Deus ex Machina

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Wahlkampf fürs Wohnzimmer

Der digitale Wahlkampf gehört mittlerweile auch in Deutschland zum Standard. Doch Parteien sitzen einem Missverständnis auf: Hochglanz ist kein Gefühl. Was keine Kanten hat und zum Remix nicht taugt, verschmähen die Nutzer.

Der digitale Wahlkampf gehört mittlerweile auch in Deutschland zum Standard. Doch Parteien sitzen einem Missverständnis auf: Hochglanz ist kein Gefühl. Was keine Kanten hat und zum Remix nicht taugt, verschmähen die Nutzer.

 

Man konnte ihr seit Montagnachmittag kaum entgehen: der Currywurst aus NRW. Das Traditionsgericht, am Wochenende zunächst ein ‘Trending Topic’ in sozialen Netzwerken, hat es zu Beginn der Woche in wohl jede Redaktionskonferenz im bevölkerungsreichsten Bundesland geschafft. Artikel folgten. In der Schlussphase des Wahlkampfes soll die Wurst nun für die SPD überall im Land plakatiert werden. Der Landesverband der Sozialdemokraten hatte Bürgerinnen und Bürger zu einem Plakatwettbewerb aufgerufen, aus dessen Einreichungen zunächst eine Jury fünf Motive ausgewählt hatte und Nutzer dann über Facebook abstimmen konnten, welcher der Entwürfe nicht nur im Netz, sondern tatsächlich gedruckt für die Partei werben soll. “Currywurst ist SPD”, lautet der Slogan auf dem purpurfarbenen Plakat. Das Gewinnerplakat ist eine Idee von zwei Studenten aus Tübingen. “Wir haben überlegt: Was ist das SPD-Gefühl, was ist der Ruhrpott, was ist die Partei? Der SPD-Wähler lebt auch gerne und genießt das Bodenständige”, sagte Erik Flügge der Süddeutschen Zeitung. Die Reaktionen auf das Plakat sind gespalten: knapp 4.500 Menschen hoben auf der Facebook-Seite von Hannelore Kraft für die Wahlwerbung mit der Wurst den virtuellen Daumen. Andere Nutzer drückten in den Kommentaren ihr Unverständnis für das Motiv aus. Medien und Vertreter anderer Parteien kommentierten hämisch und kritisierten, das Plakat transportiere keine Inhalte. Genau die Kritik also, die andere Parteien derzeit immer wieder an die Piraten richten. Dass Inhalte jedoch vor allem im Wahlkampf nicht ganz so wichtig sind, zeigt der Erfolg des neuen SPD-Plakats. Damit ein Beitrag zum Wahlkampf nicht nur über offizielle Parteikanäle verbreitet wird, muss er kantig sein. Er kann kontrovers sein, irritieren, verärgern, zum lachen bringen, schick aussehen oder irgendwie anders sein, als die Wahlwerbung, die so weich gespült ist, dass sie von ihren Zielgruppen kaum noch wahrgenommen wird.

