Jugendliche, die sich über soziale Netzwerke zum Feiern verabreden, stellen ein Sicherheitsrisiko dar – das glauben die Innenminister und wollen “Facebook-Partys” verbieten. Sie übersehen dabei eine wichtige Einladung.
Zwei Jugendliche mit akkurat frisiertem Seitenscheitel, Kaschmirpullunder und in der Taille gegurteten Jeans falten Ausdrucke aus schwerem Papier und lecken die Laschen von Briefumschlägen. Auf der Party, zu der die Teenager einladen, soll es Schaumküsse und heiße Schokolade geben, erste Parkettschritte im Discofox bannt eine Spiegelreflexkamera später auf Kleinbildfilm. Küssen ist verboten, zumindest vor der Kamera. Denn Sex – darüber sind wir uns einig – ist noch gefährlicher als das Internet. Deswegen spricht man mit Halbwüchsigen erst gar nicht darüber. Auch nicht über Umwelt, Bildung und Politik. Denn Bäume, Wissen und Demokratie gedeihen nicht im Netz – oder nicht in dem, das besorgte Erwachsene besuchen. Partybilder finden sich leichter. Die Jugend verdirbt im Internet, und ahnt nichts davon. Ihr Heil schmiedet somit die Innenministerkonferenz – ein ausgewiesenes Jugendexpertengremium – in Abwesenheit der Menschen, die Zukunft sein könnten, aber ein Sicherheitsrisiko sind.
Kinder, Jugendliche und jung gebliebene Erwachsene leben gefährlicher, seitdem sie sich in sozialen Netzwerken austauschen können und sogar darüber verabreden. Anstatt zu vereinsamen – eine weitere Gefahr des Netzes, die Geist und Kultur des Menschen zermürbt – regt das Internet zum Feiern an. Zusammenkünfte zu Gesprächen und Tanzen, die sich nun unter dem Begriff “Facebook-Party” firmieren, locken die digitale Generation zu einer neuen Kulturtechnik hinter ihren Bildschirmen hervor: sie treffen sich zu ausschweifenden Festen auf realem Boden.
Angeblich laden nicht nur leichtsinnige Jugendliche in der Aussicht auf enthemmte Freunde und Alkohol zum gemeinsamen Nachtspaziergang. Auch Kaninchenzüchter, Sportverbände und politische Parteien nutzen Facebook als einen von vielen Kommunikationskanälen um Menschen in verrauchten Hinterzimmern oder auf sonnigen Dachterrassen zusammenzubringen. Doch zu diesen Partys kommen meist nur wenige Gäste.
Nun ersinnen die Herren von der Innenministerkonferenz – im Sinne der Sicherheit – ein Verbot für Kommunikation in einem sozialen Netzwerk, die abseits des Netzes und an anderen Stellen innerhalb der unheilbringenden Technologie mühelos nachgebildet werden kann und seit jeher in ähnlicher Weise stattfindet. Sicherer machte ihre Idee, das Freizeitverhalten von Jugendlichen zu regulieren, das Leben nicht. Die Kurzsichtigkeit der Innenministerkonferenz reizt lediglich die maximale Entfernung, in der Politik und Jugend ihr Leben gestalten, noch ein Stück weiter aus.
Es überrascht, wie sträflich unpräzise sowohl Politiker als auch Journalisten ausgerechnet das Instrument behandeln, dass ihr erster Draht zum Publikum ist: Sprache. Mit der Festschreibung des Begriffes “Facebook-Party”, als sei diese Form der Zusammenkünfte ein gänzliches neues Phänomen, ausgelöst durch unsichere soziale Netzwerke und Wutjugendliche, die sich zum eskalieren verabreden, wurde eine sachlich Auseinandersetzung mit den Geschehnissen erheblich erschwert. Als Sicherheitsrisiko für das beschauliche, deutsche Sommerloch gilt somit ein soziales Netzwerk amerikanischen Ursprungs, Abende mit Musik und Getränken und Jugendliche, die sich altersgerecht verhalten. Am ehesten alarmiert man mit diesem Bedrohungsszenario Eltern, deren Kinder schon auf Ü-30-Partys gehen, kinderkontaktlos Vergrämte und Misanthropen – eine nicht kleine Gruppe konservativer Wähler. Menschen hingegen, deren Tuchfühlung mit Jugendlicher tiefer geht als die Zeitungslektüre, wissen, dass soziale Netzwerke nicht der Formierung randalierender Rudel dienen, dass die Anzahl friedfertiger Zusammenkünfte, die über digitale Einladungen organisiert werden, überwiegt und der Durchschnittsjugendliche sich über andere Dinge definiert, als den Partylöwen unter dem bunt bedruckten T-Shirt.
Generation Facebook, Generation Praktikum, Generation Komasaufen – dass Jugendliche in medialer Abbildung und politischer Diskussion nur verkürzt und negativ konnotiert vorkommen, ist für einen Austausch zwischen den drei Parteien nicht hilfreich. Die jüngst erscheinen Jugendstudie der Friedrich-Ebert-Stiftung „Sprichst Du Politik“ untermauert diese Vermutung: Fast 60 Prozent der befragten Teenager glauben, dass Politiker mit Absicht eine gehobene Sprache sprechen. “Was labert der denn?”, fasst ein Schüler seinen Unmut zusammen. Vor allem Mädchen sind genervt von der politischen Worthülsen: Etwa 80 Prozent der Teilnehmerinnen äußerten sich darüber frustriert. “Wenn Politiker versuchen, in einen Dialog zu treten, kommt das nicht an”, lautet das ernüchternde Fazit der Forscher.
Auch wenn Politiker heute zurückruderten und ihre vorpreschenden Kollegen ausbremsen wollten, Jugend und jung Gebliebene lachten oder schlugen mit dem Kopf auf den Tisch. Es scheint beinahe so, als sei das “Nationale Cyber-Abwehrzentrum”, dass CSU-Innenminister Friedrich im Juni diesen Jahres eröffnete, als Zentrum für die Belebung der Kommunikation mit Jugendlichen geplant worden. Denn im Netz erreicht man diese, Politik kennen sie vorrangig als Absender von Verboten.
Nicht die einzelnen Anlässe, zu denen Nutzerinnen und Nutzer über Facebook, Twitter, Myspace oder GooglePlus einladen, sind das, was besorgte Menschen beachten sollten. Dass Jugendliche sich über soziale Netzwerke informieren, kommunizieren und organisieren, ist die große Einladungskarte, die Politik und Erwachsenenwelt seit Jahren ungeöffnet im Postfach belässt. Diese offenen Türen einzurennen oder eigene Einladungen zu formulieren, ist die Chance, die Politiker ergreifen könnten. Stattdessen verharren sie in der abgeschirmten VIP-Areas analoger Festlichkeiten, wo sie Politsprech und Angst vor Veränderung praktizieren.
Was Jugendliche bewegt – wenn sie gerade nicht am Rande von Facebook-Partys Eigentum zerstören und sich in die Besinnungslosigkeit saufen, weiß Dr. Wolfgang Gaiser vom Deutschen Jugendinstitut: sie interessierten sich “besonders für Fragen der Menschenrechte und Fragen der Friedenspolitik”.