Deus ex Machina

Deus ex Machina

Über Gott und die WWWelt

wer-sind-die-kuenstler?de

Die Kunst gab es vor dem Erlass des Urheberrechtes, sie wird das Gesetz überdauern. Doch wo ist sie während der hitzigen Debatte, in der es vermeintlich um ihre Existenzgrundlage geht?

Die Kunst gab es vor dem Erlass des Urheberrechtes, sie wird das Gesetz überdauern. Doch wo ist sie während der hitzigen Debatte, in der es vermeintlich um ihre Existenzgrundlage geht?

Die Autorin und der Autor, die sich mit einem Glas samtigen Syrah zur Schrifterstellung niederlassen, berühren mit Gedanken in den Fingerspitzen die Tasten ihres Schreibgerätes, streichen Gefühle über das Touchpad zwischen die Zeilen, blasen Rauch auf den Monitor und lecken den Schweiß vom Bildschirmrand, wenn der letzte Satz des Abends sich schwarz von weißen Pixeln abhebt. In diesen Momenten, wenn die Worte von der Stirn in ein digitales Dokument fließen und vor den Augen in Zeichen aufflackern, denkt der Schreibende nur dann an das Urheberrecht, wenn er kurz zuvor wieder einmal eine Aufforderung für die Unterzeichnung eines offenen Briefes im E-Mail-Postfach hatte, oder eine Kollegin erzürnt in einer Wochenzeitung über die Rechte an ihren Ausführungen schrieb und klang, als hätte man dem literarischen Kind in ihr all seinen geistigen Beisitz grob aus der Hand geschlagen wie eine erdbeersüße Zuckerstange, die es nie wieder zwischen die Zähne bekommen soll. Der eine Autor gibt dieser E-Mail nach, sie flackert so schrill im Postfach. Der andere löscht sie.

Es ist mitnichten die lukrative Verheißung des Urheberrechtes, die Textschaffende an ihre Schreibmaschinenen fesselt. Zum Künstler wird ein Kreativer nicht durch ein juristisches Regelwerk, sondern durch die Kunst selbst. Es steht außer Frage, dass Urheberschaft und der kommerzielle Umgang mit Werken rechtlich abgesichert sein müssen. Doch es überrascht, wie sehr in der aktuellen Debatte so viele Diskursteilnehmende die Bezeichnung im Klammergriff haben, als könne mit ihr ihnen zugleich ihr Talent, ihre Ideen und ihr Selbstverständnis entgleiten. Als stünde eine Modernisierung des Urheberrechtes am Abgrund der freien Kunst und warte darauf sie zu zerfleischen und bloß einen abgenagten Knochen zurückzulassen. Dabei beißt die Diskussion um das Urheberrecht die Künstler nicht, sie gibt ihnen genau das, was sie am Leben erhält: eine Herausforderung. Unsicherheit. Fragezeichen.

Bild zu: wer-sind-die-kuenstler?de

Anstatt diese Aufforderung zu Antworten anzunehmen, reagiert der Kulturbetrieb mit Trotz. Die Repliken in Tageszeitungen klingen technokratisch, ökonomisch angetrieben, leidenschaftslos. Über 7.000 Autorinnen und Autoren haben die Erklärung “Wir sind die Urheber” digital unterzeichnet; die Ausrufung des Urheberrechts als “historische Errungenschaft gegen feudale Abhängigkeit” zergeht dabei auf der Zunge wie der aus einer Grabsteininschrift gemeißelte Marmorstaub. Hat Matthias Landwehr bereits einen Historienroman über die Mütter und Väter des Urheberrechtes an einen großen Publikumsverlag verkauft? Wenn die Kunst nicht den Finger in die Wunde am Puls der Zeit legt, was tut sie dann? Welche Aufgabe hat sie? Kommen die progressiven Ideen nun aus der Politik?

Kunst tut weh, wenn man auf der sorgenerfüllten Website wir-sind-die-urheber.de das stickige Gefühl bekommt, hier seien Autoren-Unterschriften achtlos ins Netz geschrieben worden. Weil es schick und die künstlerisch-soziale Norm ist, die Stimme, wenn auch nur zart, in der Debatte zu erheben. Aktionen, wie ein Schnitt auf der Stirn oder ein andersartiges kritisches Kaputtmachen des Urheberrechtes, ein Dorthingegen, wo es weh tun könnte, findet nicht statt. Demonstrieren Werkschaffende ihre kreative Exzellenz und künstlerische Überlegenheit nun über die Unterzeichnung eines Kettenbriefes? Der Wert des Werkes eines Künstlers liegt doch vor allen Dingen in einer eigenen Position, in der kritischen Auseinandersetzung mit anderen und nicht zuletzt – um das Gesetz worttreu zu zitieren – darin, eine “Gedanken- und/oder Gefühlswelt erzeugen, die in irgendeiner Weise anregend auf den Betrachter wirkt”.

