Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Mädchen mit Blogs kommen überall hin

Junge Frauen lesen nicht nur viel, sie schreiben zudem immer öfter füreinander. Mit Selfmade-Medien im Internet emanzipieren sich Mädchen von den Klischees der Hochglanzmagazine.

Junge Frauen lesen nicht nur viel, sie schreiben zudem immer öfter füreinander. Mit Selfmade-Medien im Internet emanzipieren sich Mädchen von den Klischees der Hochglanzmagazine.

Wenn Sie das nächste mal Ihr Gartenmagazin kaufen, stellen Sie sich vor, Sie seien ein Teenagermädchen vor dem Zeitschriftenregal. Das Gemüsebeet, die aufgereihten Rosen und der störrische alte Baum hinter Ihrem Haus wirkten urplötzlich gewaltsam eindimensional. Die Welt von jungen Frauen, die Erwachsene ihnen vor die Füße kippen, ist kreischend pink und dennoch trist, sie ist wunderschön und dennoch erbarmungslos hässlich, sie spannt Träume auf, die vor allem das Denken in einen dreckigen Zwinger sperrt.

Während die schulischen und akademischen Erfolge von Mädchen und Frauen sogar die höchste Vertreterin ihrer Rechte, Frauenministerin Kristina Schröder, so erschrecken lässt, dass diese in einem Anfall von Gleichstellungspanik die Jungen- und Männerförderung als eines ihrer geschlechterpolitischen Standbeine kürt, manifestieren Medien, gesellschaftlichen Strukturen und kulturelle Normen ein Frauenbild, das den Potenzialen, die Bildungserfolge verraten, widersprüchlich gegenübersteht.

They’d rather lose their ability to READ?!

25 Prozent der amerikanischen Frauen im Alter von 18 bis 34 würden lieber “America’s Next Top Model” gewinnen als den Friedensnobelpreis, 22 Prozent würden eher ihre Fähigkeit zu lesen verlieren wollen, als eine schlanke Figur, schreib die Rechtsanwältin und TV-Journalistin Lisa Bloom in ihrem kürzliche erschienenen Buch “Think”, das sich mit dem Phänomen auseinandersetzt, dass Frauen für immer wichtiger erachten, wie sie aussehen, als was sie können und wissen, und der Medienkonsum sowie die -berichterstattung sich immer stärker von so genannten harten Themen auf “Celebrity-News” verschieben. Sind diese jungen Frauen denkfaul, unreflektiert, setzen gedankenlos die falschen Prioritäten und wissen den Wert von Bildung nicht zu schätzen? Lisa Bloom sieht die Ursachen für das Antwortverhalten der Frauen jedoch differenzierter, als sie nur in persönlicher Eitelkeit zu suchen:

“What if they are rational response to a culture that values a specific, high-maintenance feminine beauty ideal over female brains? Because we now require more – much more – tweezing and hot waxing and highlighting and contouring and Botoxing and body sculpting of our female bodies than we did a generation ago. And most of us do most of it most of the time because if we don’t, we don’t get the cultural goodies: the boyfriend, the job, the social status. Even though we have breathtaking equality compared to our mother’s generation, we now jam our toes in to sky-high platforms our mothers would never have worn and, to our mothers’ horror, submit our bodies to plastic surgeons because the hot girl gets rewarded. The 25 percent of young American women know something; they know there’s a big brass ring for them merely for looking good, and brains – well, maybe there’s a payoff there, and maybe not. We still don’t offer a big enough payoff for choosing brains.”

Haben schöne Frauen es leichter, werden Mädchen eher für schlanke Taillen belohnt als dafür, das eigene Gehirn zu benutzen? Existieren reale Anreize, die das Streben nach guten Aussehen und die Vernachlässigung von Bildung erklären könnten? Lisa Blooms These ist sorgsam zu prüfen und wurzelt zudem in ihrem Blick auf die amerikanische Gesellschaft, deren mediales Frauenbild und kulturelle Schönheitsnormen noch stärker verschoben scheinen, als sie es im europäischen Raum sind. Die Beobachtung, die man jedoch zunächst bestätigen kann, ist, dass zumindest die Medien das prägen, was Bloom beschreibt: Schöne Mädchen kommen überall hin.

Es gibt zu wenige Mediendarstellungen – ob in Zeitschriften, Fernsehsendungen, Kinofilmen oder weiblicher Popmusik – die dieses Bild widerlegen. Und bis auf unabhängige Verlegerinnen wie das Team vom Missy-Magazin und andere feministische Publikationen scheinen Medienschaffende trotz eigenem Gehirn, trotz eigener Weiblichkeit, trotz Töchtern, Nichten, Enkelinnen und kleinen Schwestern kein Verlangen zu spüren, Vorbild zu sein oder Verantwortung für nachfolgende Generationen zu übernehmen. Die Weiterführung der Frauenbewegung scheint immer wieder an die Grasnarbe zu fallen, von der jüngere Frauen sie mühsam aufrollen.

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Dass Frauen jeglichen Alters nach Medienangeboten verlangen, die ein vielfältiges Menschenbild wiederspiegeln, ist durch die zahlreichen Möglichkeiten des “Self Publishing” im Web sichtbarer geworden. Onlinemagazine, Blogs und Meinungen in sozialen Netzwerken tragen erheblich dazu bei, eine Medienvielfalt für und von Frauen herzustellen – die aktivsten Nutzer unter den us-amerikanischen Social-Networkern sind Frauen zwischen 18 und 34 (Nielsen: Social Media Report: Q3 2011). Doch die Verlegerinnen im Netz werden immer jünger. Bloggen ist ein Kinderspiel! Nicht nur Schulfreundinnen publizieren füreinander innerhalb ihrer Onlineprofile und Blogs, viele jugendliche Onlineautorinnen erreichen ein Publikum, das die Reichweite kommerzieller Medien in den Schatten stellt – insbesondere Videobloggerinnen, die über Make-up und Styling bloggen und pro Video weit über eine Millionen Zuschauer versammeln.

