Gemeinhin gilt Bescheidenheit als Tugend und Fachkompetenz ist ebenfalls eine Zier. Am besten im Doppelpack. Es geht aber auch ohne.
Bescheidenheit ist eine sehr schöne und dekorative Eigenschaft. Es gibt Menschen, mit denen kann man gut bekannt sein, und trotzdem fällt einem erst nach Monaten auf, daß sie nicht nur sehr eloquent, nachdenklich und stets gut informiert über das Tagesgeschehen sind (was man schon immer wußte), nicht nur hervorragend in ihrem eher technischen Job, sondern außerdem hochgradig gebildet und belesen und sich eingehend mit Kafka und Camus beschäftigt haben. Solch unaufdringliche Bescheidenheit adelt die Tugenden mit Charakter – von der Sorte, wie sie zunehmend selten wird, weil der Alltag permanente Selbstdarstellung fordert.
Der immer häufiger auftretende Gegenentwurf sind Personen, die von nichts Ahnung aber dafür zu allem eine Meinung haben – und damit nicht verstecken spielen, sondern ihr Umfeld an der vermeintlichen Weisheit permanent teilhaben lassen. Erstaunlicherweise scheint man damit heutzutage im Leben gut klarzukommen: gerade wenn es um randständige Bereiche (wie Kultur oder Literatur) geht, die in Wirtschaftskreisen keinen Wert an sich mehr darstellen, stehen dem Angeber alle Tore weit offen. Beim Mittagessen zu erklären, das Konzert sei toll gewesen, doch, ganz fantastisch – nur habe man nicht verstanden, warum der Dirigent immer nur dem einen Geiger die Hand geschüttelt habe… das ist nicht mehr zwangsläufig ein Fauxpas übelster Sorte, denn möglicherweise weiß auch sonst niemand in der Tischrunde, welchen Ursprungs diese sonderbare Konvention ist. Dann hat man also lediglich erfolgreich vermittelt, ein kulturbeflissener Mensch zu sein, ganz ohne Kollateralschaden.
Das ist zwar traurig, aber immerhin richten solche Menschen keinen Schaden an – es sei denn, ihr berufliches Wissen ist vergleichbar dürftig. Oder von Selbstüberschätzung geprägt. Investmentbanker zum Beispiel, die jedes Gefühl für Risikogrößen verloren haben und völlig darauf vertrauen, daß die Mathematiker in den Kellerlöchern das schon alles zuverlässig berechnet haben. Großer Schaden, wie wir alle sehen konnten.
Man sollte nicht mit Dingen spielen, die man nicht versteht. Das schärfen wir unseren Kindern ein und verbieten Feuer, Scheren und Schußwaffen. Was uns aber nicht daran hindert, Physiker mit Spaltungsprozessen experimentieren zu lassen, gerne auch in freier Wildbahn mitten unter uns. Obwohl wir eigentlich nicht mal genau sagen können, wann welches Maß an Strahlung tödlich ist. Trial and error in der Volkswirtschaft hat viele Milliarden Euro verbrannt – für trial and error in der Physik hingegen werden wir noch einen wesentlich höheren Preis bezahlen müssen.
Immerhin läßt sich in solchen Fällen (Extrembeispiele! Übertrieben!) die Schuld bequem den anderen zuschieben. Die Atomkraftwerksbetreiber, die Banken, die Risikomanager – damit haben wir ja aber nichts zu tun. In Wahrheit jedoch sind wir im eigenen Leben genauso unverantwortlich. Im Kleinen.
Die meisten meiner Kollegen arbeiten mit dem Computern. Zu diesem Zweck erwerben sie Spezialistenwissen mit Spezialistenprogrammen, lernen Computersprachen, codieren eigene Miniprogramme. Und das auf Vista. Jedes Mal, wenn ich jemanden sehe, dessen Hauptarbeitsgerät der Laptop ist, und der mit diesem Müll arbeitet, schüttele ich innerlich den Kopf. Ich begreife sehr wohl, warum man sich für die Mainstream-Anwendungen entscheidet, Kompatibilität, Umlernkosten, und so weiter – aber gerade dieses Betriebssystem, das verstehe ich nicht. Ich habe auch Freunde, die vor einigen Wochen total begeistert auf Facebook ein neue Anwendung in ihrem Freundeskreis anpriesen: „Find out who’s stalking you”, oder so ähnlich. Ich benutze, nie, niemals irgendwelche Apps und das aus gutem Grund: viel zu riskant, alles Datendiebe. Es ist schön, im Nachhinein Recht zu behalten, wobei ich in diesem Fall auch gerne mal Unrecht gehabt hätte. Ich kenne massenhaft Menschen, die alle mit Rechnern arbeiten, aber die simpelsten Grundregeln mißachten: eingeschränkte Benutzerrechte im Alltagsbetrieb, Virenprogramm, nicht überall draufklicken, Cookies gelegentlich löschen, aus Fenstern an öffentlichen Rechnern ausloggen.
