Kluge Köpfe haben mit Algorithmen, Matrizen und Computern die Netzwerke zwischen internationalen Firmen untersucht – mit aufschlußreichen Ergebnissen.
Es ist ganz erstaunlich, was man alles mit Hilfe von Computern berechnen kann – und manchmal auch erstaunlich, was man nicht wird berechnen können, ganz gleich was für technische Fortschritte wir noch machen werden.
Die Entwicklung treibt zuweilen erstaunliche Blüten: noch vor wenigen Jahren war es in der Ökonometrie eine Tugend, möglichst rechenzeiteffizient zu programmieren, weil Rechnerzeit eine knappe Ressource war. Heute hingegen kommt es nicht mehr darauf an, Matrizen möglichst geschickt anzuordnen oder deren Dimensionen gering zu halten, denn jedes Forschungsinstitut verfügt über mehr oder weniger leistungsstarke Supercomputer, für die das keine Hürde mehr darstelllt. Auch ganz andere Dinge werden plötzlich buchstäblich berechenbar – wie zum Beispiel die Frage von Unternehmensverflechtungen.
Computer können nämlich mehr als nur rechnen: manchmal kommen die bemerkenswertesten Ergebnisse gar nicht in Zahlenform daher, sondern als bunte Bilder (auch dies allerdings im Zweifel als Ergebnis längerer Berechnungen).
Noch vor zehn Jahren war die sogenannte “Deutschland AG” ein beliebtes Thema, mittlerweile allerdings weitgehend in Bedeutungslosigkeit versunken. Aktuell heißen die durchs Dorf getriebenen Schweinchen “systemic banking risk” oder “too-big-to-fail”. Die Deutschland AG? Kein Thema mehr, wobei die damaligen Verflechtungen als leidlich gut erfasst und mit entsprechender Mühe durchaus noch überschaubar galten. Bis in die 90er Jahre waren vor allem die deutschen Finanzkonzerne (Banken wie auch Versicherungen) das Herzstück eines komplizierten Netzwerks aus Unternehmens- und Personenverbindungen. Jeder hielt an jedem Anteile, die selben Aufsichtsräte trafen sich alle paar Monate in den Chefetagen quer durch die Republik, und die Politik kannte man natürlich auch.
Um solche Fragen systematisch wissenschaftlich angehen zu können, braucht es zweierlei: erstens Rechenkapazität und zweitens auswertbare Daten. Für letztere kann man, je nach Aufwand und Öffentlichkeit, entweder Bataillone von wissenschaftlichen Hilfskräften Zahlen abtippen und tabellarisieren lassen, oder man greift auf existierende Datenbanken zurück. Sehr praktisch, wenn man letzteres machen kann – und das wird erfreulicherweise mit der Datensammelwut von Staaten und Firmen immer leichter. In der sogenannten Orbis-Datenbank (eine privatwirtschaftliche Firma zu “Business Intelligence”) zum Beispiel befinden sich über 30 Millionen Datensätze über transnationale Firmen und ihre Beteiligungen. Kluge Forscherköpfe (Vitali, Glattfelder & Battiston) haben als Ausgangspunkt über 43.000 Firmen aus der Datenbank ausgewählt, die mindestens an einem (aus Unternehmenssicht) ausländischen Unternehmen eine Beteiligung halten, und dann die Netzwerke dieser Firmen “upstream” – also deren Eigentümerstruktur – und “downstream” – also Beteiligungen – erfasst und analysiert.
Zugrunde gelegt wurden verschiedene Konzepte von “Kontrolle”. Im einfachsten Sinne überträgt sich Kontrolle über Kapitalanteile nach dem Prinzip “one share, one vote”. Wer ein absolute Mehrheit besitzt hat logischerweise absolute Kontrolle und degradiert die übrigen Anteilseigner weitgehend zu Minderheiten, und wenn der Besitz sehr weit gestreut ist, muß man sich an die relativen Mehrheitseigner halten, um kontrollierenden Entitäten zu bestimmen. Hinzu kommt, daß viele Firmen sich in mehr oder weniger Netzwerkzirkeln gegenseitig gehören, so daß man mit simpler Arithmetik nicht mehr weiterkommt: Wenn A die Mehrheit an Firma B gehört, B die Mehrheit an C, und C wiederum maßgebliche Kontrolle über A ausübt – wer hat dann die Kontrolle? A oder C? Oder sogar B?
