Auch von offizieller Seite ist bereits gestern darauf hingewiesen worden, dass die deutschen Kernkraftwerke so ausgelegt sind, dass die Schutzziele auch bei starken Erdbeben eingehalten werden
Das deutsche Atomforum in einer Pressemitteilung zu Fukushima
Was, fragte der Direktor den Physiker, machen wir eigentlich, wenn ein Erdbeben den Kühlkreislauf unterbricht?
Das ist mehr als unwahrscheinlich, sagte der Physiker. Da müsste schon ein so schweres Erdbeben wie alle 1000 Jahre kommen.
Aber nehmen wir mal an, es kommt jetzt. Was dann?
Dann laufen die dreizehn Notstromaggregate an und übernehmen deren Arbeit. Absolut sicher.
Aber Notstromaggregate können doch auch ausfallen? Nehmen wir an, ein Tsunami kommt dazu.
Was soll da schon passieren, sagte der Physiker. Erstens sind Leichtwasserreaktoren bauartbedingt sowieso Fail Safe, und zweitens haben wir auch noch Batteriebetrieb für die ganze Anlage.
Aber Batterien haben irgendwann keine Kapazität mehr., betonte der Direktor.
Jetzt hörnSe mal, giftete der Physiker, einmal alle tausend Jahre kommt so ein Erdbeben. Nur in einem von 1000 Fällen springt so ein Notstromaggregat nicht an, und wir haben mehrere davon, Dass alle versagen, dafür stehen nach unseren Berechnungen die Chancen 1:1.000.000. Und falls die Sache wirklich so unfassbar schlimm sein sollte, dass es gar keinen Strom mehr gibt, haben wir sogar Lastwägen mit weitere Notstromaggregaten, die wir einfach hinfahren und anschliessen können. Zur Not auch hinschieben oder hintragen. Kabel dran, fertig, Kühlung wieder gesichert. Was soll da noch passieren?
Ich weiss nicht, ob es diesen Dialog beim Bau des Kernkraftwerkes Fukushima so gegeben hat; vermutlich präsentierten Stochastiker und Physiker gemeinsam eine dicke Untersuchung mit unverständlichen Formeln, die zu einem Ergbenis kam, dass jede Art von Kernschmelze auszuschliessen sei. “Nach menschlichem Ermessen”, wie es dann so gerne, gestern auch von der Kanzlerin, heisst. Das menschliche Ermessen, da steckt das Messen drin und die Fähigkeit des Menschen, es zu tun, und bei uns bedeutet es, eine Berechnung anzustellen und Modelle zu entwickeln, die anhand von theoretischen Annahmen Ereignisse simulieren. Das spart der Autoindustrie Milliarden bei der Entwicklung sicherer Fahrzeuge und hilft früher bei Unfällen; gleichzeitig aber erlaubt es auch Unternehmen, Sicherheit sinnvoll und effizient zu gestalten.
Nach menschlichem Ermessen sind solche Berechnungen also wirklich sinnvoll, und ohne sie, könnte man argumentieren, wäre der Betrieb eines Atomkraftwerkes oder einer Investmentbank unmöglich. Allerdings kam am Freitag erst die Meldung aus Fukushima, das AKW sei abgeschaltet. Dann gab es Probleme mit der Kühlung, dann mit dem Notstromaggregat, dann mit den Batterien, und letztlich gab es beruhigende Nachrichten, am AKW seien Lastwagen mit den nötigen Gerätschaften eingetroffen – das waren dann die mobilen Aggregate. Nur war für die kein Kabel vorhanden. Und deshalb stellt sich für die einen Stochastiker in Banken jetzt die Frage nach der Immobilienpreisentwicklung in Tokio Nord, und für ihre Kollegen bei den Atomlobbys rund um die Welt die Frage, wie man die menschliche Dummheit zukünftig miteinberechnet.
Denn nach diesem Debakel wird es schwer sein, den Menschen kurzfristig weiterhin schöne Zahlen zu verkaufen: Am frühen Samstag hiess es noch stolz, die Reaktorgebäude würden jetzt einem Druck standhalten, der dem 2,1fachen der Belastung entspreche, für die sie entwickelt wurden. Das klang exakt so lange nach einem Beweis japanischer Ingenieurskunst, bis eine Detonation das Gebäude in Fetzen riss. Seitdem weiss, oder zumindest ahnt man: Auch eine 2,1fache Übererfüllung von Modellen und Berechnungen hilft wenig, wenn durch einen schmelzenden Kern alle 250.000 Jahre einmal aus verseuchtem Kühlwasser das Knallgas Wasserstoff entsteht, und sich entzündet.
