Es ist gar nicht so lang her, dass ich ein Troll war. Nur ein paar Wochen, um ungenau zu sein. Damals schrieb ich hier einen Beitrag über den Versuch eines gewissen Herrn Bokelberg, über das Internet eine Abstimmung zu seinen Gunsten bei ZDFneo zu manipulieren. Als er darauf von einem Nutzer angesprochen wurde, lehnte er es ab, darüber zu reden, er werde hier nicht die Trolle füttern. Und es dauerte nicht lang, bis aus seinem weiteren persönlichen Umfeld tönte, meine Analyse sei „natürlich Unsinn”. Es ist ganz leicht, im Internet ein Troll zu werden, auch wenn man sonst bei einem Medium wie der FAZ bislang selbst 60.000 Kommentare betreut hat. Man muss sich nur mit den falschen Netzwerken anlegen. Der Trollvorwurf ist universell einsetzbar und beliebt, wenn es um die kleine, dreckige Aktion geht. Und natürlich auch im Grossen und Ganzen, so wie bei der Süddeutschen Zeitung, die den Journalisten Leo Lagercrantz unter der Überschrift „Vom Elend der Nutzerkommentare” von seinen Erfahrungen mit Trollen rechtsextremer Gesinnung berichten lässt.
Das Thema ist insofern aktuell, als die Mediengruppe DuMont-Schauberg in den letzten Wochen mit einer Reihe von Beiträgen das Netzwerk um die Webseite Politically Incorrect aufgedeckt hat. Zu den wenig überraschenden Erkenntnissen gehören auch Absprachen der Nutzer vom ordinären Neonazi bis zum sich intellektuell gebenden Medienvertreter, gemeinsam gegen missliebige Journalisten vorzugehen. Das beginnt bei wüsten Beschimpfungen und endete beim Autor dieser Zeilen damit, dass eine Person aus diesem Umfeld eine Domain erwarb, deren Namen seinem Privatblog glich, und dann damit drohte, aufgrund der Namensrechte gegen ihn vor Gericht vorzugehen.
Natürlich kann so etwas sehr unangenehm werden, zumal, wenn man es nicht nur mit einem Irren zu tun hat, sondern gleich mit einer ganzen Horde. Das können organisierte Turbomütter sein, oder Applenutzer, oder einfach nur ein aufgestachelter Mob, oder Firmenangehörige, die gegen kritische Berichte Stimmung machen wollen, oder dafür. Die Anonymität des Netzes ist hilfreich, und beim längsten Thread meines Lebens mit über 1000 Kommentaren gab es auch ein paar hundert, die mich beschimpften und bedrohten – das soziale Netzwerk, über das ich berichtete, beherbergte eine Gruppe, in der das alles verabredet wurde. Dass es zudem Leute gibt, die einen dann auch gezielt ausforschen und vom Netz zum Telefonanschluss oder Briefkasten wechseln – das ist der Preis, den man zahlt. Das sind übrigens nicht nur anonyme Feiglinge, sondern durchaus auch andere Blogger, die damit rechnen, dass man nicht gegen sie rechtlich vorgeht. Politically Incorrect und Konsorten sind bekannt und offen zu lesen.
Aber. Am Beginn jeder Liebesbeziehungen zwischen Netzschreibenden steht nun auch mal der Kommentar. Ich hätte ohne solche Kommentare keine Briefe bekommen, in denen mir Irre den Tod oder einen Kinderwunsch androhen. Aber auch nicht Brieder der A.. Und die Treffen mit B.. Nicht zu zu vergessen die Urlaube mit C., und den Zwetschgendatschi ff. mit D.. Man lernt enorm viele angenehme Menschen kennen. Es ergeben sich neue Möglichkeiten. Und man lernt durch die Kommentare stetig dazu: Was die normalen Leser schätzen, wie sie behandelt werden wollen, was sie brauchen und was man besser bleiben lässt. Ein gut behandelter Leser hat überhaupt keinen Grund, zum Troll zu werden. Wenn er eine andere Meinung hat, kann man darüber reden. Man kann sich auch mal streiten, und mitunter muss man Grenzen aufzeigen und verwarnen. Ich mache das seit 10 Jahren und bin damit aufgewachsen; entsprechend leicht kann ich darüber reden: 2001 waren wir fasziniert, wenn ein Beitrag 30 Kommentare hatte. Wenn heute bei den Stützen der Gesellschaft ein Beitrag weniger als 100 Kommentare hätte, würde ich mich wundern. Das alles kann man managen und betreuen, wenn man will und eine gewisse Zuneigung zu den Lesern empfindet.Leser sind keine Idioten. Sie merken es, wenn jeman mit ihnen reden will. Oder sie für dumm hält und verlangt, dass sie den Mund halten.
