Die Arbeitslosenquote sorgt alljährlich (manchmal mehrfach) für Aufregung. Zu recht, oder handelt es sich möglicherweise um die meistmanipulierte Zahl zur Beschreibung wirtschaftlicher Wohlfahrt?
Die Wirtschaft, so kann man allenthalben in den Medien lesen, erholt sich gerade wieder. Der Aufschwung kommt, Unternehmen haben wieder Aufträge, Geschäftsklimaindizes zeigen wieder aufwärts, und die Menschen finden auch wieder Arbeit.
Tatsächlich haben Freunde von mir, die die letzten zwei Jahre unzufrieden auf ihren Bürosesseln kreiselten und auf bessere Zeiten warteten, nun neue Stellen. Noch vor einem Jahr war der Markt flau und die Angst groß, lieber hielt man an dem fest, was man hatte – notfalls auch ohne berufliche Erfüllung, soweit es die in Vernunftberufen überhaupt geben kann. Nun aber haben sie Bewerbungen geschrieben, Einladungen erhalten und hatten am Ende genug Angebote, um tatsächlich die Qual der Wahl zu haben. Soweit scheint also am Aufschwung etwas dran zu sein, allerdings ist das nur die Perspektive von Akademikern mit nach landläufigen Maßstäben brauchbarer Ausbildung (also nicht so unnütze Leute wie Musikwissenschaftler, Germanisten oder Kulturhistoriker). In jenen Bereichen scheint es nach wie vor schwierig zu sein, allenthalben wird der Geist kaputtgespart und solange es junge Absolventen gibt, die 18 Monate unbezahltes Volontariat bei einem namhaften Rundfunksender machen wollen, wird sich daran wohl auch nichts ändern. Allgemein jedoch sagt man, daß die Akademikerarbeitslosigkeit deutlich unter dem Durchschnitt für alle Berufe liegt.
Und damit geht es los: Akademikerarbeitslosigkeit. Gibt es also auch eine Nichtakademikerarbeitslosigkeit? Eine Handwerkerarbeitslosigkeit? Google findet genau drei Treffer, das scheint kein sehr gängiges Schlagwort zu sein. Insgesamt jedoch ist es ein komplexes Thema und möglicherweise ist die “Arbeitslosenquote” die meistmißbrauchte Statistik überhaupt. Es wimmelt von allerlei Begrifflichkeiten, die sich zuerst synonym anhören. Arbeitslose, Erwerbslose, garniert mit „Langzeit” und Kurzzeit, es gibt allerlei Arten von Arbeitslosigkeit, die verschieden schlimm zu kategorisieren sind und die Informationsfülle im Internet ist überwältigend.
Arbeitslose also sind – nach deutschem Recht – Personen, die arbeitswillig und arbeitsfähig sind, aber keine Arbeit haben. Und statistisch werden sie nur dann erfasst, wenn sie sich auch arbeitslos melden. Die Arbeitslosenquote ist dann ganz einfach der Anteil der Arbeitslosen an der Gesamheit der arbeitsfähigen und -willigen Personen. Einfach? Mitnichten.
Zuerst gibt es jene, die sich nicht beim Amt melden. Da wären zum Beispiel jene hochqualifizierten Kräfte mit internationaler Karriere, die ohnehin nicht bezugsberechtigt an staatlichen Töpfen sind, vielleicht auch keine Notwendigkeit haben und sich folglich nicht melden. Ergo werden Personen nicht gezählt, die zwar arbeitslos sind, aber keine Leistungen beziehen. Auch nicht gezählt werden jene, die nach der Meldung vom Arbeitsamt in allerlei Maßnahmen gesteckt werden, Weiterbildungen, subventionierte Tätigkeiten etc. – die beziehen zwar Leistungen (wenigstens indirekt), sind aber nicht arbeitslos. Per se ausgeschlossen sind auch alle, die als arbeitsunfähig klassifiziert wurden, und Selbständige (auch wenn es da viele geben dürften, deren Selbständigkeit eine Verzweiflungstat mangels Alternativen war). Letztere bezeichnet man auch als „versteckte Arbeitslosigkeit”, was ich für einen sehr treffenden Begriff halte.
Jene hingegen, die zwar arbeiten wollen, aber nicht gemeldet sein (weil ohnehin nicht anspruchsberechtigt oder denen die Forder- und Pflichtmaßnahmen widerstreben) sind die „stille Reserve“, ein Euphemismus von solcher Phantasie, daß ich ihn gerne den Autoren vom Neusprechblog ans Herz legen würde.
