Google geht es gerade nicht so gut. Sicher, die Firma verdient enorm viel Geld mit Werbung. und beherrscht die Suche im Netz weiterhin in der Art eines freundlichen Quasimonopols. Auch das Betriebssystem Android erfreut sich durchaus einer gewissen Beliebtheit. Anderes wie das Netzwerk Google Plus läuft nur so mittelgut, für Streetview bekam man Ärger mit dem Datenschutz, und dass die deutschen Zeitungsverlage mit dem Leistungsschutzrecht an Googles Einnahmen beteiligt werden wollen, ist auch ein Problem, mindestens so brandgefährlich wie eine lästige Fliege im Sommer, wenn man Eis essen will. Google hatte ein paar gute Ideen und jede Menge Flops, es kann vielleicht einer Zockerklitsche wie Groupon Probleme bereiten, aber eine Antwort auf Facebook hat es nicht. Für einen Giganten ist die Bilanz eher durchwachsen.
Und so schiebt Google jetzt das nächste Zukunftprojekt an den Start, das einige dieser Probleme mit einem neuen Ansatz angehen soll: Eine Datenbrille, die so lästige Gadgets wie das Iphone der Konkurrenz überflüssig machen soll, und im realen Leben alle Internetinformationen und Kommunikationsbedürfnisse zusammenfasst.
Hier ist das Video von Google.
Und hier gleich mal die Parodie, die zeigt, worum es am Ende gteht: Daten sammeln und passende Werbung an der richtigen Stelle, am richtigen Ort und zur richtigen Zeit einspielen.
Man kann hier sogar schon mal die Google-Kommunikation für dieses Gerät niederschreiben: Das alles sei kein Spam und keine Belästigung, sondern eine Bereicherung des Daseins, mit der zum richtigen Zeitpunkt die richtige Information kommt. Also keine Werbung im eigentlichen Sinne, sondern Lebensbereicherung durch die Minimierung von Streuverlusten. Google ist freundlich. Google will einen nicht mit Werbung zuschreien. Google will nützlich informieren, und zwar so nützlich, dass man dafür die Werbeinformationen gern in Kauf nimmt. Und auf das böse Iphone und Ipad und Facebook der anderen, verflucht sei ihr Name und ihr Geschäftsmodell, gerne verzichtet. Und auf dieses ehemals 6500 Euro teure, drei Jahre alte und praktisch ungefahrene Colnago CX-1 mit Campagnolo Record Ausstattung im Hofe eines Händlers am Gardasee, das er für einen Bruchteil der Summe verkauft. An mich. Ohne Datenbrille.
Denn so eine Datenbrille kann einem nur nahebringen, was auch im Netz vorhanden ist. Natürlich hat dieser Händler eine Website im Netz, natürlich erfährt man, was er generell so anbietet, aber sein Hof mit den leicht Gebrauchten der Reichen des Gardasees steht natürlich nicht im Internet. Für so etwas hat er auch keine Zeit. Dazu muss man anhalten, hineingehen und sich umschauen. Und um ehrlich zu sein: Er ist ein famoser Händler. Aber nach seiner Website würde ich dort nie anhalten. Weil die Informationen zu schlecht sind, als dass sie mir die Realität schmackhaft machen könnten.
Was die spannende Frage aufwirft, ob die Informationen im Internet gut genug für die Realität sind. Oder genauer, ob die Informationen im Netz dem Anspruch der Nutzer genügen. Bei sozialen Netzwerken und in der Kommunikation mag das natürlich der Fall sein; in anderen Bereichen kann man das getrost bezweifeln: Das Netz ist nun mal nur so gut wie derjenige, der die Informationen zu finden weiss. Und das kann mitunter eine ziemlich nervige Arbeit sein, wie all jene wissen, die im Internet Schnäppchen suchen. Oder auch nur eine Antwort auf die Frage, welches Restaurant in einem Ort wie Valeggio sul Mincio empfehlenswert ist. Alle haben Webseiten und Speisekarten, aber das beantwortet keine Frage.
Die Angelegenheit könnte für Google leichter werden, wenn es die Informationen nicht mehr im Netz zusammensuchen müsste, sondern Einblick in mein Treiben hätte. Würde ich so eine Brille tragen, und würde Google sehen, wie ich ein Rad anstarre und begierig zugreife, weil es in Deutschland x000 Euro mehr kostet, würde ich meinen Jubel gleich vermailen und mit Brille zahlen, wäre das natürlich fein: Dann wüsste Google, was hier zu finden ist. Würde ich die Datenbrille im Restaurant meiner Wahl tragen, und würde sie feststellen, dass ich in etwa 163,5935% dessen esse, was für meinen Körperfettindex gut ist, könnte Google das mit dem Foodpr0n in meinem Blog abgleichen und mich als Gourmand vor dem Herrn katalogisieren: Dann könnte man anderen Vegetariern im Rückschluss das erzählen, was ich demnächst in meiner gedruckten Kolumne schreiben werde. Aber nicht hier. Weil in meinem Lieblingsrestaurant gestern nämlich so ein paar Schwaben ohne Manieren waren, bei denen ich befürchten muss, dass sie auch ihre Restaurants nach Datenbrille und ihre Kleidung nach Sonderangeboten und Gutscheinen heraussuchen.
