Einmal hat mich bei Google Plus jemand eingekreist, wie ihn kein Literat erfinden könnte: Ein kleines Männchen, dessen Bilder es bei allerlei Torheiten zeigte: Beim Herumkommandieren von Arbeitern, beim Winken, vor einer Yacht und bei einem Empfang, bei dem es einen Smoking und ein schweissglänzendes Gesicht trug. Eingekreist hatte es neben mir viele Leute, die mehr oder weniger bekannt und bei diesem Dienst waren, mit einem Schwerpunkt auf vermutetem Vermögen: Internetunternehmer, Firmenbesitzer, Sportler, Bluffer, und eben auch noch einen indifferenten Faulenzer Schöngeist wie mich, mit Bildern vom Tegernsee. Ich blockierte ihn sofort und meldete ihn als Spam, denn seine Seite verfolgte klar kommerzielle Absichten. Dass ich ihn geblockt hatte, merkte er, suchte im Netz meine Emailadresse und schickte mir eine böse Mail, was das sollte. Und ich war dumm genug, ihm darauf zu antworten. Woraufhin er es nicht lassen konnte, mir seine Bedeutung für mich und andere halb- und viertelnichtganzunbekannte Menschen vom Tegernsee und anderswo zu erklären.
Er sei nämlich ein Enabler. Jemand, der auf Zuruf Dinge beschaffen und Probleme lösen könnte, möchten sie auch noch so abseitig sein. Essensbegleitung in St. Tropez, Karten für die Scala. am nächsten Tag ein Segelboot bei den Kykladen oder auch nur Nachts um drei jemanden, der einen Wasserhahn repariert: Er würde das machen. Man müsste ihn nur anrufen, und er würde es tun. Für Menschen wie mich, der ich im Internet daheim bin und ja um die steigenden Ansprüche weiss – er hatte offensichtlich mein Blog über Kakerlaken, fiese Erbinnen und alte Flaschen gelesen – wäre er somit der ideale Helfer in allen Lebenslagen. Ob ich nicht vielleicht gar etwas über ihn schreiben wollte? Auf seiner Website seien Presseartikel, da könnte ich genaueres erfahren. Dort fand ich dann Selbstbeschreibungen nach dem Motto, dass heute die Wünsche exquisiter werden, und die Verfügbarkeit gegeben ist, wenn man nur den richtigen Mann ranlässt und bezahlt: Ihn. Und tatsächlich waren seine Vorschläge, was er alles tun könnte, von einer Opulenz, wie man sie vermutlich erst mit dem Internet und seinen grenzenlosen Angeboten rund um die Uhr umsetzen kann. Natürlich immer das Beste.
Nun ist es mit dem Besten natürlich so eine Sache: Wenn ich den besten Landgasthof meiner Region will, weiss ich natürlich selbst, wohin ich fahren muss. Ich weiss aus Erfahrung, welche Ärzte gute Arbeit machen, und die Website der Staatsoper in München finde ich auch alleine. Ich weiss sogar, wo man Karten bekommt, wenn Vorstellungen schon ausverkauft sind. In München. In meinem Lebenskreis. Ich gebe zu: In London, in Mailand und Paris stehe ich wie der Touristenochs vor dem Opernberg. Vor dem Internet war es vollkommen bedeutungslos, denn damals war München „das Beste“ im Bereich des Machbaren. Heute ist alles machbar, irgendwie, das kleine Männchen besorgt das schon, und das Beste ist nicht mehr München, sondern eben dort, wo heute Abend Frau Kermes, Frau Invernizzi oder wenigstens diese Frau Netrebko auftritt. Und zwar wirklich heute, und nicht erst morgen oder nächste Woche.
Das also ist sein Geschäftsmodell, deshalb hampelt er auf den Bildern so herum. So einen ertrage ich nicht, ich habe ihn natürlich nicht wieder aufgenommen, auch wenn er vielleicht nicht ganz unrecht hat und der Erfolg ihm recht gibt: Mit der Verfügbarkeit steigen die Ansprüche, man gewöhnt sich an das Überangebot, und die Problematik des Daseins ist nicht mehr die Beschaffung, sondern die Beschaffung des Optimums. Das kann wie bei all den Preissuchmaschinen natürlich der günstigste Preis sein. Aber dann gibt es auch noch Güter, die sich der klassischen Suche nach dem Schnäppchen entziehen, und wenn man schon zahlt, will man auch das Beste herausholen.
Ich treibe mich nebenbei auch auf anderen Gefielden des Netzes herum, beispielsweise in Bezug auf alte Drahtesel: Deren Kauf und Erhaltung war früher auf das beschränkt, was der heimische Markt so geboten hat. Ein hübscher Italiener mit bunten Farben war früher schon etwas; heute dagegen redet man vorzugsweise über massgefertigte Tourenräder der frühen 50er Jahre aus Frankreich oder italienische Meister, die nur zur Lötlampe greifen, wenn man sie auf Knien anfleht. Meine Tonmöbel galten eine Weile vor dem Aufkommen des Internets als berauschend; heute muss ich mir im Netz erklären lassen, dass die Wiedergabe der Bratschen ja gar nicht ginge, und statt dessen mal eine lange, lange Liste besserer Boxen anhören sollte, wenn ich dann endlich mal einen CD-Spieler besitze, der es mit denen aufnehmen kann. Und Vorstufen. Nachdem ich das aber auch nicht erst seit gestern betreibe, meine ich mich erinnern zu können, dass solche Gespräche früher irgendwie ziviler verlaufen sind. Es gab einfach nicht so viele Vergleichsmöglichkeiten, und trotzdem konnte Musik gefallen. Man kannte halt, was vorhanden war. Und nicht, was alles im Internet zu finden ist.