Die Debatte ist angeregt, angestrengt, die Emotionen heftig. Plastisch wird das Urheberrecht für die Beobachter nicht. Selbst die Personen, die sich nun gestochen in geschwungener Schreibschrift “Wir sind die Urheber” auf dem Unterarm tragen, begegnen dem Urheberrecht in dieser theoretischen Auseinandersetzung auf diese Weise mutmaßlich zum ersten Mal. Die Beziehung des Schreibenden zu seinem Talent, seiner Textmaschine und zum Recht, dass seine Texte vor der unerlaubten Kopie schützen soll, sind gänzlich verschieden. Denn die Frage, ob die Kunst oder ihr Schutzrecht zuerst da war – nicht nur im historischen Verlauf sondern vor allem im künstlerlischen Selbstverständnis – lässt sich leicht beantworten. Der Verlust oder die Veränderung des Urheberechtes muss Kunst also nicht direkt bedrohen. In der Gegenposition legt das Recht sogar die Kunst in Fesseln: die Judikative entscheidet darüber, wann ein Werk “Gestaltungshöhe” oder “individuelle Ausdruckskraft” erlangt und über den Schutz des Urheberrechtes zu etwas Schützenswertem aufsteigt, vielleicht sogar zur Kunst.

Bild zu: wer-sind-die-kuenstler?de

Vielleicht sagt auch das etwas über den Zeitgeist und die Kunst, wenn sie ihren Kern in der Angst vor der Verbreitung sucht. Wenn sie ermächtigt wird im Anblick der Raubkopie. Im Vergleich zu Musikern und Filmschaffenden muss die Literaturbranche sich nahezu machtlos und vergessen fühlen, “wo doch noch nicht einmal von Daniel Kehlmanns Bestseller Die Vermessung der Welt Raubkopien in auffälliger Zahl existieren”, wie Michael Angele in “der Freitag” argumentiert. Eine intellektuelle Machtdemonstration ist nicht die meterhohe Bücherwand, der Bestseller, der Buchpreis, der hohe Vorschuss.

Kunst entsteht erst im Teilen, erst in der Rezeption. Nicht die Frage nach der Verhinderung ihrer Verbreitung, sondern Antworten darauf, wie Kunst die Fesseln von Ort, Zeit, Buchdeckel und Endgerät abschütteln kann, um frei zu sein und durch ihr Publikum ermächtigt zu werden, können die Kunst im digitalen Zeitalter antreiben.

Bild zu: wer-sind-die-kuenstler?de

Die experimentellen Annäherungen von Literatur und Netzkultur sind überschaubar. Die 72-jährige Autorin Margaret Atwood kommuniziert rege mit mit über 320.000 Followern auf Twitter. Paulo “Pirate” Coelho stellt seine Texte zum kostenlosen Download zur Verfügung, denn er ist der Überzeugung, dies beflüge seinen Buchverkauf. Er sagt: ” ‘Pirating’ kann eine Einführung in die Werke eines Künstlers sein. Wenn du ihre oder seine Idee magst, willst du sie in deinem Haus haben. Gute Ideen brauchen keinen Schutz.” Zahlreiche deutschsprachige Bloggerinnen und Blogger, die im Netz – ganz ohne Vergütung – begannen zu schreiben und bekannt wurden, weil viele Leserinnen und Leser ihre Texte miteinander teilten, haben mittlerweile in Verlagen gedruckte Bücher veröffentlicht. Zum Beispiel auch die Piratin Julia Schramm, deren Text “Klick mich. Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin” klassisch als Buch und E-Book im Herbst erscheint, obwohl sie eine deutlich andere Position zum Urheberrecht vertritt als ihr Verlag. So wie viele andere Autorinnen und Autoren, die sich eine Reform des Urheberrechtes wünschen – weniger im Hinblick auf ihre eigene ökonomische Absicherung, sondern hinsichtlich eines einfacheren Zugangs für Rezipienten und Lösungen, die eine Kriminalisierung der Masse verhindern. An Ideen dazu mangelt es nicht.

Nur im Verständnis wie Literatur aussehen, was Kunst in Textform im 21. Jahrhundert bedeuten könnte, sind weder “Wir, die Urheber”, noch “Wir, die Bürger” weiter. Die Debatte über das Urheberrecht könnte derweil an Tiefe gewinnen, wenn die Künstler unter den Urhebern formulieren würden, welche Ziele sie mit ihren Werken verfolgen – abseits einer ökonomischen, penibel verwalteten Verwertung.