Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Gezählt, gewogen und zu leicht befunden

Lässt sich unser ganzes gesellschaftliches Leben im Internet mit einer einzigen Kennzahl messen? Der Ansatz von klout.com wirft jedenfalls mehr Fragen auf als er beantwortet.

Lässt sich unser ganzes gesellschaftliches Leben im Internet mit einer einzigen Kennzahl messen? Der Ansatz von klout.com wirft jedenfalls mehr Fragen auf als er beantwortet.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Nein, ich werde nicht nachsehen, wie hoch oder niedrig mein Klout-Wert ist. Da ich nicht twittere und auch bei Facebook und Google plus kaum über das Aktivitätslevel einer Karteileiche hinauskomme, würde ich da wohl ziemlich unterdurchschnittlich abschneiden. Klout verspricht nämlich, den „Einfluss” von Personen im Netz zu messen. Dieser Einflussfaktor errechnet sich mit Hilfe komplizierter Algorithmen aus Twitter-Updates, Likes, LinkedIn- und Facebook-Vernetzung, Google-Erwähnungen, Statusmeldungen und anderen Lebenszeichen im Netz. Neben dem Klout-Zahlenwert zwischen 0 und 100 erfährt man dann als angemeldeter Benutzer auch, ob man eher dem Typus „Explorer”, „Thought Leader” oder „Specialist” zuzurechnen ist.

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Glaubt man diversen Veröffentlichungen der letzten Zeit, wird diese Klout-Kennzahl immer wichtiger. So erzählt „wired” eine Episode, wie ein Bewerber um eine Stelle in einer Marketing-Agentur in Toronto aufgrund seines zu niedrigen Klout-Scores von knapp über 30 recht schnell aus dem Bewerbungsgespräch komplimentiert wird und schließlich jemand mit fast doppelt so hoher Einflusszahl den Job bekommt. In der Folge rackert sich der Marketingmanager, der lange für große Marken wie AOL, Ford und Kraft gearbeitet hat, auf Twitter und anderen sozialen Netzwerken monatelang enorm ab, schafft es, seinen Score auf 72 zu heben. Und, siehe da, je höher seine Kennzahl klettert, desto interessantere Jobangebote und Speaker-Slots auf Konferenzen bekommt der Marken-Manager, der schließlich erkennen muss: „15 Jahre erfolgreiche Arbeit zählen weniger als dieser Klout-Score.”

Das werden die Betreiber dieses Zähldienstes im fernen Kalifornien gerne hören. Denn für sich genommen sagt die Zahlenspielerei erst mal wenig aus. So rangiert Teeniestar Justin Bieber mit einem Score von 100 zwar deutlich vor US-Präsident Barack Obama mit 93, doch den tatsächlichen Einfluss in der Welt jenseits von Twitter, Facebook & Co. bildet der Social-Media-Messwert nun mal nicht ab. Aber Versuche, dieses Zahlenkonstrukt in der realen Welt zu kapitalisieren, gibt es durchaus: Das Palms Casino Hotel in Las Vegas etwa checkt den Klout-Score seiner Gäste und spendiert bei entsprechend hoher Kennzahl schon mal ein kostenfreies Upgrade. Bei Veranstaltungen wie Modenschauen wird vereinzelt auch schon darauf geachtet, dass die Zuschauer mit hohem Score gute Plätze bekommen. Laut Matt Thomson, Vice President of Platform bei Klout, dächten derzeit viele große Unternehmen darüber nach, wie sie den Klout-Score gewinnbringend im Kundengeschäft einsetzen können. In naher Zukunft würden Kunden mit hohem Score am Flughafen-Terminal schneller boarden als Netz-Normalsterbliche, bessere Hotelzimmer und attraktive Preisnachlässe im Einzelhandel bekommen, schwärmt Thomson. „Wir sagen den Marken, das sind die Leute, um die sie sich besonders kümmern müssen – wie sie das umsetzen, ist dann deren Sache.” Für das Hotel in Las Vegas hat sich die Aktion insofern gelohnt, als die Berichte ein enormes Online-Echo hervorriefen und die Sichtbarkeit im Social-Media-Universum enorm erhöht haben – was natürlich auch dem Klout-Wert des Hotels zugute kam. Das Kalkül hinter den Goodies für die Klout-Highscorer ist klar: Es geht darum, die besonders gut vernetzten Kunden zu Markenbotschaftern zu machen. Gäste, die kürzlich zu einer von der US-Vogue organisierten Abendveranstaltung eingeladen waren, brachten alle einen Klout von mindestens 40 mit. „Dank Klout hatten wir Gäste mit großem Einfluss in sozialen Netzwerken”, freute sich der PR-Verantwortliche nach dem Termin. „Wir konnten uns darauf verlassen, dass sie auf Twitter über unsere Veranstaltung berichten – in Wort und Bild.”