Typische Teenage-Mädchen

Dass weibliche Teenager dem Klischee der schminkbesessenen Schönheit nicht entsprechen müssen, zeigt jedoch der jüngste Launch einer Website für Mädchen, die in der vergangenen Woche für Aufsehen sorgte. Tavi Genvison, die als 12-Jährige über ihr Modeblog thestylerookie.com zu einer Stilikone wurde und fortan rund um den Globus in den ersten Reihen großer Modenschauen anzutreffen war, hat nun ihr eigenes Webmagazin. Rookiemag sucht seine jedoch Themen fernab der glamourösen Fashionwelt. Tavi, die mittlerweile in nahezu allen großen Modemagazinen vorgestellt und gehypt wurde macht mit dieser inhalten Ausrichtung deutlich, dass der Horizont junger Mädchen weit über materielle Wünsche und den Stereotyp des verwöhnten Görs hinausragt – und kontert die fehlende Ansprache junger Mädchen mit einem eigenen Magazin. Denn die Seite, die sie mit anderen Teenage-Autorinnen und gestandenen Frauen wie Cindy Gallop schreibt, soll sich von Mainstream-Publikationen unterscheiden, die, wie Tavi findet, vor allem darauf ausgerichtet sind, das typische Teenage-Girl zu definieren und sie zum Konsum zu animieren: “It seems that entire industries are based on answering these very questions. Who is the typical teenage girl? What does she want? And, a lot of the time, How can we get her allowance?”, schreibt sie im Editorial ihrer neuen Seite. Weiter sagte sie in einem Interview: “Our content respects a kind of intelligence in the readers that right now a lot of writing about teenage girls doesn’t.”

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Von einem Mädchen, das in seiner frühen Jugend einer oberflächliche Erwachsenenwelt, in der vor allem Aussehen zählt, ausgesetzt war wie kein anderes, hätte man vielleicht erwarten können, dass sie ihr Wissen und Begeisterung für Schnitte, Stoffe und Spiele mit der Schönheit in ein Modemagazin von morgen investiert. Anstatt dessen steckt in Tavi Genvison eine selbstbewusste Feministin, die sich nicht davor scheut, weiterhin ein Mädchen ihres Alters sein zu wollen und lebensnahe Teenage-Inhalte zu produzieren – die, wie diese Jahre zwischen 12 und 20 nun einmal daherkommen, selten glamourös sind.

Von Mädchen geschriebene Blogs sind genau aus diesem Grund so erfolgreich: ihre Leserinnen finden sich dort wieder – in allen Facetten. Sie wachsen miteinander, zicken sich an und sind niemals perfekt. Für Mädchen, die noch immer die größeren Leseratten sind als ihre männlichen Altersgenossen, ist es ein Segen, dass die Chance im Internet über Anregendes zu stolpern so viel größer ist, als in der Medienwelt, die von Erwachsenen für sie gestaltet wird.

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Dass Mädchen auch online ihren Kinderzimmern und Kleider immer wieder entwachsen, ist eine Selbstverständlichkeit. Im erfolgreichsten deutschen Mädchen- und Modeblog “Les Mads” hat sich gerade ein Generationenwechsel vollzogen. Nach Julia Knolle verlässt auch das zweite Gründungsmitglied Jessica Weiß das Blog, das im April 2007 ins Netz ging und im Mai 2011 knapp 700.000 Visits verzeichnet. Viel Häme und Spott hat man über das Blog und andere ihrer Art immer wieder lesen können; Fotos aus Umkleidekabinen, von Parisbesuchen und Popkonzerten wurden als Mädchenkram abgetan; der Begriff “Modebloggerin” wird im Sprachgebrauch junger Menschen nur in Ausnahmen als Kompliment verwandt und transportiert vor allem Missbilligung. Julia Knolle ist nun Redaktionsleiterin von Vogue Digital im Verlagshaus Condé Nast, ihre Erfahrung soll dabei helfen, den Anspruch des Printtitels ins Netz zu übertragen, wo das Modemagazin bislang ein eher trauriges Dasein fristete. Jessica Weiß wird Executive Editor Online beim Interview Magazin, das Anfang 2012 in Deutschland startet. Diese Karriesprünge sprechen für sich, sie sprechen für Blogs und für das, was viele immer noch als “Gedöns” abtun.

Zu wünschen ist ihren neuen Leserinnen und Lesern, dass sie an ihren neuen Wirkungsorten erneut die Beziehung zum Publikum aufbauen wollen und können, die sie zu ihren Bloglesern suchten. In Blogs wird für Menschen geschrieben, weder die Zielgruppen noch die Launen und Interessenschwerpunkte der Autoren sind über Jahre hinweg konstant. Die Leserschaft ist hier Teil des Inhalts und weit weg vom Medienkonsumenten, wie Verlage ihn sehen: dieser wird nämlich stets als Wunschtraum der Werbetreibenden für das Mediakit designt.

Dass diese Art des Schreibens nicht nur Idealismus folgt, sondern ebenso erfolgreich ist, haben zahlreiche Bloggerinnen und Blogger in den letzten Jahren bewiesen. Medienjournalisten könnte das Tippen entrüsteter Magazin-Verrisse erspart werden, würde diese Einstellung endlich Schule machen.