Nirgendwo anders sind Menschen, die twittern, so glücklich wie in Deutschland. So verzeichnet es die “Twitter Happiness Map” des Forschers Alex Davies. Doch sind “Sonne”, “Sommer”, “super” die Schlüsselworte zum Bruttonationalglück der digitalen Welt?
Das Leben im Netz, in den abgedunkelten Jugendzimmern der Gamer und unter den Bettdecken mit iPads muss in schwungvoll einschnappende Schubfächer passen, damit wir darüber sprechen können. Nicht nur der Nerd ist ein viel besprochener, klischeebeladener Gegenstand des Feuilletons, die Lehrer sorgen sich um halbwüchsige Ego-Shooter, Ehepartner um ihre ebay-süchtigen Frauen, Suchtforscher um die Liebhaber pornographischer Videoclips, die Politik um die Wutbürger, die sich unter Fantasienamen in sozialen Netzwerken zu Randalen organisieren. Die Nutzerinnen und Nutzer von Facebook seien klüger und wohlhabender als die verbliebenen Mitglieder des Netzwerkes Myspace, niemand weiß, wer sich eigentlich auf Grindr verlässt, die langweiligen Bachelor-Studenten bei Studi-VZ sind nicht einmal mehr permanent betrunken, denn Mett ist das neue Mem.
Wohl jeder, bis auf die stummen Lurker auf den Spähbänken von Communities, rutscht über die noch so zarte Präsenz und bedachtes Handeln im Internet in die Schublade von User-Typologien, die eines gemeinsam haben: ihr Wesen ist immer ein Stück weit abnorm. Ob die Liebe zur Fotografie, zu Karthäuserkatzen, zu Kürbisrezepten oder dem eigenen Kleinkind, wer eine Leidenschaft im Netz lebt und dokumentiert, wer seine Blogeinträge konsequent in Minuskeln schreibt, wer als Hauptstadtjournalist oder Regierungsbeamter mit Freude twittert: ihnen allen muss das W-LAN den Kopf verdreht haben.
Doch endlich gibt es eine gute Nachricht aus den Weiten der digitalen Sphäre zu berichten. Eine, die hoffnungsvoll stimmt und erahnen lässt, dass der Siegeszug des Internets nicht den Untergang der abendländischen Kultur eingeleitet hat; die beglaubigt, dass das Netz mehr ist als Datenraub, Einsamkeit und trivialer Austausch. Eine Nachricht, die erreicht, dass Sie ihr Kind künftig unbesorgt vor dem Rechner anbinden, wenn sie für ein Bier das traute Heim verlassen: Das Internet macht glücklich. Um es genauer zu sagen: in Deutschland leben Netzbürgerinnen und -bürger, die glücklicher sind als anderswo, sofern sie Twitter nutzen.
Erzeugt das Tippen von Mitteilungen in 140 Zeichen Hochgefühle? Nun, das Kurznachrichtennetzwerk ist zumindest der Ausgangsort für die Glücksforschung im Internet, den der Cambridge-Doktorand Alex Davies gewählt hat. Er untersuchte Tweets aus 25 Nationen hinsichtlich ihres emotionalen Gehalts, der sie in “traurige” und “fröhliche” Aussagen aufteilte. Zu diesem Zwecke zog er Schlüsselwörter heran, die in den verschiedenen Landessprachen Gefühle und Stimmungen ausdrücken können und analysierte zusätzlich die Kombination von Wörtern mit Emoticons. Den höchsten Anteil “glücklicher” Tweets fand Davies in Deutschland. Worte, die auf sorgenfreie Menschen vor dem Eingabefenster des Microbloggingdienstes hinweisen sind demnach: Liebe, Sonne, geil, Sonntag, endlich oder Bett. Einfach scheint es gestrickt, das deutsche Glück. Oder wirkt das Schreiben belangloser Status-Updates am Ende wie eine sanfte Droge, die beseelt und das Grinsen des Autors in das Textfeld zerrt?
Diese Nachricht, dass die Deutschen die glücklichsten Twitter-Nutzer sind, sollte doch auch die Hauptstadtjournalisten begeistern können: Ein soziales Netzwerk bewegt die einheimischen Nutzer dazu ihr Glück zu teilen, nicht nur Lolcats. Denn Glück ist keinesfalls trivial, und so sollte das Bruttonationalglück auch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle hellhörig stimmen, wenn selbst die Wirtschat die FDP nicht mehr aus dem Schlamm ziehen kann. Die Stimmung im Land bringt Schwung in die Ökonomie.