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Ein weiteres Beispiel dieser Art aus dem NRW-Wahlkampf war ein Plakat der Grünen, die darauf die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und die Spitzenkandidatin der Grünen, Sylvia Löhrmann, gemeinsam abbildeten. Die Botschaft: “Schön, wenn Frauen wieder den Haushalt machen.” Neben der SPD-Kandidatin war zudem eine Sprechblase mit den Worten: “Zweitstimme Grün”. Das sorgte für Ärger in der SPD-Zentrale, wollte Kraft sicher keine Zweitstimmenkampagne für die Grünen machen. Das Plakat musste noch einmal geändert werden. Im Netz hatte es aber vorrangig aus einem anderen Grund für Aufsehen gesorgt: die Doppeldeutigkeit, den beiden Politikerinnen ‘den Haushalt’ zuzuweisen, wurde teils für den ironischen Umgang mit den Rollenbildern beklatscht, teils als sexistisch betrachtet. Gut für die Wahlkämpfenden in jedem Falle: es wurde diskutiert, das Plakat wurde von Bürgerinnen und Bürgern vielfach in sozialen Netzwerken verbreitet. Dieses erfreuliche Schicksal teilen die wenigsten Wahlplakate. Auch aufwendig produzierte Werbespots werden online nur von einem kleinen Publikum wahrgenommen. Die Videos der Parteien überspringen nicht einmal die vierstellige Zuschauerzahl. Um die 7.000 Mal wurden die Videos von CDU, SPD und Grünen bislang geklickt.  In Schleswig-Holstein, wo eine Woche früher als in NRW gewählt wird, liegen die Zahlen noch niedriger. Wenn die Hiphop-Video-Plattform “Aggro TV” zum ersten April ein Musikvideo mit Jimi Blue Ochsenknecht augenzwinkernd über Youtube ins Netz speist, hat der Clip in kürzester Zeit eine sechstellige Zahl geknackt. Songs von etablierten Rappern knacken mühelos die Millionengrenze. Geht das nur bei Musik? Vielleicht bei den Toren des Monats? Ganz simple von Nutzerinnen selbst produzierte Videos, die ein enormes Publikum erreichen, sind die sogenannten “Beauty Tutorials”. Vornehmlich junge Frauen filmen sich, während sie sich schminken, frisieren, die Augenbrauen zupfen und erklären gleichzeitig ihren Zuschauern, was sie dort tun. Die Reichweiten dieser Videos sind schon im deutschsprachigen Raum enorm. Klickt man sich ein paar Stunden durch Videoportale gelangt man zu der Einsicht, dass viele nutzerproduzierte Beiträge eine größere Fanschar haben oder gut verbreitet wurden. Bei politischen Videos, die zu diesem Zwecke erstellt wurden, will es jedoch einfach nicht klappen.

Wahlkämpfe  sind, so könnte man meinen, Zeiten höchster Emotionen. Es geht schließlich um etwas. Und Politik sei eine Droge, Parteien eine Heimat, manchmal sogar Familie. Die Gefühlsebene der politischen Kommunikation in Deutschland scheint jedoch eher gefesselt – und das nicht aus Lustgewinn. Nicht einmal die Befürchtung, dass deutsche Wahlkämpfe auf Obama schwören, hat sich befürchtet; sie begnügen sich mit Hochglanzprüderie, die zugeschnitten ist auf den nicht existenten Durchschnittswähler. Botschaften und Bildsprache bewegen sich zwischen Schockstarre und Traumschiff und widersprechen somit den Zielen, die sie eigentlich erreichen wollen: Bürgernähe, Wechselstimmung und Vertrauen. Der Mythos, doch über eine Top-Down-Kampagne Wählerinnen und Wähler für sich gewinnen zu können, hält sich hartnäckig. Dabei haben die Parteien die Verbreitung ihrer Wahlwerbung im Internet nicht mehr in der Hand. Die Nutzerinnen und Nutzer entscheiden, welche Clips, Bilder, Tweets und PDF-Dateien sie aneinander weiterreichen. Wenn ein Spot eingesprochen ist wie ein Gute-Nacht-Hörbuch für Kleinkinder, werden User ihn nicht einmal aus Häme weiterreichen. Das Beste, was einer Kampagne passieren kann, ist wohl wirklich ein Shitstorm und der Kontrollverlust über die eigenen Inhalte. Was glatt geschmirgelt, über zehn Schreibtische gegangen und den ästhetischen Ansprüchen von Luxusimmobilienbroschüren gerecht werden soll, lässt der Wähler links und rechts und in der Mitte liegen. Nutzerbeteiligung zu wagen, kann besonders im Hinblick auf die Gestaltung von Online-Kampagnen wertvolle Erkenntnisse bieten, auch wenn die Verantwortlichen zunächst gute Nerven brauchen. Das Currywurst-Plakat vom Schreibtisch zweier Studenten traf schließlich bei der nordrhein-westfälischen SPD, die diese Wahlwerbung nun drucken wird, auf höchst geteilte Meinungen. Doch es ist naheliegend, dass die “Tyrannei der Masse”, die in ihrer Freizeit Werbemotive für die Partei entwirft, der sie nahe steht, den Puls der online aktiven Wählerschaft besser fühlen kann, als ein beauftragtes Kreativteam mit eng gestecktem Briefing. Pinnwände in sozialen Netzwerken sind für manche Menschen wie die eigene Wohnzimmerwand. Nur wann haben Sie das letzte Wahlplakat gesehen, dass für die eigene Wohnung in Frage käme? Vielleicht eines aus einem lang verstrichenen Jahrzeit, dessen Retrochic nun wieder geschmackvoll anmutet, vielleicht auch ein wenig ironisch. Doch ironisch hängt man sich nur selten einen Politiker an die Wand. Die letzte Person, von der bekannt ist, dass sie mit vollem Ernst ein Helmut-Kohl-Poster im im Jugendzimmer hängen hatte, ist Familienministerin Kristina Schröder.