Manche lügen dreist sagen mir nach, ich hätte ein überzogenes Faible für Schuhe, weil ich mehr als manche weibliche Bekannte habe. Das sind diejenigen, die sich noch nie in Schuhforen ausgetauscht haben. Dort lernt man die gepflegte Verachtung italienischer Lederkunst auf dem Niveau des Hartz-IV-Regelsatzes, denn es gibt ja auch noch diesen und jenen Briten oder Franzosen mit Pferde- oder Ziegenleder, und das ist dann auch mit Leisten, die dort liegen, und bei Bedarf hervorgeholt werden – mit einer brilliantenbesetzten Leistenzange, damit die Kostbarkeiten nur ja nicht beschädigt werden. Oder so ähnlich. Und bitte: Solche Sprüche hört man nicht nur von denen, für die Geld eher irrelevant ist. Das sagen auch jene, die es sich eigentlich nicht leisten können, aber einen Druck zum Upgrade verspüren. In den 80er Jahren waren das noch Schuhe aus der Schweiz, die etwas teurer waren. Heute liegen Welten zwischen dem, was normalerweise so getragen wird, und dem, was man beschaffen kann. Vor ein paar Jahren musste man dafür noch nach London, heute gibt es das auch bei uns in einer kleinen Stadt.
Es gibt natürliche Grenzen solcher Bestrebungen, aber wenn man sie schon nicht überwinden kann, muss man sie eben beklagen: In einem Seecafe – es ist Winter und der See ist komplett zugefroren – sassen nebenan ein paar Segler und beschwerten sich, dass der Tegernsee so klein ist, und man darauf keine ordentlichen Schiffe einsetzen könnte, und im Internet würde man doch gerade dieses und jenes Schiff wärmstens empfehlen – aber der See, der See ist halt zu klein, und die Zufriedenheit ist dahin. Man kennt das, wenn man sich einmal mit besseren Partnerbörsen beschäftigt hat: Schlagartig gibt es mehr Möglichkeiten für Bekanntschaften als in einem halben Leben, man kann eigentlich alles bekommen, es gibt lange Listen mit Vorschlägen. Manche finden ihren Partner. Andere dagegen, und das sind die, die wirklich das Geld bringen, sind dauernd damit beschäftigt, noch bessere Optionen zu suchen und zu finden. Die erweiterten Möglichkeiten führen nicht zu grösserer Zufriedenheit, sondern ganz im Gegenteil zu grösseren Problemen, das Optimum zu erreichen. Das wird dann auch richtig teuer oder schwierig. Aber wenn nur lange genug von den Freuden exotischer Fische geschrieben wird, dann werden sie auch gefangen und geliefert, sei es als Trophäenfrau oder als Papageienfisch aus der Karibik in der Fischerei am Tegernsee.
Und ich bin vermutlich der Letzte, der das pervers findet. Insofern ist es vielleicht gar nicht so ungerecht, dass eine Firma wie Apple grosse Wertschätzung an der Börse erlebt: Weil diese Firma keine Technikprodukte verkauft, sondern die Religion des unendlichen Upgrades ohne Alternative. Man hört Schüler quengeln, dass sie nicht mehr ein Mobiltelefon wollen, sondern ein iPhone wie alle anderen in ihrer Klasse. Mit Apple lernen schon die Kleinsten, wie das ist in einer Welt, in der man sich Achtung und Respekt mit jeder Neuigkeit neu kaufen darf, um weiterhin seinen Status zu behalten. Wenn sie dann älter sind und überall vorne mitspielen wollen, brauchen sie vermutlich auch jemanden, der ihnen das in allen Lebenslagen organisiert und besorgt. Eben: Die richtige Bootsreise, die richtige Opernkarte, das richtige Frühstücksrestaurant in Paris, die richtige Wellnesskur, mit der man sich gerade nicht lächerlich macht. Im normalen Leben wäre das vielleicht gar nicht so relevant, aber das Internet kennt immer noch bessere Alternativen, und wird nicht müde, sie einem vorzustellen. Wer das erreicht, wird auch nicht müde, die anderen merken zu lassen, dass sie den richtigen Weg schon kennen, und die anderen halt noch nicht so weit sind.
Insgeheim beten sie natürlich mit Blick auf die Konten, dass Leica, Apple, Tricker’s und Duevel nicht so schnell die nächste Generation bringen, die sie sich dann wieder neu kaufen müssten, um mitreden zu können. Eine Zufriedenheitsmaschine ist das Internet eigentlich nur, wenn man das bekommen hat, was man braucht. Und es dann ausschaltet und seiner Wege geht, fern von allen Enablern, die Probleme beseitigen und neue Zwänge schaffen.