Um diese Probleme zu lösen haben die Autoren Algorithmen programmiert, die einerseits Kontrolle unterschiedlich definieren und andererseits Eigentümerstrukturen über Knoten und Verbindungslinien annähernd berechnen, wobei die konkreten Mechanismen in Matrizen und Vektoroperationen offengelegt werden (für diejenigen, die es genau wissen wollen).Unabhängig von der Kontrolldefinition fielen die Ergebnisse offenbar stets recht ähnlich aus.
Nachdem die mit den 43.000 ursprünglich ausgewählten multinationalen Firmen aus 116 Ländern (davon 5.600 börsennotiert) auf ihre Verbindungen untersucht wurden, ergeben sich mehr als 600.000 relevante Entitäten (entweder selbst multinationale Unternehmen, Tochterunternehmen oder Anteilseigner), die über mehr als eine Million Verbindungsbrücken miteinander in Beziehung stehen. Dabei ergeben sich eine Reihe von Ballungsräumen unterschiedlicher Größe, Verbindungsdichte und Bedeutung, deren größter Teil wiederum in seiner Gesamtstruktur einer Schleife ähnelt. Der zentrale Knoten der Schleife ist in der Mitte und wird weitgehend von einem kleineren Schleifenblatt (quasi upstream) kontrolliert, während vom Knoten die Kontrolle downstream in das zweite (asymmetrisch größere) Schleifenblatt ausgeübt wird. Drumherum, wie lose Fäden, sind außerdem die Schleifenblätter verieinzelt miteinander über Kontrollverbindungen verbunden.
Sind diese erst einmal berechnet, stellt sich Erstaunliches heraus. Die Mehrheit der Knotenpunkte (Firmen) halten nur an wenigen anderen Firmen Anteile, eine kleine Minderheit von Firmen jedoch hält an extrem vielen anderen Firmen Anteile – im sensationellsten Fall an 5.000 weiteren Firmen. Insgesamt wird das Konstrukt dominiert von einem Super-Ballungsraum, welchem mehr als 70 % der Firmen irgendwie angehören, während alle anderen Ballungsräume deutlich kleiner sind. Innerhalb dieser Struktur dominiert der Schleifenknoten mit 1318 Firmen aus 26 Ländern. Überraschenderweise verteilen sich die multinationalen Firmen auf 83 Länder, die Tochterfirmen auf nur 38 Länder und die Shareholder auf 191 Länder – die Besitzer sind also geographisch viel weiter gestreut (hier wäre mal ein Anknüpfungspunkt für Verschwörungstheorien, das weltweite Großkapital und so). Dieselbe Klientel wird auch mit Vergnügen hören, daß Finanzinstitutionen zwar nur einen geringen Anteil (gegenüber Industrie oder Dienstleistungen weniger als 20 %, wenn ich richtig interpretiere) stellen, aber den größten Anteil an Anteilen halten. Produktions- und Dienstleistungsfirmen hingegen sind eher Eigentum als Eigentümer.
Soweit so technisch, so abstrakt. Erst am Ende kommt, worauf der neugierige Leser eigentlich wartet: Namen. Die Autoren nennen die 50 Top-Kontrolleure, gewissermaßen, gerankt nach ihrem Anteil an “network control”. Diese Top 50 vereinigen immerhin fast 40 % der gesamten Netzwerkkontrolle auf sich. Angeführt wird die Liste nicht von Goldman Sachs (weit abgeschlagen auf Platz 18), sondern von – tusch – Barclays. Die gute alte Deutschland AG ist überhaupt nur zwei Mal vertreten (Allianz und Deutsche Bank), das globale Unternehmensnetzwerk wird klar von anglo-amerikanischen Mächten dominiert und die Chinesen haben noch einen weiten Weg vor sich (Platz 50 dank der China Petrochemical Group). Allerdings sind die Daten von 2007, und nach dem nächsten Rezessionseinbruch kommen aus Asien vielleicht nicht die Hunnen auf häßlichen Ponys sondern die Chinesen ritterlich gewandet auf weißen Pferden und dann muß man neu rechnen. Die nächste derartige Studie darf also mit Spannung erwartet werden.