Photos sind eine wunderbare Erinnerung an vergangene Ereignisse – aber die papierhafte Variante scheint im Aussterben begriffen. Leider, findet die Autorin.
Je älter ich werde, desto öfter verweigere ich mich den Segnungen der Moderne. Im Alter von 8 Jahren bekam ich von meinen Eltern eine kleine Olympus-Kompaktkamera: grau-rot, aus heutiger Sicht ein ziemliche großes Teil, sicherlich auch nicht teuer, aber ich liebte sie. Die Kamera begleitete mich auf fast allen Reisen meiner Jugend und Studienzeit, Sprachfreizeiten, Schüleraustausch, erste Urlaube, Studentenparties… 12 Jahre später sah ich sogar einen kleinen Jungen mit dem gleichen Modell im Zoo.
Digitalkameras wurden zunehmend populär, aber ich fand die Bilder auf Papier in der Qualität nicht sehr ansprechend, ebensowenig wie ich Photobüchern und Photo-Slideshows etwas abgewinnen konnte. Gelegentlich experimentierte ich mit den Kameras von Freunden, war nie mit dem Ergebnis zufrieden, kaufte zwei Mal nach intensiver Beratung eine Kompaktkamera, nur um sie eine Woche später zurückzugeben (ich konnte immer beweisen, daß meine alten Analogbilder um Längen besser waren als die neuen digitalen Photos) und blieb am Ende meinem roten Kinderspielzeug treu. Bis es irgendwann kaputtging. Das Zeitfenster bis zur nächsten photographierenswerten Reise war sehr klein, für neue Kompaktkamera-Experimente blieb keine Zeit, und so erwarb ich eine Spiegelreflex-Digitalkamera. Wieder ein großes Ding, aber aus gutem Grund.
Wann immer Freunde mich mit dem großen Trumm sehen, unterstellen sie mir photographische Fähigkeiten der Extraklasse – und ich dementiere stets: gerade weil ich kein Auge für Bilder habe, keine Ahnung von Belichtung und Verschlußzeiten und auch sonst kein Talent fürs Photographieren, brauche ich eine solche Kamera – damit ich trotzdem passable Bilder bekomme. Damit gelingt nämlich selbst mir bei Serienschüssen und wildem Knipsen gelegentlich eine Aufnahme von ästhetischer Qualität – selten, aber immerhin.
Ich habe mir, ehrlich gesagt, bis heute nie viele Gedanken darüber gemacht, wie die vielen schönen, bunten Photos überhaupt aufs Papier gekommen sind – und intuitive Erklärungen sind sogar im Internet nicht leicht zu finden. Vage erinnere ich mich an ein Experiment im Physikunterricht, das damals deutlich meinen Verständnishorizont überstieg, seither hat mich die Frage nicht wieder beschäftigt. Bis heute. Das Grundkonzept – ohne vertieften Einsteig in optische Physik – ist, daß eine lichtempfindliche Schicht sich bei Belichtung je nach Lichteinfall verändert. Im zweiten Schritt werden die nicht-belichteten Teile der Schicht im Entwicklungsprozess herausgelöst, so daß das Bild sichtbar wird. Farbige Bilder wiederum entstehen, weil farbige Objekte das Licht in unterschiedlichen Wellen reflektieren. Bringt man verschiedene farbempfindliche Schichten aufeinander auf, reagieren diese nur auf das jeweilige farbige Licht – und ein buntes Abbild entsteht.
Die moderne Digitalkamera wiederum hat statt farbempfindlicher Schichten einen lichtempfindlichen Sensor, der mit Bildpunkten – Pixeln – ausgestattet ist. Der jahrelange Hype zu immer mehr Pixeln wird inzwischen oftmals kritisch gesehen – mehr Pixel sind nicht zwangsläufig besser und retrospektiv begreife ich auch, warum ich mit den meisten Kompaktkameras unzufrieden war. Die größte Pixelzahl hilft nämlich nichts, wenn der Sensor zu klein ist. Die Sensoren digitaler Kompaktkameras sind offenbar unter Umständen so groß wie ein Fingernagel – der herkömmliche Kleinbildfilm ist im Vergleich dazu schlicht größer gewesen. So wurde mir das irgendwann, bei irgendeinem Fotohändler erklärt.
