Spieltheorie hört sich dem Wortlaut nach verdächtig nach Sinnlosigkeit an – völlig zu Unrecht, vor allem, wenn es um kriegsentscheidende Erwägungen geht. Oder Wissenschaft.
Vor etlichen Jahren las eine liebe Freundin von mir eine meiner Hausarbeiten Korrektur, und da sie in einem völlig anderen Fachgebiet unterwegs war, strich sie fröhlich aus der “Spieltheorie” das “Spiel”. Mir führte diese Episode vor Augen, wie sehr manche Begriffe in verschiedenen Disziplinen mit unterschiedlichen Bedeutungen behaftet sind (Signifikanz, und deren statistische Variante sind ein weiteres schönes Beispiel). Ich habe ich nie wirklich gefragt, warum die Spieltheorie eigentlich Spieltheorie heißt, sondern das als Studentin brav als Bestandteil der fachüblichen Indoktrination hingenommen.
Kaum zu glauben, aber: das Wort hat tatsächlich mit Spielen im herkömmlichen Sinne zu tun: John von Neumann entwickelte in den 1930er Jahren die Disziplin, um Spielzüge in Gesellschaftsspielen systematisch zu analysieren – wohlgemerkt: In Abhängigkeit der Spielzüge der Mitspieler. Ich erinnere mich noch vage, daß meine Geschwister und ich eine „Vier-gewinnt”-Spielphase hatten, aber irgendwann die Lust verloren, als wir realisierten, daß bei der richtigen Spielstrategie der anfangende Spieler immer gewinnt. Das ist typische Spieltheorie. Nur kann die es auch beweisen, während wir Kinder auf der Rückbank im Auto gewissermaßen statistische Schlußfolgerungen zogen.
Die spieltheoretischen Analyseansätze wurden auch auf andere Fragestellungen übertragen. Heute sind wirtschaftswissenschaftliche oder soziologische Modelle ohne spieltheoretische Komponenten kaum noch denkbar.
Natürlich krankt die Spieltheorie in ihren praxisbezogenen Ergebnissen wie so viele andere Ansätze auch an den zugrundeliegenden Annahmen. Spieltheorie führt nur dann zu korrekten und schlüssigen Ergebnissen, wenn alle Spieler ihre Ziele klar benennen und bewerten können, die Ziele rational verfolgt werden, und außerdem alle Spieler die jeweils möglichen Ergebnisse vollständig durchdenken und entsprechend antizipieren. Die Theorie setzt also viel Homo Oeconomicus in den Teilnehmern vorraus.
Im Laufe der Jahre sind die Strategien und Methoden immer komplexer geworden – nicht zuletzt, weil mit immer mehr Rechenkapazität auch kompliziertere Strategien mit unterschiedlich wahrscheinlichen Handlungsoptionen durchgerechnet werden können. Zwar bekommen Studenten im ersten Semester immer noch das klassische Gefangenendilemma präsentiert, trotzdem hat sich die Disziplin erheblich weiterentwickelt.
Das Gefangenendilemma bleibt dennoch als Grundlage in vielen Anwendungen erhalten – zum Beispiel, wenn es um Konflikttheorie geht. Im simpelsten Fall werden die Gefangenen durch zwei Länder ersetzt, deren mögliche Spielzüge sich auf Frieden oder Krieg (=Angriff) beschränken. Die Vorstellung von entsprechenden Auszahlungswerten scheint in der heutigen, vielfältig vernetzten und globalisierten Welt nicht mehr zeitgemäß, weil solche Entscheidungen von Staaten vermutlich von komplexen politischen Machtstrategien bestimmt werden – aber bei Konflikten zwischen Nomadenstämmen um ihre Viehbestände und Wasserlöcher wird die Vorstellung schon schon vernünftiger.
Schon seit den 1940er Jahren versuchen Forscher, an ihren universitären Schreibtischen spieltheoretische Erklärungen im Rahmen der Friedens- und Konfliktforschung einzusetzen. Manches davon behandelt eher politische Fragen, anderes militärisch-strategische Probleme. Bereits im kalten Krieg versuchten die beiden Parteien, spieltheoretische Erkenntnisse für ihre Rüstungsstrategien zu nutzen – angesichts der prinzipiellen Unsicherheit jedoch nur in eingeschränktem Umfang.
Die jeweiligen Kernideen waren wesentlich bestimmt durch das jeweils vorherrschende politiktheoretische Gedankengut: Realisten (quasi: Machtpolitik als Hauptziel) sehen die Welt mit anderen Augen an als Institutionalisten (die Institutionen mäßigenden Einfluß zutrauen), und die Modelle entsprechen dem natürlich in Aufbau und Schlußfolgerungen.