Immer mal wieder lande ich bei öffentlichen Rechnern auf fremder Leute Facebook-Seiten, fröhlich werden USB-Sticks und Festplatten ein- und umgestöpselt, Rechner bleiben ohne Bildschirmsperre offen stehen – ich sehe das, und winde mich innerlich.
Nun wird mancher argumentieren: wir vertrauen unserem Autobauer, unserem Architekten und unserem Arzt in ihrer Fachkompetenz – warum nicht auch unserem PC-Spezialisten? Es gibt allerdings einen Unterschied zwischen Spezialwissen und Alltagswissen. In manchen Bereichen verbringen Fachleute Jahre mit dem Erwerb von Spezialwissen, da kann man mit Recht darauf vertrauen, daß das einigermaßen vorhanden ist. Die arbeitsteilige Gesellschaft hat das durchaus klug eingerichtet. Der computerisierte Alltag hingegen erfordert kein jahrelanges Studium – sondern lediglich ein bißchen guten Willen. Niemand muß Datenbankspezialist oder Programmierer werden, aber ein bißchen Verantwortung für den eigenen Alltag wäre doch wünschenswert.
Das, und ein bißchen Sensibilität für die Gefahren, denen wir uns beim unsachgemäßen Umgang mit Technik aussetzen. Ganz besonders mit Technik, die wir nicht verstehen. Zweifelsohne ist das menschliche Verständnis begrenzt. Ich hätte als kleines Mädchen tausend Eide geschworen, daß mein Pferd niemals, niemals! Mit mir durchgehen würde. Es war doch mein Pferd, wir waren Freunde, es war zuverlässig und ruhig und überhaupt das beste Pferd der Welt. Retrospektiv war das eine Milchmädchenrechnung. Ein Pferd ist ein Tier, ein Fluchttier obendrein, und wenn es sich erschreckt, geht es durch. Immerhin waren die Risiken meiner Dummheit zwar nicht überschaubar, aber doch kalkulierbar: Pferd geht durch, demoliert ein paar Autos, löst schlimmstenfalls einen Unfall aus, Personenschäden möglich. Das wäre alles sehr traurig für die Betroffenen gewesen, aber keine Katastrophe globalen Ausmaßes – man mag mir also meine Naivität nachsehen.
Sorgloser Umgang mit den Segnungen der Computertechnik hat die Iraner ihre Atomforschung (bis auf weiteres), die Amerikaner ein Gutteil ihrer politischen Glaubwürdigkeit, und so manche Privatperson viel Geld gekostet – aber auch das sind alles höchstens mittlere Katastrophen. Für unser Spiel mit dem Weltklima hat der ein oder andere Flachlandbewohner bereits eine Anzahlung geleistet und über die Gesamtkosten wird uns die Zukunft belehren – auch da aber, könnte man sagen, haben wir an Schrauben gedreht, von denen wir nicht wußten, welche Konsequenzen es haben würde. Wir waren eben jung und dumm, brauchten den Wohlstand und wußten es nicht besser.
Manche Dinge aber kann man besser wissen – irgendwann. Dann sollte man sich erstens sorgfältig und kritisch informieren. Sind der eigenen Fachkompetenz Grenzen gesetzt, empfiehlt es sich, den Mund nicht allzuweit aufzureißen – sogar dann, wenn man Politiker ist und zu allem eine Meinung hat. Vor allem aber sollte man aufhören, in aller Ahnungslosigkeit weiter mit dem Feuer zu spielen. Wenn meine Freundin sich die Finger an der heißen Herdplatte verbrennt, halte ich ja auch nicht noch einmal mein Patschehändchen drauf.