Das ist schon ein ziemlich starkes Stück, das sich der niederländische Hersteller von Navigationsgeräten Tomtom geleistet hat: Einerseits wirbt Tomtom für seine entgeltpflichtigen Sonderdienste mit dem Versprechen, über Blitzanlagen und Starenkästen müssten sich Fahrer mit einem entsprechend aufgerüsteten Tomtom an Bord keine Sorgen mehr machen. Jetzt wurde aber bekannt, dass der Navi-Hersteller anonymisierte Bewegungsdaten von Navi-Nutzern an die niederländischen Behörden verkauft hat. Und ausgerechnet die Polizei will mit Hilfe dieser Bewegungsdaten nun geeignetere Standorte für Geschwindigkeitskontrollen ermitteln.
Tja. Angesichts des – eigentlich erwartbaren – Sturms der Entrüstung auf Kundenseite beeilte sich der Chef des Unternehmens zu beteuern, diese spezielle Art der Nutzung habe man beim Weiterverkauf der Daten an die Behörden eigentlich nicht im Sinn gehabt. Vielmehr sollten die gesammelten Verkehrsdaten dazu beitragen, den Verkehrsfluss zu verbessern und Staus zu reduzieren. Aber sonderlich glaubhaft klingt diese Erklärung nicht. Und dass den amtlichen Datenkäufern diese Form der Nutzung künftig per Lizenzvereinbarung untersagt wird, wie Tomtom-CEO Harold Goddijn vage in Aussicht stellte, kann man glauben, muss man aber nicht.
Diese Episode aus den Niederlanden passt insofern gut in die Zeit, als das Thema Bewegungsdaten und der Umgang von Unternehmen damit auch andernorts für Unmut sorgt. Die Computerfirma Apple geriet in die Kritik, als vor über einer Woche einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, dass Iphones permanent Positionsdaten protokollieren. Und das sogar dann, wenn Nutzer die Ortungsfunktion abgestellt haben. Firmenchef Steve Jobs versuchte die Wogen zu glätten mit dem Bekenntnis, es handle sich um Programmierfehler, die erst jetzt entdeckt worden seien: zum einen, dass Daten länger als sieben Tage gespeichert würden, und zum anderen dass die Speicherung weitergehe auch bei abgeschalteter Ortungsfunktion – beide Fehler wolle man mit einem kostenlosen Update in Kürze beheben.
Ob diese ganzen Bewegungsprofile der einzelnen Apparate von Apple gesammelt werden, blieb zunächst unklar. Aber inzwischen hat Apple eingeräumt, man sei dabei, eine Datenbank mit Informationen zu Verkehrsflüssen aufzubauen. Sonderlich überraschen sollte das eigentlich niemanden. Denn in den Nutzungsbedingungen eines Software-Updates für Iphones und Ipads stand schon im vorigen Frühjahr ein Passus, wonach der Nutzer dem Computerhersteller explizit das Recht einräumt, Bewegungsdaten zu erheben. Und warum auch nicht, schließlich gehören solche Datensammlungen sowohl bei Navi-Herstellern als auch bei Smartphone-Anbietern zum Standard-Procedere. Sei es, um ortsbezogene Werbeeinblendungen zu ermöglichen oder eben für verbesserte Verkehrsprognosen.
Bei Tomtom läuft das beispielsweise so, dass die Teilnehmer der Livedienste ihre Positionsdaten an Tomtom übermitteln und Tomtom diese ganzen Bewegungsdaten von Nutzern in ihre Echtzeit-Verkehrsinformationen und Routenempfehlungen einfließen lässt. Auch in den Routenempfehlungen und Fahrdauerberechnungen der Navis ohne permanente Datenverbindung zum Anbieter steckt gesammeltes Wissen über unterschiedliche Verkehrsdichten und gefahrene Geschwindigkeiten zu bestimmten Zeiten drin. Entsprechend kann die vorgeschlagene Route je nach Tageszeit und Wochentag stark variieren. Von Hannover aus beispielsweise wäre die A 2 bis zum Kreuz Oberhausen und dann weiter auf der A 3 der naheliegendste Weg Richtung Düsseldorf. Dank der Tomtom-Empfehlungen hat der Verfasser dieses Beitrags in der Zwischenzeit eine Reihe von Alternativ-Strecken über das Kreuz DO-West oder über die A 43 Richtung Wuppertal kennengelernt. Ob das in jedem Fall die klügere Entscheidung war, schwer zu sagen, aber zumindest die Abkürzung bei Bochum-Riemke durch die Innenstadt statt bis zum Kreuz Bochum kann man durchaus nehmen (auch wenn sich das Autofahrerherz im ersten Moment dagegen sperrt, von der Autobahn runter in die Innenstadt zu fahren).
Es ist im Prinzip auch jedem denkenden Menschen klar, dass brauchbare Verkehrsinformationen und Routenempfehlungen nur zu haben sind, wenn genügend Nutzer ihre aktuellen Positionsdaten ins jeweilige System einspeisen. Allerdings setzt das ein gewisses Grundvertrauen der Nutzer voraus, dass die Daten zum einen nur anonymisiert verwendet werden und zum anderen auch nur für die Routenoptimierung und ähnliches verwendet werden. In dem Patentantrag zur „Location History”, den Apple im März 2011 eingereicht hat, stellt das Computerunternehmen aber noch ganz andere Anwendungen in Aussicht: Da ist unverhohlen die Rede davon, die Ortungsdaten aus Iphones und Ipads mit anderen persönlichen Informationen zu verknüpfen, mit getätigen Anrufen oder Logins bei Sozialen Netzwerken wie Facebook und sogar mit mobil getätigten Bankgeschäften. Nun werden die Angehörigen des Apfel-Kults nicht müde zu betonen, es sei in der Computerbranche völlig üblich, in Patentschriften allerlei abenteuerliche Anwendungen aufzuführen, um sich für etwaige Rechtsstreitigkeiten abzusichern. Und richtig, Googles Android-Handys sammeln ja auch Ortsdaten. Aber eine gute Informationspolitik hätte anders ausgesehen. Und mit Blick auf diese Patentschrift klingt die Aussage von Steve Jobs, die exzessive Ortsdatensammelei der Iphones sei ein Bug, nicht sonderlich glaubhaft.
Welchen Wert Handy-Ortungsdaten und Bewegungsprofile für die Strafverfolgungsbehörden haben, ist einer breiten Öffentlichkeit mittlerweile klar. Aber das Bewusstsein dafür, dass für die Unternehmen eine Goldgrube in diesen Datensätzen stecken könnte, entwickelt sich erst allmählich, auch wenn ortsbasierte Dienste (Location Based Services) schon seit längerem als das nächste große Ding gehandelt werden. Es braucht keine Prophetengabe, um zu erkennen, dass der Erfolg solcher Dienste und Angebote in hohem Maße davon abhängen wird, ob die Nutzer genügend Vertrauen in die Diensteanbieter haben, um ihnen ihre Daten anzuvertrauen, auf deren Basis dann die ortsgebundenen Empfehlungen und dergleichen aufs Endgerät kommen sollen. Die Weitergabe der Bewegungsdaten von Tomtom-Kunden an die Polizei und die Informationspolitik von Apple zur Sammelei von Ortsdaten in den Iphones sind jedenfalls nicht sonderlich geeignet, Vertrauen beim Verbraucher zu stiften.