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Also Win-Win-Situationen, soweit das Auge reicht? Dass diese intransparent errechnete Zahlenspielerei die Öffentlichkeit in Netz-Nobodies und Privilegierte spaltet, die massiv mit Rabatten und Vergünstigungen geködert werden, stößt selbst im zahlenverliebten Heimatmarkt USA nicht nur auf Gegenliebe. Die Suche von Tante Gu fördert massenhaft kritische Berichte zu Tage. Besonders hoch kochten die Emotionen im vorigen Herbst, als Klout seinen Algorithmus nachbesserte und viele Nutzer plötzlich mit niedrigerem Score veranlagt wurden. Johannes Kuhn bezeichnete Klout im Digitalblog der SZ als eine Art Schufa des Jobmarkts, die noch perfider funktioniere als die Bonitätsprüfung der Kreditwirtschaft: „Denn während es positive Auswirkungen auf meine Schufa-Bewertung hat, wenn ich ohne einen Bankkredit auskomme, wird bei der Reputationsmessung Inaktivität mit einer schlechten Bewertung bestraft.” Und wer im Netz unsichtbar ist, fällt gleich ganz aus dem Raster. Oder mancher Aktive wird unter Wert verkauft, weil Klout dem Klarnamen ohne Account vielleicht gar nicht die richtigen Twitter-Streams und Social-Media-Accounts zuordnet. So wäre mein Klout-Score, der auch meine private Blogpräsenz als mark793 und mein FAZ-Pseudonym Marco Settembrini einbezieht, wohl nicht ganz so unterirdisch wie das Ergebnis einer Abfrage nach meinem Klarnamen.

Was gerade auch hier in Deutschland sehr kritisch gesehen wird, ist die Tatsache, dass Klout auch fleißig Daten über Nutzer sammelt, die dafür keinerlei Zustimmung erteilt haben. Angemeldeten Benutzern springen Pop-ups auf den Bildschirm, die darüber informieren, man würde beispielsweise Max Mustermann beeinflussen, doch der habe noch kein Profil. Klout animiert dann dazu, den Max doch mal zu Klout einzuladen. „Das wird dann sicher von vielen begeisterten Klout-Nutzern auch gemacht, denn schließlich winkt dadurch ein höherer Klout-Score, zumindest wird das mit der Meldung suggeriert”, schreibt Falk Hedemann im Infodienst t3n. Wäre hier Geld im Spiel, müsste man diese Usance als eine Art Schneeballsystem oder Pilotenspiel klassifizieren. Und wie es scheint, könnte ein einfacher Pinnwand-Kommentar auf dem Facebook-Profil eines registrierten Klout-Nutzers ausreichen, dass Klout ein Profil des Kommentators anlegt, das derjenige dann nur noch qua Anmeldung aktivieren muss. Nach Abwägung aller Vor- und Nachteile hat Hedemann im November sein Klout-Profil gelöscht.

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Wer weiß, ob er damit nicht vorschnell Chancen auf neues Lebensglück verspielt hat. Der letzte kloutbasierte Schrei ist nämlich eine Partnervermittlung namens tawkify, die verspricht, interessierte Singles mit ähnlicher Klout-Kennzahl zusammenzubringen. „Über seinen Klout-Score kann man keine Lügen erzählen”, sagt die Mitgründerin E. Jean Carroll. Die Kennziffer sage über die Attraktivität einer Person, ihren Witz und ihren sozialen Appeal jedenfalls mehr aus als die typischen Online-Dating-Eckdaten Größe, Gewicht und Monatseinkommen. Das sieht Gizmodo-Autorin Leslie Horn zwar völlig anders. Aber so ganz unnütz findet sie den Klout-Score als Paarbildungsfaktor dennoch nicht: „Zumindest wüsste man mit Sicherheit vor dem Date, dass sich da zwei total selbstverliebte A****löcher treffen.”