Doch was wissen wir über die Twitter-Nutzer, die das Netzwerk nur als Linkschleuder nutzen, die dort niemals ein Smiley einfügen oder ein trauriges Gesicht, die nicht schreiben, sondern Fotos teilen, ihre Gefühle über Musikvideos erzählen, oder die hohe Kunst der Ironie beherrschen, ganz ohne zwinkerndes Emoticon?
Den Pulsschlag des Onlineglücks auf die Weise zu messen, wie Alex Davies es versuchte, ist Küchenpsychologie. Ein Ansatz, der hervorragend zu der Nutzung des Netzwerkes passt, denn viele User leben ihren Hang zum Therapieren, Analysieren, Besänftigen und Anstacheln ihrer Freunde und Follower auf ähnliche Weise aus.
“Ich schmökere in meiner Twittertimeline und lege Satz für Satz auf die Couch. Wenn für angewandte Küchenpsychologie niemand auf meinem Sofa oder auf dem nebenstehenden Barhocker sitzt und in Weinlaune zu erzählen beginnt, gilt die Analyse dem ins Netz getippte Wort. Leicht kommen mehr als drei fünfzigminütige Sitzungen pro Woche zusammen. Mehrmals am Tag geben die frei publizierten Assoziationen Auskunft über das Befinden im Damals, hier und morgen der befreundeten Patienten. So erquickt die wohlgenährte Datenbasis das Herz des Analytikers: Fotos, Vorlieben, Freunde und die Bereitschaft laut zu denken, zu planen, zu bangen. Karriereschritte, kleine Flirts und Kinderwünsche – über soziale Netzwerke puzzeln wir die Geständnisse unserer Netzgefährten zu Bildern der einzelnen Protagonisten und zu einer Deutung der gesamten digitalen Sphäre zusammen. Wir haben das Netz durchschaut!”
(aus: “So nah und doch so fern – Der fremde Freund”)
Was Davies quantitativ erhoben hat, leiten Twitteruser innerhalb ihres eigenen Netzwerkes intuitiv an der gefühlten Betriebstemperatur anderer ab, jedoch werden Emotionen in jedem Gesprächszirkel innerhalb von Twitter anders codiert, und nicht ausschließlich über die Worte, die Davies indiziert hat. Denn an einem sonnigen Sonntag über einen Sonntag im Sommer zu lesen produziert beim Leser eher ein “me too”-Gefühl, als eine Einschätzung für die Stimmung des anderen. Neben der bauchgetriebenen Interpretation über die Gefühlslage, die die Kurztexte anderer aussagen mögen, etablieren sich einzelne Begriffe als Codeworte für Gemütszustände, twittertypisch mit einem Hashtag versehen. Aus dem englischen Sprachraum auch im deutschen adaptiert, sind die mutmaßlich am häufigsten benutzten Hashtags dieser Art #win, #fail und #wtf, die sich jedoch nicht ausschließlich dafür benutzt werden, um ein emotionales Erlebnis zu betonen, sondern ebenso eine Haltung gegenüber einem Ereignis unterstreichen können. Zur emotionalen Differenzierung der auf Twitter geschriebenen Erlebnisberichte, werden diese Hashtags präziser, unmissverständlich auf das Gefühlte formuliert oder sind nur für Eingeweihte zu entziffern. Das Problem, was sich der Forschung hier jedoch stellt, ist, dass die Begriffe oftmals nur bekannt sind, wenn man selbst Twitter aktiv nutzt und weiß, dass ein #hach oder ein <3 wohl mehr Glücksgefühle ausdrücken, als ein Satz, in dem “Wochenende”, “Bett” und “lecker” vorkommen. Und selbst nach meiner jüngsten Lektüre der BRAVO, die ich kaufte um mich davon zu überzeugen, dass sie tatsächlich ein Anti-Atomkraft-Poster enthielt, habe ich nicht die leiseste Ahnung, welche Begriffe Jugendliche benutzen, wenn sie sich freuen oder traurig sein. “Geil” gehört bestimmt schon zu den alten Eisen.
Doch wenn Alex Davies mit seiner Studie bewirkt hat, dass die Nutzung des Netzes und der Zeitvertreib bei Twitter nur für einen Moment als etwas Glücksstiftendes betrachtet werden und die Digitale Welt kein Hort der einsamen Griesgrame ist, ist mir das ein <3 wert. Morgen wird wieder eine Zeitung schreiben, dass zu viele Tweets den Charakter verderben.
Der Triumph des Glücks im Internet ist nur eine Momentaufnahme. Denn bedenken Sie stets: die nächste E-Mail, der nächste Klick, das Löschen einer Liebe könnte sie in eine tiefe Frühlingsdepression stürzen.