Was Google also braucht und haben will, sind Informationen, die sehr viel zielgenauer als das sind, was sie im Moment haben – und das, seien wir ehrlich, manifestiert sich in der Googleanzeige, die auf dieser Seite die angeblich besten Hotels in der Region Valeggio und extrem teure Colnagos einblenden würde, und scheussliche Brillen für Technikbegeisterte. Google braucht mehr und bessere Daten als Streetview und Geschäftsbewertungen, Google braucht idealerweise Informationen für eine immer aktuelle Dauerbespassung, damit man den Daten-Layer auch dauerhaft auf der Nase herumträgt und nicht nur empfängt, sondern auch liefert, und dann erfährt, dass Leute, die ein Colnago CX-1 gekauft haben, auch danach in Valeggio im Fresskoma lagen und fluchten, weil die Googleübersetzung für den Wikipediaartikel über den Dom von Ferrara immer noch unerträglich schlecht ist. Darauf dann einen tiefgekühlten Strudel Interno beim nächsten Lidl und ein Wörterbuch für Klingonisch beim Geschäft einblenden, das leider zwischen 12 und 4 Uhr geschlossen hat. Oder was sonst Wisdom of the Nerdcrowd, Suche, Cloud und Datenbank so ausspucken.
Am Anfang wird das so sein. Wenn nur genug mitmachen, wird das vielleicht auch besser. Google muss das versuchen, denn so bekommt es Oberwasser gegenüber Facebook. Facebook ist im Moment näher dran an den Daten der Nutzern und ihrem Treiben, solange die Nutzer sich dazu äussern. Google bräuchte das gar nicht mehr. Zuschauen reicht. Ich sitze im Cafe an der Piazza Mantegna, schaue mir eine Dame länger und andere kürzer an, und nach ein paar Tagen weiss dieser kleine Spion, wie mein Typ, mein Beuteschema aussieht, und sollte jemand vorbeikommen, die hinein passt, kann mir die Brille Bescheid geben. Manche finden so etwas toll. Man ahnt, welche grandiosen Möglichkeiten Google und Technikfreunde da sehen. Wenn man böse wäre, könnte man sagen: Die Firma sucht jene Frau heraus, die eine neue Handtasche braucht und mit hoher Wahrscheinlichkeit nach dem Kennenlernen an jenem Geschäft vorbeikommen wird, für das Google zufälligerweise gerade Sonderangebotswerbung hat. Für die Art Handtasche, auf die die Frau starrt, auf die ich starre.
Ich finde es schrecklich, aber auch so kenne ich hier in Italien einige wirklich famose Frauen, die ich sehr schätze, und die schon Handtaschen besitzen. Beruhigend ist, dass ich solche Visionen seit gut 10 Jahren kenne; damals wurden solche Ideen für Mobiltelefone entwickelt, und erlitten unter dem Namen „Location based Services“ einen üblen Schiffbruch. Schon damals hiess es, man müsste die Datenmenge vergrössern, weshalb ein Münchner Verlag Heerscharen von Studenten anstellte, um seine Reiseführerdaten für das Handy und den W@P-Standard aufzubereiten. Auch das war klar zu wenig, und auch Nokia hatte ein paar Jahre später solche Ideen, die nicht minder vom Nutzer ignoriert wurden: Zu umständlich, zu schlecht, zu wenig nutzbare Informationen. Aber die Verfügbarkeit von Informationen wird besser, die Technik wird besser, die Leistung der Geräte wird besser, und das einzige, was gleich schlecht bleibt, die die Haltung der Nutzer zum Datenschutz, um den sich Google so wenig wie möglich kümmern wird.
Google wird vor dem gleichen Problem stehen, wie bei Google Plus: Erst wenn genügend Leute mitmachen, wird dieser Datenspion – denn nichts anderes als der umfassende Informationsangriff ist so eine Brille – das liefern, was ihn sinnvoll einsetzbar macht. Im Sinne von Googles Verkaufsabsichten natürlich. Wenn nicht genug mitmachen, oder Datenschützer klagen und sich durchsetzen, wird es schwieriger, die nötige Marktdurchdringung zu erreichen. Man wird Menschen erklären müssen, warum es cool, richtig und prima ist, das zu tragen, dann geht es.
Bis so ein Depp Unglücklicher vor lauter Brillenklicken mitsamt seinem Datenlayer dahin stolpert, wo ich gerade mit schwerer Tortellifüllung auf dem CX-1 angerast komme. Die Natur hatte noch immer genug Informationen, um bei der Arterhaltung die weniger tauglichen Exemplare auszusortieren.