wi-Fi-Netzwerken in vierzigfacher Abstufung misst und als Lichtsignale umsetzt. Mit Langzeitbelichtung wird die Bewegung des Mastes über weitere Strecken als Fotografie aufgezeichnet. Lichtwände aus Netzwerkstärken ziehen sich dann über Bürgersteige, Winterwiesen, und Marktplätze (Video).
Neue Produkte bestehen heute aus Geselligkeit, Daten, Funkwellen und Zeit, meint Martinussen. In diesem Sinne sind die “WiFi Light Paitings” Symbole für neue Tragflächen der Stadt, die ihre Form in Kommunikation und Datentransfer finden. Sie werden wachsen und dichter werden. Eine Visualisierung in dreidimensionaler Form könnte ein neues Projekt für das Osloer Designtrio sein.
Die Annäherung an die Natur der drahtlosen und lautlosen Kommunikation über Kunstprojekte oder Datenjournalismus, die das Unsichtbare zu Tage fördern, schulen unsere kognitiven Fertigkeiten die Phänomene einer vernetzten Gesellschaft zu begreifen. Auch alltägliche Prozesse lassen sich über eine Digitalisierung für ein besseres Verständnis aufbereiten. Dietmar Offenhuber vom MIT SENSEable City Lab stellte am Samstag, dem ersten Tag der “Cognitive Cities Conference”, das “Trash Track”-Projekt des Instituts vor. Die teilnehmenden Haushalte suchten dafür 20 verschiedene Stücke Müll für das Forschungsprojekt heraus, die von den Wissenschaftlern des MIT mit kleinen Sendern versehen wurden, die dann die Reise des Abfalls dokumentierten. Die Daten wurden im Anschluss visuell aufbereitet um die großen Distanzen und Umwege der Müllentsorgung zu veranschaulichen und besser zu verstehen, die eigene Abfallproduktion zu reflektieren und etwaige Verhaltensänderungen anzuregen.
Ein sanfter Schubs in die richtige Richtung über neue, kognitive Stimuli – das war nicht nur der Ansatz der SENSEable City Labs sondern in der Gesamtschau auch das, was die Berliner Konferenz zur Zukunft des urbanen Zusammenlebens wollte und bewirkte. Ein Themengebiet interdisziplinär unter die Lupe zu nehmen kann, wenn es schlecht läuft, überfrachtet sein. Den Vortragenden aus Stadtplanung, Architektur, Design, Physik, Rechtswissenschaften, Automobilindustrie und Literatur gelang es jedoch im Neuköllner Heimathafen eine spannende Bandbreite von Ideen zu präsentieren, die immer wieder lose ineinander griffen und ein offenes, unfertiges Bild von der Zukunft zeichneten, das Platz zum Entdecken, Fragen stellen, Atmen und Querdenken lässt. Niemand aus Politik und Verwaltung, der einen eng gedachten Aktionsplan oder eine abgeschlossene Vision für die Städte von Morgen ausrollte. “Cognitive Cities” als Schnappschuss der Community, die sich mit der Zukunft der Städte beschäftigt, lässt hoffen, dass die tragende Organisation aus Stadt und Bürgern aller Art – aus City und Citizen – bestehen wird, die gemeinsam die Städte von morgen neu denken. Oder wie der finnische Designer Sami Niemelä es formulierte: “The future might be soft and fluffy.”
Die Legostadt auf der Bühne, vom Organisationsteam frei gebaut in der Nacht vor Konferenzbeginn, zierte am Samstagabend bereits das erste Graffiti.
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Die Cognitive Cities Conference fand am 25. und 26. Februar in Berlin statt. Alle Vorträge des ersten Tages werden im Laufe der Woche auf der Website veröffentlich: https://conference.cognitivecities.com/
Empfehlenswerte Blogbeiträge zur Konferenz finden sich außerdem bei:
>> spreeblick
>> ruk.ca
>> sputterlyutter.blogspot.com