Da die Kategorisierung der Gruppen und die Einbeziehung in die Arbeitslosenquote mit jeder Änderung des Sozialgesetzbuches wechselt, ist es mit der Kontinuität derselben nicht sehr weit her, und angesichts all der unscharfen Abgrenzungen interessiert mancher Sozialwissenschaftler sich inzwischen mehr für die Quote der Leistungsempfänger – was natürlich neue Probleme aufwirft. Auch im internationalen Vergleich kommt man mit der deutschen Arbeitslosenquote nicht sehr weit, weil jedes Land seine eigenen Sozialgesetze hat und Arbeitslosigkeit unterschiedliche definiert.
Erfreulicherweise gibt es dafür internationale Organisationen, namentlich die OECD und die International Labour Organisation (ILO), die ihre eigenen Statistiken (auf Daten der nationalen Statistiken) aufbereiten und dabei die zeitliche Vergleichbarkeit pflegen. Kleiner, aber feiner Unterschied: diese Zahlen kommen vom Bundesamt für Statistik, während die deutsche Arbeitslosenquote auf Zahlen der Arbeitsagenturen basieren.
Auch das hat jedoch seine Tücken, die Zahlen für Deutschland zum Beispiel werden seit dem letzten Mikrozensus 1987 hochgerechnet, basierend auf telefonischen Umfragen. Tendenziell liegen die Zahlen unter jenen der deutschen Statistik, zum Beispiel war die Arbeitslosigkeit gemäß der „harmonized unemployment rate „ der OECD in 2008 7,6 %, in 2009 7,7 % und in 2010 sogar nur 7,1 %. In der ersten Hälfte 2011 ging es weiter nach unten, im April waren es nur noch 6,1 %. Die deutsche Statistik hingegen nennt 7,8 %, 8,1 %, dann 7,7 % und in 2011 um 7,1 %. Kleiner Unterschied: ein Prozent entspricht bei etwa 42 Millionen erwerbsfähiger Personen (gewissermaßen der Zähler der Arbeitslosenquote) fast einer halben Millionen Menschen. Das ist eine arbeitslose Großstadt. Oder eben, gemäß der OECD, eine arbeitstätige Großstadt. Bemerkenswerterweise findet sich übrigens in 2005, dem Jahr der H4-Reform und Revision der statistischen Grundlagen ein deutlicher Sprung nach oben. Davon, daß die Arbeitslosenstatistik durch H4 geschönt wurde, kann erst mal keine Rede sein. Andererseits flogen offenbar 2007/08 die Vorruheständler aus der Statistik raus – sie sind ja freiwillig im Vorruhestand und damit nicht mehr arbeitssuchend- das waren angeblich auch um die 300.000 Personen, so kann man sich natürlich auch ein Prozent wegrechnen. Schon zwei Jahre später jedoch wurde die Regelung erneut angepasst und die Mehrzahl der sogenannten “58er” (nach dem Vorruhestandsalter benannt) wurde wieder aufgenommen.
Angesichts solcher Details überrascht es plötzlich nicht mehr, daß die deutsche Agenturquote in 2005 noch nach oben ging, in 2006 und 2007 auf unter 4 % fiel. Beinahe muß man sich fragen, warum diese Sau jedes Jahr mindestens ein oder zwei Mal durch sämtliche Mediendörfer getrieben werden – sie ist schließlich bei nahezu jährlichen Änderungen der eingehenden Erwerbsgruppen ohne jede Aussagekraft. Der Informationswert der absoluten Zahl von Arbeitslosen ist relativ dürftig – die eigentliche Bedeutung ergibt sich nur aus dem Vergleich. Entweder im Zeitablauf (siehe oben, für die Mülltonne), oder mit anderen Ländern.
Dann sieht man wenigstens, wer sich nach der Krise gerade wirklich wieder aufrappelt und wer nicht, denn die internationalen Defintionen können nicht von Regierungen und Ämtern alljährlich neu beschnitten werden. Und dann sieht man (kaum zu fassen): Deutschland hat sich eben tatsächlich erholt, siehe oben. Mit Griechenland und Spanien hingegen ging es steil bergab. Auch hier liegt der Teufel jedoch im Detail: die internationale Zählung berücksichtigt nicht die Verschiebungen von Voll- zu Teilzeit oder befristeten Stellen. Jeder in Lohn und Brot, welcher Art auch immer, wird als erwerbstätig gezählt. Wollte man hier genaueres wissen, man müßte tiefer buddeln als es dieser Beitrag erlaubt. Viel tiefer.