Sicher, so richtig überraschend kam es nicht, als Facebook seine Gesichtserkennung vorige Woche auch in Deutschland startete. Heißt ja schließlich nicht umsonst Facebook, wie manch ein oberschlauer Kommentator dazu vermerkte. Und basierte nicht auch schon der von Mark Zuckerberg zu seinen Uni-Zeiten entwickelte Facebook-Vorgänger Facemash auf Personenfotos? Über deren Attraktivität durften die User im Internet abstimmen – und die abgebildeten Personen wurden nicht vorher gefragt, ob sie ihr Konterfei für diesen Attraktivitäts-Contest hergeben.
Gemessen daran kommt die Personenerkennung von Facebook als deutlich kleineres Übel daher. Die Social-Media-Plattform preist ihr Feature nachgerade als Erleichterung für die vielen Benutzer, denen es zu lästig wird, beim Hochladen von Fotos die Namen der Abgebildeten immer wieder neu von Hand einzugeben. Jetzt gleicht die Software jedes hochgeladene Bild mit Gesichtern aus der Freundesliste ab. Glaubt die Software einen der Freunde auf dem Bild zu erkennen, etwa anhand von früher von Hand eingetragenen Markierungen, schlägt sie vor, auch das neue Bild mit dessen Namen zu markieren, also zu „taggen”. Mehrere Bilder, in denen das Programm die gleiche Person zu erkennen meint, werden so nebeneinander gruppiert, dass der Benutzer sie einfacher in einem Aufwasch markieren kann.
Dass diese bahnbrechende Neuerung von der Nutzerschaft frenetisch bejubelt wird, wäre indes gelogen. Was Wunder – wenn schon nicht wenige Zeitgenossen bei der Abbildung ihrer Hausfassade im Internet ein mulmiges Gefühl verspüren, löst die automatische Verknüpfung eines Personenfotos mit dem dazugehörigen Namen bei vielen noch ganz andere Horrorvorstellungen aus. Etwa die Sorge, sich vielleicht bald gar nicht mehr unerkannt im öffentlichen Raum bewegen zu können – so wie in dem beklemmenden Hollywood-Film „Minority Report” mit den allgegenwärtigen Iris-Scannern. Oder ganz simpel: Ein Unbekannter hält sein Handy in meine Richtung, und schon liefert ihm eine Erkennungssoftware meinen Namen und was die Suchmaschine alles dazu noch ausspuckt. Googles Handy-Betriebssystem Android kann das im Prinzip schon, allerdings hat der Suchmaschinenriese diese Funktion aufgrund zu erwartender massiver Proteste nicht freigeschaltet.
Aber auch an der entschärfteren Facebook-Gesichtskontrolle entzündet sich Kritik. Da ist mal wieder die notorisch schlechte Informationspolitik des Social Networks: Änderungen werden einfach implementiert ohne große Ansage. Nun hat ein Sprecher gegenüber der BBC eingeräumt, das Unternehmen hätte da vorher besser informieren sollen. Aber sonderlich glaubhaft klingt diese Zerknirschung nicht, ist es doch seit Jahr und Tag der übliche modus operandi, erst mal ungefragt neue Einstellungen vorzunehmen und es dann dem Benutzer zu überlassen, wie er die Änderungen wieder aus der Welt schafft, wenn er denn überhaupt merkt, dass jetzt gewisse Dinge anders funktionieren.
Und dann – man ahnt es bereits – ist da natürlich noch der Datenschutz-Aspekt. Gegenüber dpa bezeichnete der Hamburger Datenschützer Johannes Caspar die Sammlung von biometrischen Merkmalen von Millionen Menschen als „hochbrisant”. Für dieses Feature müsse bei Facebook permanent eine gigantische Datenbank im Hintergrund laufen. Hier bestehe erhebliche Missbrauchsgefahr. Zudem habe es Facebook versäumt, die Nutzer ausdrücklich in Kenntnis zu setzen. Wer nicht mitmachen wolle, sei gezwungen, die Funktion zu deaktivieren.
Freilich muss der Datenschützer auch einräumen: Ob der Facebook-Gesichtserkennung mit deutschen Datenschutzbestimmungen überhaupt beizukommen ist, bleibt die große Frage. Facebook vertritt den Standpunkt, dass die Nutzungsverhältnisse aller europäischen Nutzer nach Irland umgestellt wurden. Das hätte, wenn man sich dieser Rechtsauffassung anschließt, die kurios anmutende Konsequenz, dass deutsche Datenschützer angehalten wären, auf die Einhaltung irischer Spielregeln zu pochen, auch wenn diese von deutschen Bestimmungen abweichen. Zwar würde man die rechtlichen Möglichkeiten derzeit prüfen, sagt Caspar, „aber unser Einfluss ist da begrenzt.”
Facebook-Verantwortliche hingegen betonen, jeder Nutzer könne die Erkennungsfunktion für sein Gesicht jederzeit abschalten und bereits vorhandene Namens-Tags löschen. Zudem erzeuge da Feature streng genommen ja gar keine neuen Daten. Und unterm Strich bringe das Markieren den Nutzern mehr Kontrolle als vorher: „So sehe ich wenigstens sofort, wenn jemand ein Foto von mir hochlädt”, so Facebook-Sprecherin Tina Kulow gegenüber Focus Online. Mit welchen Klicks in welchen arkanen Untermenüs die Einstellungen zu ändern sind, damit das eigene Gesicht möglichst unmarkiert bleibt, ist inzwischen auf fast allen relevanten Sites beschrieben worden. Allerdings sollte sich der Nutzer damit nicht in falscher Sicherheit wiegen, er hätte das Thema Gesichtserkennung vom Hals. Das Programm versucht auch weiterhin, Namen und Gesichter möglichst umfassend zu verknüpfen, und bisher gesammelte Tags zu einem Gesicht werden auch nicht gelöscht durch das Deaktivieren der Funktion. Dazu muss der Nutzer eigens eine Mail an den Facebook-Support schreiben und um Löschung der bereits gespeicherten Daten ersuchen. Und wird man erneut markiert von einem Freund, muss man dieses Procedere wiederholen, wenn einem die Löschung der neuerlichen Tags wichtig ist. Eine Möglichkeit, seine Profileinstellungen so zu ändern, dass man generell nicht mehr markiert werden kann, gibt es bei Facebook nicht, resümiert der Blogger Richard Gutjahr und gibt den Nutzern daher den nicht ganz ernst gemeinten Rat: „Immer schön lächeln!”
Was bleibt auch anderes übrig, solange der Leidensdruck nicht groß genug ist, der Plattform endgültig den Rücken zu kehren? Man muss das neue Feature für sich betrachtet tatsächlich nicht für eine Geißel der Menschheit halten, auch wenn es – konsequent weitergedacht und in einem größeren gesellschaftlichen Kontext betrachtet durchaus problematische Implikationen hat. Es bleibt mal wieder das blöde Gefühl, man säße wie der sprichwörtliche Frosch im Kochtopf, und die Temperatur der Herdplatte wird immer nur so weit erhöht, dass dem Frosch zwar heißer wird, aber nicht so viel heißer, dass er aus dem Kochtopf spränge. Und am Ende ist er doch gut durchgekocht, der Frosch.