In den letzten Jahren haben sich die Möglichkeiten noch einmal durch die Kombinationsmöglichkeiten erweitert, die sich im Rahmen theoretischer Modelle, insbesondere der politischen Ökonomie entwickelt haben. Die Optimierung von Gleichungen auch über verschiedene Zeitpunkte hinweg, oder der verbesserte Umgang mit unvollständigen Informationen ergänzt spieltheoretische Überlegungen hervorragend.
Während die Anfänge der Spieltheorie (z.B. deren simplere Ausprägungen wie das Gefangenendilemma) Staaten als einheitliche Akteure betrachten, unterscheiden die heutigen Modelle zwischen den verschiedenen Akteuren innerhalb des Staates, sowie deren Präferenzen. Es ist beinahe schon ein Allgemeinplatz, daß militärische Engagements Politikern zur Wiederwahl verhelfen können – Spieltheorie kann zeigen, daß das sogar dann gilt, wenn das Engagement für die Gesamtbevölkerung eine suboptimale Handlung darstellt. Durch diese auf den ersten Blick unlogischen Ereignisse werden auch Abläufe und Ergebnisse differenzierter.
Ein Modell der jüngeren Forschung illustriert die Interaktion zwischen Kämpfen und Verhandlungen – und die Verschränkung von Modell- mit Spieltheorie. Es gibt zwei Parteien, Angreifer (A) und Verteidiger (D), jeweils mit (militärischen) Ressourcen (R), die zur Gewinnung von Vorteilen (B) eingesetzt werden können – logischerweise so, daß das Ergebnis optimiert wird (maximale Auszahlung bei minimalen Ressourceneinsatz). Beide Faktoren werden in der Nutzenfunktion zusammengefasst. Im nächsten Schritt werden Kampfhandlungen und Verhandlungen eingeführt, wobei Kampfhandlungen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit (d) gewonnen bzw. verloren (1-d) werden. Einige weitere Annahmen motivieren die Ergebnisse des Modells, zum Beispiel daß eine Partei größere Verluste verkraften könnte als die andere (was ja keineswegs realitätsfern ist) – implizit werden damit auch die möglichen Verzweigungen eines Entscheidungsbaumes beschränkt, was das Modell vereinfacht. Ein begonnener Krieg endet dann entweder, weil einer der Parteien nach Verlusten die Ressourcen ausgehen, oder aber durch Verhandlungen.
Im Aufsatz werden die verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten und deren Vor- bzw. Nachteile für die Parteien entlang von Entscheidungsbäumen dargestellt und zeigen, an welchen Punkten Nachverhandlungen möglich und sinnvoll sind – und wo Handlungszwänge und Risiken existieren. Auf den ersten Blick sind viele der Ergebnisse so intuitiv, daß man sich fragen muß, warum die Autoren sich solche Mühe damit gemacht haben. Zum Ende hin – und mithilfe mathematischer Ausdrücke, die ich Ihnen lieber erspare – zeigen sich jedoch interessante Relationen. Falls zum Beispiel der potentiell angreifende Staat bereits über mehr Vorteile B verfügt, als angesichts der militärischen Macht fair und angemessen erscheint, wird die Angriffsdrohung dieses Staates zur leeren Hülle – weil ein weiterer Zugewinn unwahrscheinlich ist. Umgekehrt könnte das eine Erklärung dafür bieten, warum kleine Staaten größere und schlagkräftigere Gegner angreifen – wenn das Schwergewicht nämlich viel zu verlieren hat (und implizit Verhandlungslösungen positiver gegenübersteht) und weil der kleine Staat sich insgesamt benachteiligt fühlt (wer sich soweit durchkämpfen möchte: Seite 831). Darüber hinaus haben die verschiedenen Variablen und Parameter im Modell klaren Einfluß auf die Dauer des Konflikts – und lassen sich ja durchaus mit realen Größen in Verbindungen bringen.
Am Ende ist es natürlich schwer zu sagen, ob die mathematische Formulierung von Zusammenhängen, die wir ohnehin aus dem Alltag für intuitiv logisch und gegeben halten, die vielen Steuergelder wert sind, die in wissenschaftliche Forschung investiert werden. Mancher würde es vielleicht bestreiten – andererseits werden dabei Gedanken deutlicher formuliert und Mechanismen aufgezeigt, die nicht immer offensichtlich sind, und jedes weitere Modell ist ein kleines Puzzlestück auf dem Weg zu größeren Erkenntnissen.