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Online-Wahlkampf heißt mehr, als möglichst moderne digitale und schicke Kommunikationsmittel zum Abruf zur Verfügung zu stellen, denn im Netz surfen User nicht an Plakaten vorbei oder nehmen den Wahlwerbespot vor den Abendnachrichten zur Kenntnis. Sie bestellen auch nicht ein Päckchen mit Flyern, das sie anschließend an ihren Freundeskreis verteilen. Wahlkampf im Internet wird erfolglos sein ohne Erfahrungen damit, wie verschiedene Communities untereinander kommunizieren. Doch um das zu wissen, müssen Wahlkämpfende Teil der vielen verschiedenen Gemeinschaften im Netz sein. Im Umkehrschluss kann das nur heißen: Parteien müssen von der Herangehensweise, Wahlkampf für das Netz zu machen, dazu übergehen, Wahlkampf mit dem Netz zu machen: mit ihren und den potenziellen Unterstützerinnen und Unterstützern. Dieses Prinzip sollten Parteien bereits kennen: denn kein Großflächenplakat ersetzt die Aktiven vor Ort. Das Netz funktioniert an dieser Stelle wieder einmal nicht anders als das platte Land: ohne die Menschen, die es bevölkern, passiert nich viel. Und eines sieht man leicht, wenn man die Aktivitäten von Anhängern, Mitgliedern und offiziellen Parteikanälen im Netz vergleicht: das Leben, die spannenden Berichte, der Enthusiasmus und die Emotionen finden bei den ganz normalen Usern statt. Wahlkampfportale würden mehr Menschen erreichen, sie könnten Inhalte und Gefühle bündeln, die über Photoshopfreude hinausgehen, würde man die Nutzerinnen und Nutzer nicht nur ein Plakat entwerfen lassen, sondern sie einladen, aus dem übrigen Material eine Konfettischlacht zu starten. Alle reden vom Plastikwort “Partizipation” – die in Wahlkämpfen längst vorhanden ist. Diese dem etwas älteren Modewort “Aggregation” einmal vorzustellen, wäre ein Anfang.

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Die Wahrheit darüber, wie man außerdem im Wahlkampf Emotionen erzeugen kann, liegt nah an Deutschland und im Wein: in Frankreich. Nach der Wahlkampfwerbung von François Hollande möchte man aufspringen, die Beine in die Hand nehmen und die nächste Pariser Wahlkabine stürmen. Dass Hiphop und Politik ein ganz reizendes Paar sind, zeigen die Franzosen außerdem in diesem Video. Es grenzt sich nicht nur musikalisch von einem Rosamunde-Pilcher-Sountrack ab und verzichtet auf glitzernde Seen, grüne Wiesen und Windräder. Stattdessen sieht man, dass das unbekannte Wesen Wähler tatsächlich existiert. Während deutsche Jugendliche zu französischen Wahlkampfvideos tanzen können, schlummern ihre Großeltern sanft zu den sedativen Satzbausteinen der Landtagswahlkämpfe ein.

 

 

Anmerkung: die Autorin arbeitet als Referentin für Social Media beim SPD Parteivorstand und vertritt hier ihre private Meinung, wie auch auf weiteren Accounts bei Twitter, Tumblr oder Google+.