Zwängt man immer mehr Pixel auf den gleichen (kleinen) Sensor, entsteht Bildrauschen, weil jedes einzelne Pixel immer weniger Licht abbekommt. Mehr Pixel auf größerem Sensor hingegen sind prima. Ein größerer Sensor ist allerdings auch physisch größer, braucht mehr Platz, und passt daher nicht in ein Handy oder eine zigarettenschachtelgroße Kompaktkamera.
Rückblickend war es also gar nicht so falsch, lange an meiner alten Kompaktkamera festzuhalten – auch wenn Freunde oder Passanten regelmäßig vergebens nach dem Bildschirm suchten, weil sie den Sucher nicht mehr gewohnt waren. Profis wiederum nutzen offenbar immer noch beides, wobei die analoge Photographie vor allem für spezielle Aufgabenstellungen nützlich ist. Im Alltagsgeschäft scheinen Digitalkameras doch praktischer zu sein. Die Vorteile habe auch ich natürlich längst eingesehen: Man kann Serienbilder machen und sich dann das beste heraussuchen, man kann seine Werke gleich angucken und rasch mit Freunden austauschen, man kann die Bilder auch schnell verschicken, sogar von unterwegs, ohne zur Post gehen zu müssen. Schöne neue Digitalwelt, und nein, ich möchte meine digitale Kamera nicht mehr missen.
Von Photoalben hingegen wird mich niemand abbringen. Allein die Haptik, der Einband, die steifen Kartonseiten, das knisternde Seidenpapier dazwischen, sogar spinnenwebartig strukturiert bei alten Alben, machen mich schon glücklich. Photoalben sind ein Mehraufwand – aber auch ein Mehrvergnügen. Wenn Freunde zur digitialen Diashow einladen, bekommt man zwangsweise das gesamte Photomaterial zu sehen: fünf Mal dasselbe beeindruckende Hochhaus, zehn verschiedene Perspektiven desselben niedlichen Tiers in minimal unterschiedlichen Posen, sieben verschiedene Ansichten der wahnsinnig interessanten Gebetsmühlen (oder sonstiger lokaler Devotionalien). Da ist man schon dankbar, wenn wenigstens die verwackelten Bilder zwischenzeitlich gelöscht wurden. Dabei, mal ehrlich, hätte ein Bild jedes Motivs auch gereicht. Ein einziges, aber gutes.
Der Rechner hingegen spielt alles ab, was er hat, wird es arg langweilig, fängt der Gastgeber an, hektisch zum nächsten interessanteren Motiv zu klicken, und man selbst sitzt daneben und hofft, daß das Gesamtwerk sich nur im dreistelligen Bereich bewegt. Eben deshalb muß man sich in der Moderne gut überlegen, ob man überhaupt nach den Urlaubsbildern fragt – denn dann kann der Abend eventuell lang werden.
Für Photoalben hingegen muß man sich Gedanken machen. Welches der drei, fünf, zehn Bilder des ewiggleichen Motivs ist das Beste? Und wie präsentiere ich meine Erinnerungen? Erst das Panorama, dann das Detail? Oder erst den Weg dahin, dann das Panorama? Man kann chronologisch sortieren, oder nach Themen, Geschichten und Darstellungen verändern, Bilder exponieren oder an den Rand schieben, man kann kommentieren und Daten und Anekdoten festhalten. Selbst wenn niemals jemand meine Alben sehen möchte, sind sie immer noch eine schöne Erinnerung für sich selbst gewesen, weil ich während der Arbeit in Gedanken wieder auf Reisen war und mir die vielen Details einfallen, die ich längst vergessen geglaubt hatte.
Bestenfalls ist das Ergebnis auch deutlich präsentabler für den Freundeskreis. Zumal man dabei gemütlich auf dem Sofa sitzenbleiben kann, und sich nicht – wie Steinzeitmenschen um ihr Feuer – um den Laptop herum zusammenkauern muß. Davon abgesehen ist Photopapier offenbar tatsächlich erheblich haltbarer und weniger anfällig als digitale Speichermedien – meine Enkel wird es also auch noch freuen, selbst wenn denen dann vermutlich ein Album steinzeitlich vorkommt.