Diese 250.000 Jahre habe ich in der Schule für das Abitur – Grundkurs Physik – gelernt. Atomreaktorsicherheit gehörte im Bayern der 80er Jahre zum Schulstoff, und uns wurde genauestens erklärt, warum unsere schönen, bayerischen Atomkraftwerke nicht in die Luft fliegen werden. Wir glaubten dem nur auf dem Papier der Klausuren und fuhren zum Demonstrieren nach Wackersdorf, um uns mit Tränengas bewerfen zu lassen, aber mir klingt das noch heute in den Ohren: “Diejenigen unter Ihnen, die Stochastik beherrschen, können das gerne mal nachrechnen”, sagte unser Physiklehrer, dem die 2,1fache Belastung von Reaktoren sicher auch gefallen hätte. Sehr zu seinem Missvergnügen ging kurz nach diesem Lehrstoff der Reaktor von Tschernobyl in die Luft, und er hatte Probleme, das jenseits der Berechnung von 250.000, stellen Sie sich vor, meine Herren, 250.000 Jahren! als menschliches Versagen und eine Verkettung unglücklicher Umstände zu erklären.
Und tatsächlich wird niemand in Abrede stellen, dass die Berechnungen zur Sicherheit zum Reaktor von Three Mile Island in Harrisburg und Tschernobyl in sich, angesichts der menschlichen Annahmen und Analysen, richtig waren. Ebenso richtig wie die Berechnungen sind die Erkenntnisse, die man aus diesen Katastrophen gewonnen hat: In Harrisburg gab es ein Problem mit Anzeigen und Ventilen, in Tschernobyl lag ein Bedienfehler vor, der zusammen mit einem Konstruktionsmangel und einer gewissen Arroganz der Mannschaft zum Super-GAU für unser Lernziel Reaktorsicherheit führte – hier hat man nachgerüstet. In Fukushima war es jetzt vielleicht das Fehlen eines Kabels; wobei ich angesichts der Informationspolitik der Japaner und der Vorgeschichte des Betreibers als Vertuscher schlimmer Vorfälle eigentlich gar nichts glaube. Auch keine Berechnungen, wie unwahrscheinlich so eine Verkettung von so viel Unglück ist. Ich hätte in der 12. Klasse vermutlich einen Verweis bekommen, (oder wenigstens hätte der Physiklehrer meinen Mathelehrer angerüffelt, er sollte mir mal die minimalen Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsberechnung beibringen) hätte ich es gewagt zu behaupten, dass vielleicht auch mal mehr als ein Reaktor am Stück durchgehen könnte.
Es gibt da diese Szene aus Don Camillo und Peppone, da der kleine italienische Ort einen kommunistischen Traktor aus Russlang geschenkt bekommt. Für Peppone ist er enorm wichtig, um die Überlegenheit der russischen Technologie zu zeigen; dummerweise will der Traktor nicht anspringen. Als Peppone alles versucht und aufgegeben hat, lässt er Don Camillo rufen, damit der den Traktor im Namen Gottes segnet. Prompt erwacht der Traktor, an dem alles menschliche Streben versagt hat, durch den Segen zum Leben. Natürlich ist das nur ein Film, aber so etwas sieht man gerne; ich habe den leichten Verdacht, dass sich das menschliche Ermessen nach solchen Geschichten sehnt, egal wie wenig wir an Wunder glauben. Daher erschaffen wir aus der Maschine der Berechnung Sicherheiten, mit denen wir AKWs segnen, in denen wir unsere technische Überlegenheit anhand des Höllenfeuers demonstrieren: Wie gerade bekannt wird, werden in Reaktor 1 von Fukushima Mox-Brennelemente eingesetzt. Da ist Plutoniumoxid drin. Damit könnte man auch anfangen, die Immobilienpreisentwicklung von Tokio Süd zu berechnen. Natürlich nur einmal alle 250.000 Jahre im Namen des Vaters, des Sohnes und des menschlichen Ermessens.
Nun wird es also auch für deutsche Meiler einen Stresstest geben, und Modelle und Berechnungen, und ohne jeden Zweifel wird das Ergebnis nicht sein, dass man die Reaktoren schleunigst abschaltet und die Betreiber bei der Entsorgung in die Pflicht nimmt. Man wird etwas errechnen, das der Bundesregierung gefällt und dem Atomforum nicht minder, es wird Formeln geben und Wissenschaftler, die uns das alles bestätigen. Gwies is nix, sagt der bayerische Volksmund, und zündete in schlechten Zeiten auf Altötting eine Kerze an. Wir dagegen zünden Plutoniumstangen an und beten zum Gott der Maschine, dass er ein gutes Ergebnis verspricht angesichts der optimistischen Annahmen, die wir ihm vortragen. Immerhin ist der Gott der Maschine so freundlich, uns ohne jeden Zweifel die Halbwertszeit von Plutonium 239 mitzuteilen: 24110 Jahre. Das ist viel für den Menschen, aber wenig für 250.000 Jahre errechneter Reaktorsicherheit, und die liegt dem Wesen des Gottes der Maschine mit all ihren Zahlen und komplexen Formeln vielleicht doch etwa näher, als so ein komisch kurzes Erdenleben, das allenfalls zur Krebsstatistik taugt.