Deus ex Machina

Deus ex Machina

Über Gott und die WWWelt

Abschaltreflexe aus der analogen Ära

Die politische Forderung, Randalierer aus sozialen Netzwerken auszuschließen und Dienste abzuschalten, doktert nur an technischen Symptomen von tieferliegenden sozialen Problemen herum.

Es ist so vorhersehbar, dass es fast schon langweilt: Läuft irgendwo gesellschaftlich etwas aus dem Ruder, findet sich mit Sicherheit ein Politiker, der sich mit der Idee zu Wort meldet, das Problem mit Internet-Sperren oder Netz-Verboten anzugehen. So zuletzt wieder in Großbritannien, wo Premierminister David Cameron die Überlegung ventilierte, Randalierern den Zugang zu sozialen Netzwerken zu blockieren: “Wenn Menschen soziale Netzwerke für Gewalt nutzen, müssen wir sie stoppen”, so der Premier vor dem Parlament. Man müsse überlegen, Krawallmacher aus sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook auszuschließen oder Dienste wie den Blackberry Messenger abzuschalten. Über dieses Smarthone-Chatsystem und die sozialen Netzwerke hatten sich britische Jugendliche zu Randale und Plünderungen verabredet.

Bild zu: Abschaltreflexe aus der analogen Ära

Nun sind das immerhin schwerere Tatbestände als etwa das Organisieren von Facebook-Parties, das hier in Deutschland schon politische Verbotsreflexe provozierte. Aber das gleiche Reiz-Reaktionsschema wiederholt sich in immer wieder neuen Varianten: Irgendein unerwünschtes gesellschaftliches Phänomen tritt auf, und sofort meldet sich ein Politiker zu Wort, der das Problem an seiner vermeintlichen Netzwurzel anpacken möchte. Daraufhin melden sich die Netz-Evangelisten empört zu Wort, da hätte mal wieder jemand das Internet nicht verstanden. Im Falle Cameron ist es der unvermeidliche Jeff Jarvis, der die Frage stellt, was die britische Regierung denn dann noch von arabischen Tyrannen unterscheide, die versuchten, Twitter und Facebook abzuklemmen. Oder von China, wo Meinungsfreiheit wenig gilt. „Wenn Einzelne keine Redefreiheit haben, hat keiner Redefreiheit”, folgert Jarvis. Womit er im Prinzip auch recht hat – aber am eigentlichen Kernproblem, das hier verhandelt wird, vorbei argumentiert. Als ob es hier ausschließlich um Fragen der Meinungsfreiheit ginge. Die liefert in unserem Rechtssystem nämlich keinen Freibrief zur Verabredung zu Straftaten.

Man muss dem britischen Premier auch zugute halten, dass er seine Überlegungen immerhin in Frageform verpackt hat – wohingegen deutsche Politiker ja gerne auftreten, als hätten sie die finalen Antworten auf alle Fragen. Dem britischen Innenministerium zufolge gebe es zwar im Prinzip die technische Möglichkeit, Dienste wie den Blackberry-Chat abzuschalten, aber derzeit keine Pläne, dies auch umzusetzen. Eine solche Maßnahme würde hauptsächlich Personen und Unternehmen treffen, die an den Ausschreitungen überhaupt nicht beteiligt waren. Hinzu käme der politische Gesichtsverlust auf dem internationalen Parkett: Anlässlich von Protesten in Kuweit hatte Cameron die sozialen Medien noch als „mächtiges Instrument in den Händen der Bürger” gepriesen und „nicht als Mittel der Repression.” Das Signal an alle autoritären Regimes der Erde wäre auch nicht zu überhören: Wenn der Westen das Internet zensiert und Netzwerke abschaltet, ist es ok. Dabei hätten die autokratischen Regimes im Nahen Osten genau das auch versucht, um das Aufbegehren ihrer Bürger zu verhindern. „Wie peinlich, dass unser eigener Premier darüber nachdenkt, Großbritannien in die gleiche Sackgasse zu steuern”, ätzt der Independent.

Bild zu: Abschaltreflexe aus der analogen Ära

So unbequem die Erkenntnis auch sein mag für alle, die gerne einfache Antworten haben: „Das Problem Camerons ist kein digitales, sondern ein soziales”, wie ein Kommentar auf zeit.de konstatiert. Wenn der Premier Gewaltausbrüche wie in den vergangenen Tagen verhindern wolle, müsse er Wege finden, die zornigen und teilweise abgehängten jungen Menschen wieder in die britische Gesellschaft zu integrieren. In der Tat erscheint es zunehmend weltfremd, das Netz und die Gesellschaft als getrennte Sphären zu betrachten. Mit den Abschaltreflexen aus der analogen Ära kommt man hier nicht weiter.

Das hat übrigens auch die New Yorker Polizei erkannt, die eine Einheit ins Leben gerufen hat, die in sozialen Netzwerken wie Twitter, Facebook und Myspace auf Streife geht. Hier würden sich jugendliche Delinquenten gerne mit ihren Vergehen brüsten und Straftaten verabreden, besonderes Augenmerk sollen die Cyber-Cops auch auf Hausparties, Gang-Aktivitäten und dergleichen richten. In einzelnen Fällen hätten die Hinweise aus den sozialen Netzwerken auch schon zur Aufklärung schwerer Verbrechen beigetragen. Das mag manchem Netz-Romantiker, dem jeglicher Einblick der Obrigkeit in seine Spielwiese Internet suspekt ist, unangenehm aufstoßen. Aber ein Verwertungsverbot von Beweismitteln aus der digitalen Sphäre wäre nur schwer zu begründen. „Wer dabei gesehen wird, dass er in ein Geschäft einbricht, muss damit leben, dass Zeugen ihn identifizieren, ob sie nun ein Phantombild am Postschalter sehen oder ein Foto auf Flickr”, kommentiert zeit.de.

Bild zu: Abschaltreflexe aus der analogen Ära

Dem ist kaum noch etwas hinzuzufügen. Außer vielleicht der Hinweis, dass Facebook & Co. hierzulande bislang eher selten zur Verabredung von Randale und Plünderungen genutzt wurde. Hier schlagen sich Verkehrsbetriebe eher mit dem Problem herum, dass zahlungsunwillige Fahrgäste einander per Smartphone und Facebook-Gruppe vor Kontrolleuren in Bussen und Bahnen warnen. Vielleicht mag sich ja ein Politiker dieses drängenden Problems noch mit einer Verbotsforderung annehmen.