So eine verächtliche Trollerei von Oben ist es, die Trolle unten erst in grosser Zahl züchtet: Die Arroganz der Meinungsführer, die Dreistigkeit von Ahnungslosen, die nicht mehr als eine Pressemitteilung kennen, anderen vormachen zu wollen, was Sache ist. Das regt dazu an, diesen Leuten mal die Meinung zu sagen, zumal, wenn sie nachweislich falsch liegen und das ignorieren. So entstehen Trolle in einem ganz normalen Umfeld ohne irgendwelche Ideologien, und man täte gut daran, sich vorher um sie zu kümmern: Wenn sie erst mal der Meinung sind, dass man sie wie den letzten Dreck gehandelt – und um ehrlich zu sein, genau so sehen das mehr als nur ein paar Journalisten in diesem Land – muss man erheblich mehr Energie und Zeit investieren, um sie wieder zu integrieren.
Neben diesen fachlichen Trollen, die zwischen Besserwisserei und Expertentum anzusiedeln sind, gibt es natürlich auch noch den Feld-, Wald- und Wiesentroll, der einfach gerne mal stänkert und dabei auch gerne gar nicht den Autor anspricht, sondern gleich seinen Arbeitgeber. Er hat kein Interesse an einer Argumentation oder sachlicher Auseinandersetzung, er will einfach nur seine Unzufriedenheit ausdrücken. Man kann ihn löschen, wenn er so etwas wie bei meinem letzten Beitrag schreibt:
jonas h 23. September 2011, 14:36
Ich finde es schade, daß die faz einem in seinen Artikelchen über Andeutungen nicht hinauskommenden Autor den Italienaufenthalt zahlt. Es fehlt die Substanz.
Da ist alles drin, die bräsige, beleidigte Haltung und der Vorwurf, hier würde Geld an einen dekadenten Socken verschwendet, schafft den mal ab, FAZ – eigentlich fehlt nur die Drohung mit der Abokündigung. Man kann das löschen. Oder man macht sich die Mühe, schaltet es frei und dreht es mit Witz und Ironie um:
Don Alphonso 23. September 2011, 15:12
jonas h. ich finde es vor allem enttäuschend, dass die FAZ meine Propaganda des reichen Berufssohnes ohne Interesse an geregelter Arbeit so sehr glaubt, dass sie es nicht für nötig hält, mir den Aufenthalt zu bezahlen, was tierisch auf meinen Schuhetat geht. Nur 5 Paar bisher!
Don Alphonso 23. September 2011, 15:12
Nein halt, 6.
Don Alphonso 23. September 2011, 15:13
Wenn man die Winterstiefel nicht mitzählt.
Daraufhin sagt dann ein anderer Kommentator etwas, das die Situation dann vollends ins Humoristische zieht:
Don Ferrando 23. September 2011, 15:17
@ DA Wollen Sie Ihr Pseudonym in Imelda ändern?
Und danach sagt jemand wieder etwas, weshalb ich mich frage, wie andere eigentlich Kommentare nicht mögen können. Weil Kommentare beim Bloggen und generell beim Schreiben der zerlaufende Asiagokäse auf den Artischocken sind:
KarolaKettenhemd 23. September 2011, 15:37
Don, Sie sprachen mir aus der Seele.
Das alles ist möglich, wenn man sich um die Kommentare kümmert. Es ist möglich, auch bei heiklen Themen 300, 400 Kommentare lang zu sprechen, ohne dass jemand aus der Rolle fällt, man kann im Internet einen Salon betreiben, und die Arbeit, ihn zu hegen und zu pflegen, hält sich in gewissen Grenzen. Sicher: Man schaltet auch Nachts um 3 mitunter einen Kommentar frei. Das passt nicht zum Berufsbild, das die über Kommentare jammernden Journalisten haben, aber oft genug ist es etwas, das einen bezaubert und erfreut. Die Zyniker dieses Geschäfts mit der Lesermeinung, die ungefiltert in die Kommentarspalten jaucht, und die kein Journalist jemals auffängt und in einen echten Diskurs umbiegt – man hat das oft bei Spiegel Online, Welt oder Heise – oder auch Leute, die mitunter die Trolldebatten gezielt anstossen, und jene, denen es egal ist, woher die Bande kommt, die politische Gegner niederbewertet, werden sich statt dessen sagen: Klick ist Klick, Hauptsache die Werbung läuft dabei. Dann sollte man sich aber auch nicht über die Kommentare und aus dem Ruder laufenden Debatten beschweren: Es ist eigentlich ganz normale Kommunikation, meistens anregend, manchmal schlecht und dann immer schlecht betreut.
Man muss sich darum kümmern, und sich vom Gedanken verabschieden, dass man denen irgendwie überlegen ist. Nazis kann man löschen und über die IP blockieren. Mit dem Rest wird man sich beschäftigen müssen. Es sind keine Trolle. Es sind unsere Leser, und sie würden sich nicht melden, wenn sie nicht etwas zu sagen hätten.